Die Gründe für die Bundesliga-Krise des FC Bayern
München - Für 9.15 Uhr hatte Bayern-Trainer Julian Nagelsmann die Video-Sitzung für seine Profis anberaumt. Es dürfte kein Sonntagsvergnügen geworden sein nach dem 2:2 gegen den VfB Stuttgart. Denn auch die internen Debatten schlagen hohe Wellen an der Säbener Straße nach dem schwächsten Saisonstart in der Bundesliga (nach sechs Spieltagen) seit zwölf Jahren.
Nach drei überzeugenden Partien mit teils Kantersiegen nun drei Spiele in Serie ohne Erfolg, ein Dämpfer nach dem anderen. Schon seit letztem Samstag ist die Tabellenführung futsch, und nun ist sie da, die erste Ergebniskrise der zweiten Saison in Nagelsmanns Amtszeit.

Salihamidzic kritisiert: "Uns fehlen sechs Punkte, mindestens vier zu viel"
Das 1:1 gegen Gladbach war aufgrund der Chancenverschwendung eher ein Unfall, das 1:1 bei Union Berlin, einem unangenehmen Gegner, im Grunde okay. Und nun das 2:2 gegen Abstiegskandidat Stuttgart nach zweimaliger Führung - deutlich zu wenig für die Ansprüche des Abo-Meisters.
"Uns fehlen sechs Punkte, mindestens vier zu viel", rechnete Sportvorstand Hasan Salihamidzic vor und meinte bedient zum 2:2 gegen die Schwaben: "Kein gutes Spiel von uns - das hat einfach nicht gereicht." So schnell kippt die Laune nur drei Tage nach dem souveränen 2:0 bei Inter Mailand zum Auftakt der Champions-League-Gruppenphase. Die Liga-Krise nervt den Meister. Wer will schon ein Remis-König sein?
Bayern will gegen Barcelona "drei Gänge höher schalten"
Thomas Müller, als Stürmer aufgeboten, auf einer Position in vorderster Linie, die ihm noch nie geschmeckt hat, meinte ehrlich: "Ich bin zum ersten Mal in dieser Spielzeit sauer auf uns selbst. Wir sind noch nicht Tabellenführer und deswegen habe ich eine schöne Krawatte."
Ob er sich Sorgen mache so kurz vor dem Königsklassen-Kracher gegen den FC Barcelona am Dienstag (21 Uhr, Prime Video und im AZ-Liveticker) wurde Salihamidzic gefragt. "Wir müssen zwei Gänge höher schalten, um die Spiele zu gewinnen - gegen Barcelona sogar drei. Da kommt eine Mannschaft, die Top-Spieler hat und einen guten Fußball spielt. Und Lewy nutzt jede Möglichkeit."
FC Bayern: Ausgerechnet jetzt kommt Robert Lewandowski
Ja, richtig, da war ja noch was - bzw. jemand: Robert Lewandowski. Wenn es blöd läuft, dokumentiert der Fifa-Weltfußballer am Dienstag was den Bayern aktuell ganz besonders fehlt: ein echter Mittelstürmer, ein Vollstrecker vor dem Tor.
An was mangelt es noch außer den Punkten und der dafür nötigen Durchschlagskraft im Jahr nach dem Abgang von Lewandowski?
Die Einstellung
"Wir brauchen dieses Bewusstsein für unsere aktuelle Punktesituation", mahnte Müller bei Sky und erklärte: "Das Spiel war kein Glanzstück, aber absolut in Ordnung über weite Strecken. Dass wir Stuttgart überhaupt noch mal einen Ball in unseren Strafraum schlagen lassen, hat damit zu tun wie gallig und griffig man ist bis zur letzten Sekunde in dieser Bundesliga."
Ist die Wertigkeit der nationalen Meisterschaft nach zehn Titeln in Serie also unbewusst gesunken?
Das Energie-Niveau
Salihamidzic beklagte "viel zu wenig Bewegung, zu wenig Intensität und Energie, die wir normalerweise auf den Platz bringen. Das muss besser werden." Nagelsmann hätte sich nach der 2:1-Führung "mehr Power gewünscht, es war mir zu viel Kontrolle und Ballbesitz zehn Meter vor und hinter der Mittellinie". Weil Barça schon zu sehr im Kopf herumspukte?
Die Konstanz
Nagelsmann brachte ganze sechs Neue, setzte auf eine größere Rotation bei zwei Champions-League-Partien an sieben Tagen. Die Abstimmung fehlte, die Automatismen - und vor allem die Qualität der ersten Elf. Dieses Risiko nahm der 35-Jährige in Kauf, es ging schief. Salihamidzic nahm ihn via Sport1-Doppelpass dennoch in Schutz: "Der Trainer hat die Mannschaft ein bisschen sehr verändert, was auch okay war. Wir hatten nach dem Champions-League-Spiel viele Spieler, die es auch verdient hatten zu spielen", so der Sportvorstand, der das erneute Remis in der Liga nur als "Ausrutscher" einordnete.
Lediglich Jamal Musiala darf wohl am Dienstag gegen Barcelona starten anstelle des verletzten Kingsley Coman. Ansonsten beginnt die Inter-Elf. Und das sicher mit anderer Einstellung und Energie.
