Interview

Wohin es gehen soll: MVG-Chef Ingo Wortmann plant Tramlinien aus München heraus

Im großen AZ-Interview spricht MVG-Chef Ingo Wortmann über Busfahrer, die kaum Deutsch sprechen, neue Straßenbahnlinien über die Stadtgrenzen hinaus, die Zukunft des Deutschlandtickets – und den neuen Bahnhof Sendlinger Tor in München.
Felix Müller
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Sophie Anfang |
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MVG-Chef Ingo Wortmann.
MVG-Chef Ingo Wortmann. © Daniel von Loeper

MünchenDie Schlagzeilen für die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) könnten besser sein: Baustellen überall, Notfahrpläne, Personalmangel und ein Millionenverlust. 

MVG-Chef Ingo Wortmann übt sich dennoch in Optimismus. Im AZ-Interview erklärt er, wie das städtische Unternehmen die Herausforderungen der Zukunft meistern will – und wie er die Zukunft des Deutschlandtickets sieht.

AZ: Herr Wortmann, wir haben Sie am ersten Wiesn-Samstag auf der Festwiese gesichtet. Ernsthaft mit der U-Bahn angereist – oder doch eher mit dem Taxi?
INGO WORTMANN: Mit der U-Bahn. Ich wohne in Laim und bin einfach nur zur Schwanthalerhöhe gefahren. War alles ganz angenehm.

Ingo Wortmann ehrlich: "Uns fehlen Busfahrer und Werkstätten-Personal bei der Tram"

Wie schwierig war es mit all Ihren Personalproblemen, für die Wiesn-Zeit einen machbaren Fahrplan zu organisieren?
Wir reparieren die Fahrzeuge intensiv in den Sommerferien, auch, damit wir zur Wiesn-Zeit ausreichend zur Verfügung haben. Und: Bei der U-Bahn haben wir derzeit ausreichend Fahrerinnen und Fahrer zur Verfügung. Der Krankenstand ist auch niedriger als im Vorjahr.

Also alles easy, kein Problem?
Na ja. Vor allem beim Bus fehlen uns Fahrer. Und bei der Tram fehlt Personal in den Werkstätten.

Ingo Wortmann beim Interview in der Redaktion mit den AZ-Lokalchefs Sophie Anfang und Felix Müller
Ingo Wortmann beim Interview in der Redaktion mit den AZ-Lokalchefs Sophie Anfang und Felix Müller © Daniel von Loeper

Sie haben angekündigt, Studenten als Tramfahrer anzuwerben. Wie läuft das an?
Wir haben viele Interessenten. Voraussichtlich im Februar startet der erste Kurs.

Was sind andere Ideen gegen den Personalmangel?
Wir bauen mit anderen deutschen Verkehrsunternehmen eine Akademie für Fahrpersonal in Hamm auf, um zentral Menschen anwerben und ausbilden zu können. In München wollen wir Rentnerinnen und Rentner zurück ans Steuer holen. Viele sind ja kerngesund und haben die Arbeit gerne gemacht. Und: Wir werden künftig auch schon Ausbildungen in Teilzeit anbieten. Außerdem werben wir gezielt im Ausland an.

"Bei den Busfahrern müssen wir mit schlechteren Deutschkenntnissen vorlieb nehmen"

Wie kann man sich das vorstellen?
Aktuell sind wir mit einem Dienstleister in Spanien tätig, der zum Beispiel auf Jobmessen unterwegs ist und das Personal für uns bereits in Spanien ausbildet. Wir machen bald einen ersten Testlauf mit 20 Leuten. Ich hoffe, dass möglichst viele von ihnen tatsächlich in München anfangen.

Warum Spanien?
Wir schauen in Europa, für wen der Standort München attraktiv ist. Natürlich haben wir für viele Regionen in Europa ein vergleichsweise hohes Lohnniveau. Wir diskutieren auch, Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer aus Tschechien anzuwerben. Dorthin ist das Lohngefälle enorm und West-Tschechien ist ja nahe an Bayern. Uns muss es aber unbedingt gelingen, den Leuten auch Wohnungen anzubieten.

