Die Grünen im Portrait: Das Duo Realo
Berlin - Katrin Göring-Eckardt gibt Vollgas: "Es ist noch alles drin", ruft die Grünen-Spitzenkandidatin in Berlin-Schöneberg ins Publikum. Beim Brexit oder der Wahl Donald Trumps, sagt die Frau mit dem gescheitelten braunen Haar, hätten sich die Meinungsforscher auch getäuscht. Am kommenden Sonntag werde den Grünen ein "Überraschungscoup" gelingen.
Die Partei will nach zwölf Jahren Opposition endlich wieder mitregieren, am besten als drittstärkste Kraft nach Union und SPD. Doch unter den kleineren Parteien haben die Grünen im Moment die schlechtesten Karten. AfD und Linkspartei liegen in Umfragen deutlich vor ihnen. Da es für die aber derzeit keine realistischen Koalitionsoptionen gibt, richten sich alle Blicke auf die FDP. Die Liberalen sind Hauptgegner und doch auch möglicher Partner in einer Jamaika-Koalition mit der Union.
Göring-Eckardt, die 51-Jährige aus Thüringen, lässt nicht viel Zeit verstreichen bis zur Attacke. Die FDP sei gegen Klimaschutz, wolle mehr Leiharbeit und längere Arbeitszeiten. "Gerecht ist was anderes", sagt sie. Die Grünen dagegen würden in einer Regierung die Kinderarmut bekämpfen und eine wirksame Mietpreisbremse einführen.
Özdemir: "Nicht jeder, der zu uns kommt, kann bleiben"
In der DDR hatte Göring-Eckardt evangelische Theologie studiert, in der Wendezeit zur Politik gefunden. Sie lebt getrennt von ihrem Mann, mit dem sie zwei Söhne und fünf Enkel hat. Ihr neuer Lebenspartner ist Thies Gundlach, der Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland.
So engagiert und kämpferisch sie nun im Wahlkampfendspurt in Berlin-Schöneberg auftritt – Göring-Eckardt gilt als risikoscheu. Überraschende Forderungen stellt sie im Wahlkampf nicht. Und das wohl aus gutem Grund. Immer wieder standen die Grünen dem eignen Erfolg mit Ideen im Weg, die der Mehrheit der Bürger als Unsinn erschienen. Dass der Liter Benzin fünf Mark kosten soll, hieß es 1998, ein fleischfreier "Veggie-Day" sollte den Deutschen das Schnitzel abgewöhnen. Doch nachdem mit dem Atomausstieg und der beschlossenen "Ehe für alle" alte grüne Kernforderungen erfüllt sind, fehlt in diesem Wahlkampf das ganz große Thema. Schon vor vier Jahren war Göring-Eckardt Teil des grünen Spitzenduos, damals mit Jürgen Trittin. Dieses Mal tritt sie zusammen mit Cem Özdemir an, ebenfalls ein Realo wie sie.
Özdemir ist zuständig für die harten Realitäten. Der "anatolische Schwabe", wie er sich selbst bezeichnet, will zu Beginn seiner Rede "erscht mal was sagen". Und zwar Dankeschön, ausgerechnet an die Polizei, zu der seine Partei traditionell kein allzu entspanntes Verhältnis pflegt. Seit der Armenien-Resolution des Bundestags zählt der Sohn türkischer Gastarbeiter zu den Lieblingsfeinden türkischer Nationalisten. Und muss ständig von Personenschützern begleitet werden. Wenn die Grünen bald wieder im Bund in der Verantwortung stünden, werde er für genügend Polizeikräfte im Land sorgen, sagt er. Gerade weil er aus einer muslimischen Familie stammt, so sagt der 51-Jährige in diesen Tagen immer wieder, würde er härter gegenüber dem Islamismus auftreten, als Union, SPD oder FDP dies tun.
Auch in der Flüchtlingspolitik ist es Özdemir, der in seiner Partei immer wieder aneckt. "Nicht jeder, der zu uns kommt, kann bleiben" – für die Aufnahme dieses Satzes ins grüne Parteiprogramm hat Özdemir nach eigenen Angaben streiten müssen. Abschiebungen sind für ihn kein Tabu. Viele der Positionen, die Özdemir ausbreitet, hinterlassen den Eindruck, dass sie sich schon integrieren ließen in einen Koalitionsvertrag, mit der Union und notfalls auch mit der FDP. Özdemir: "Wenn alle immer nur sagen, mit denen nicht, dann gibt es weiter die Große Koalition und die tut uns nicht gut." Eine Formulierung, die den grünen Traum von einer Rückkehr auf die Regierungsbank lebendig hält.
Die bisherigen Parteien-Portraits im Überblick
Bartsch und Wagenknecht (Die LINKE): Die Unnahbare und der Realo