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Senken Sie Standards bei Bewerbern ab?
Unsere Busfahrerinnen und Busfahrer verkaufen keine Fahrkarten. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich in Zukunft mit schlechteren Deutschkenntnissen werden vorlieb nehmen müssen, um den Personalmangel abzumildern. Bei der fahrerischen Qualität machen wir selbstverständlich keine Abstriche.

Zu den Werkswohnungen. Können Sie überhaupt noch viele bauen, der Platz ist ja sehr knapp in der Stadt und die Baukosten sind zuletzt explodiert?
Ja, die Baukosten sind ein Problem. Aber wir können mit guten, geeigneten Mietmodellen weiterbauen, davon bin ich überzeugt.

Bei der U3 und der U6 läuft noch die erste Sanierungswelle

Wie sollen die denn funktionieren, so, dass auch die Busfahrer in Stadtwerke-Wohnungen wohnen können?
Wir vermieten ja nicht nur an Busfahrer, sondern auch an Ingenieurinnen und Ingenieure, die in ganz anderen Gehaltsklassen sind und mehr bezahlen können. Und: Wir haben mehrere Standorte im Auge.

Stichwort U3 und U6, nach zwei Sommern mit ewigen Sperrungen: Können die Fahrgäste hier endlich durchschnaufen?
Es ist unser ältester Abschnitt, der älteste Tunnel dort wurde ja schon vor dem Krieg gebaut. Nun sind wir hier in der ersten Sanierungswelle. Es gibt noch Schwerpunktarbeiten zu erledigen.

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Also wieder Chaos-Wochen im Sommer 2024?
Nein, erst 2025 und 2026 stehen hier Weichenarbeiten an. Stand jetzt haben wir nächstes Jahr keine größeren Einschränkungen.

Was steht 2024 an?
Wir können zum Beispiel voraussichtlich die Prielmayerstraße von Ende Februar bis Juli nicht mit der Tram befahren, weil der Karstadt abgerissen wird. Theoretisch kann man das recht einfach umfahren über die Bayerstraße, aber da sind wir noch in der Abstimmung mit der Stadt wegen der Ampelschaltungen.

MVG-Chef Wortmann: "Tramstrecken kann man zügiger umsetzen als den Tunnelbau für U-Bahnen"

Wird es noch weitere Großbaustellen geben?
Ja, am Romanplatz. Da sperren wir Richtung Arnulfstraße, bauen das Gleisdreieck für die Westtangente.

Der Nymphenburger wird sich sagen: Das hätten die doch bei der ewigen Baustellensperrung für die Haltestelle Romanplatz gleich mit erledigen können!
Da war alles noch zu unklar, der Planfeststellungsbeschluss noch nicht da. Da hätten wir Weichenanlagen gebaut, die wir vielleicht später wieder hätten umbauen müssen.

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Schon Ende 2025 soll ein Abschnitt der Tram-Westtangente in Betrieb gehen. Ist das echt realistisch?
Ja, der Abschnitt zwischen Agnes-Bernauer-/Fürstenrieder Straße und Ammerseestraße.

Das könnte manchem Politiker in Erinnerung rufen, wie viel schneller Tram- als U-Bahn-Strecken fertig werden können.
Ja, wenn die Rahmenbedingungen klar sind, kann man Tramstrecken zügiger umsetzen. Tunnelbau für U-Bahnen ist viel komplexer.

Die MVG plant Tramlinien nach Dachau und Daglfing

Wo sehen Sie noch Potenzial für neue Trambahnen?
Wir haben ein Programm erarbeitet und untersuchen das nun mit Machbarkeitsstudien.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel eine Tram nach Dachau. Und eine von Berg am Laim nach Daglfing.

Sind diese Trassen sinnvoll? Realistisch?
Auf jeden Fall. Ich befürworte auch eine Tram nach Haar über die Wasserburger Landstraße.

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Zentral in der Stadt gibt es hingegen kein Potenzial mehr für die Tram?
In der Innenstadt steht im Vordergrund, dass wir die bestehende Tram ertüchtigen. Indem wir zum Beispiel Haltestellen barrierefrei machen. Gut wäre auch noch die ein oder andere Tramschleife, damit wir bei Störungen wenden können, flexibler werden. Am Sendlinger Tor muss die Tramschleife auch leistungsfähiger werden.

"Wenn wir einen wirklichen U-Bahn-Ausbau wollen, brauchen wir sehr viel Geld"

Wenn Sie das Sendlinger Tor ansprechen: Wann sind Sie im Sperrengeschoss endlich fertig, wann ist Schluss mit dem Labyrinth, dem ständigen Verlaufen?
Im Untergrund werden wir das meiste zum Jahresende erledigt haben. Dann ziehen auch die ersten Geschäfte ein.

Bleibt es dabei, dass es hier auch nach 20 Uhr kleine Einkaufsmöglichkeiten geben wird?
Die Ladenflächen müssen von Montag bis Samstag jeweils von 8 bis 20 Uhr geöffnet haben. Außerhalb dieser Öffnungszeiten können die Betreiber entsprechend den gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen ihre Geschäfte öffnen.

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Die Stadtsparkasse hat vor Längerem angekündigt, viele neue Geldautomaten in Sperrengeschossen einrichten zu wollen. Viel gesehen haben wir davon noch nicht. Wie geht dieses Projekt voran?
Da kann ich leider keine großen Hoffnungen machen. Geldautomaten im Zwischengeschoss sind heute nicht mehr ohne weiteres genehmigungsfähig, außerdem müssten wir ein Vergabeverfahren machen.

Kommen wir zum Ausbau des U-Bahn-Netzes. Wie realistisch ist die U-Bahn von Laim nach Pasing, wie realistisch der Bau der U9 von der Implerstraße über Wiesn und Hauptbahnhof zur Münchner Freiheit?
Wenn wir einen wirklichen U-Bahn-Ausbau wollen, brauchen wir sehr viel Geld. Viel mehr Geld, als der Bund aktuell bereit ist, zu geben. Trotzdem halte ich auch den Bau der U9 für realistisch. Allerdings müssen wir uns wohl darauf einstellen, dass es lange dauern kann.

Ingo Wortmann zum Deutschlandticket: "Bund und Länder müssen zahlen"

Zum Deutschlandticket. Wie realistisch ist es, dass es das 2024 noch gibt? Und wenn ja, zu welchem Preis?
Meine Einschätzung: a) Es muss es weiter geben, b) Es darf erstmal nicht teurer werden. Alles andere kann man doch den Kunden nicht erzählen!

Na ja, die Politik hat es vorsichtshalber nie 49-Euro-Ticket genannt.
Klar, es wird auch auf Dauer nicht so günstig sein. Aber gleich nach einem halben Jahr teurer? Das geht doch nicht.

Aber?
Bund und Länder müssen zahlen. Bisher haben wir ja nur die Zusage, dass sie die Mindereinnahmen für dieses Jahr übernehmen. Das reicht aber nicht. Mit dem konkret zugesagten Geld müsste das Ticket nächstes Jahr mindestens 59 Euro kosten.

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Sie haben angekündigt, weitere Fahrscheinautomaten abzubauen. Wie lange wird es noch welche geben?
Wir gehen davon aus, dass am Ende dieses Jahrzehnts 73 Prozent der Verkäufe digital sind. Wir brauchen eine Rückzugsstrategie.

Aber in zehn Jahren wird es noch an jedem U-Bahnhof einen Automaten geben?
Aktuell planen wir mit halb so vielen wie bisher. Das heißt einen an jedem U-Bahn-Eingang statt bisher zwei. Der schlimmste Fall ist also: Wenn einer kaputt ist, muss man zur anderen Seite laufen.

MVV-Zuwachs im Winter: "Mehr Einpendler mit der Bahn sind ja auch eine Chance"

Wie sieht es mit den Automaten in Tram und Bus aus?
Das diskutieren wir gerade. Sie sind relativ teuer und haben geringen Umsatz. Eventuell läuft es darauf raus, dass man nur noch mit Karte zahlen kann.

Der MVV wächst im Winter. Für die Münchner droht dann vor allem, dass morgens um halb neun noch mehr Rosenheimer am Ostbahnhof in die U5 drängen – oder fällt Ihnen auch ein Vorteil ein?
Mehr Einpendler mit der Bahn sind ja auch eine Chance! Wenn die Leute tatsächlich nicht mehr mit dem Auto in die Stadt fahren, ist das doch gut für die Münchner. Die Frage ist, nachdem es das Deutschlandticket gibt: Wie groß sind die zusätzlichen Effekte überhaupt noch?

Gilt ja auch andersrum: Wer regelmäßig in der Stadt U-Bahn fährt, konnte jetzt ja auch schon mit dem Deutschlandticket über den MVV hinaus in die Berge fahren.
Genau.

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"Im heutigen MVV haben wir ein tolles System", betont MVG-Chef Ingo Wortmann

Also gibt es aus Münchner Fahrgast-Sicht eigentlich gar keinen Vorteil mehr durch die MVV-Erweiterung?
Alle, die kein Deutschlandticket haben können mit MVV-Tickets einfach weiter fahren – ohne Tarifgrenzen zu überschreiten.

Und die Busse in den neuen MVV-Landkreisen sind besser auf die Züge aus München abgestimmt, nicht mehr gerade weg, wenn man ankommt. Oder?
So ist es gedacht. Aber die Vertaktung zu verbessern, kostet die Landkreise viel Geld. Das passiert nicht automatisch.

Sie warnen da vor zu großen Erwartungen?
In der Tat. Im heutigen MVV haben wir ein tolles System. Wenn Sie von der S-Bahn zum Kloster Andechs wollen, bekommen Sie immer problemlos einen Bus. Dass das Ende Dezember plötzlich im letzten Winkel des Landkreises Rosenheim so der Fall ist – das glaube ich ehrlich gesagt nicht.

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19 Kommentare
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  • Leo99 am 25.09.2023 22:02 Uhr / Bewertung:

    Meine Empfehlung an den MVG-Chef, Herrn Wortmann bzgl. neuer Tram-Linien:
    Statt der beiden Bus-Linien 164 und 165 vom Westfriedhof nach Untermenzing eine neue Tram-Linie. Damit könnte durch den Ersatz dieser beiden stark frequentierten Bus-Linien viel CO2 eingespart werden. Die dazu verfügbaren Straßenzüge vom Westfriedhof über die Baldurstraße, Nederlingerstraße, Allacherstraße und Von-Kahr-Straße bis zum Friedhof Untermenzing würden sich - nicht nur meiner Meinung nach - hervorragend eignen für die Einrichtung einer neuen Tram-Linie.
    Pack ma 's an, Herr Wortmann?

  • Grafiker am 24.09.2023 20:31 Uhr / Bewertung:

    Die MVV ist ein tolles System? Da hat einer ja richtig gute Glückshormone zu sich genommen. Stundenten und Rentner als Trambahnfahrer?? Das nenn ich Hilflosigkeit! Spanische und tschechische Busfahrer, wow! Erweiterung bis Dachau?? ok, also Utopie pur. Bitte auf den Boden der Tatsachen kommen und erst Probleme sinnvoll lösen als an Neubauten zu denken. Da wird schon fast im ganzen Text von Geldnot gesprochen und man denkt an Erweiterungen. Bitte erstmal das aktuelle Netz Klarschiff machen und vor allem diesen sinnlosen Tarifdschungel auf dem Netzplan entfernten. Bitte Berlin als Vorbild nehmen. Tarif A,B,C und fertig! Und das Thema Pünktlichkeit reformieren. Bringt nichts ab Ostbahnhof nochmals eine hohe Anzahl an Menschen in die U Bahn zu setzten, wenn diese nicht pünktlich ist! Und bitte auch die Mitarbeiter schulen freundlich und rücksichtsvoll zu sein. Aktuell einfach nur Drama!!!

  • (Symbolbild) am 24.09.2023 17:19 Uhr / Bewertung:

    "Na ja, die Politik hat es vorsichtshalber nie 49-Euro-Ticket genannt. ... Mit dem konkret zugesagten Geld müsste das Ticket nächstes Jahr mindestens 59 Euro kosten."

    Für den Gelegenheitsfahrer ist das Ticket leider für 49 und für 59 Euro gleichermaßen unattraktiv. Da nimmt man am Ende doch wieder das Auto.

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