Bau der Tram-Nordtangente in München: Anwohner kämpfen um 150 Bäume
Johanneskirchen - Andreja Ruppert lebt seit 35 Jahren in Johanneskirchen und wird im Gespräch mit der AZ spürbar emotional, wenn es um den Abschnitt der Tram-Nordtangente im Stadtteil des Bezirks Bogenhausen geht.
"Das Thema ist so vielfältig, und es beschäftigt uns, seit wir wissen, dass die Tram gebaut wird", sagt die 61-Jährige der AZ und fügt hinzu: "Wir sind nicht gegen die Tram als umweltfreundliches Verkehrsmittel! Aber kurz gesagt ist es eine Katastrophe, wenn für eine rund 700 Meter lange Trasse knapp 150 Bäume gefällt werden müssen."
Tram-Nordtangente in Johanneskirchen: Zwei weitere Infoveranstaltungen stehen an
Mit "wir" meint die Fotografin eine kleine Gruppe von betroffenen Anwohnern, die sich privat zusammengetan haben, weil sie nicht verstehen, was da unter anderem von den Münchner Stadtwerken (SWM), der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und der Deutschen Bahn (DB) so geplant wird.

Im Juli 2022 hatte die Vollversammlung des Münchner Stadtrats die Stadtwerke und die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt München damit beauftragt, die Planungen für die Tram-Nordtangente im Abschnitt Johanneskirchen abzuschließen und die Baugenehmigung bei der Regierung von Oberbayern einzureichen.
Jetzt sehen die betroffenen Bürger den öffentlichen Infoveranstaltungen mit einem flauen Gefühl im Magen entgegen: Das Ressort Mobilität der Stadtwerke lädt dazu für den 20. Juli sowie den darauffolgenden Donnerstag (27. Juli) ein und weist vorab auf die im September beginnenden Maßnahmen hin, bei denen Versorgungsleitungen im Boden neu verlegt und das Baufeld für den Gleisbau vorbereitet werden.
"Bei der Einladung wurde wohl übersehen, die Baumfällungen zu erwähnen", gab Andreja Ruppert zu bedenken. Ihr liege eine E-Mail vor, die Ruth-Beatrice Lang verfasst habe. Die stellvertretende Projektleitung Großprojekte (Tram Johanneskirchen) bei der MVG teile darin mit, dass die besagten Baumfällungen für Anfang Oktober vorgesehen seien.
Naturschützer Martin Hänsel: "ÖPNV und Baumschutz werden gegeneinander ausgespielt"
"Wir müssen leider bei vielen schon älteren Planungen der Stadt feststellen, dass diese mit Blick auf den Klimawandel nicht zeitgemäß sind", sagt Martin Hänsel, Geschäftsführer des Bund Naturschutz, Kreisgruppe München, der AZ.
Die Baumbilanz in München falle ohnehin negativ aus, da könne es laut Hänsel nicht sein, dass man alten Baumbestand aufgebe, ohne nach anderen Lösungen zu suchen: "Die nachgepflanzten Bäume werden den ökologischen Wert eines 40 bis 60 Jahren alten Baumes erst sehr, sehr viel später erlangen. Hier werden obendrein noch ÖPNV und Baumschutz gegeneinander ausgespielt."
SWM-Sprecher Kaltner: "Mindestens 145 Bäume müssen entfernt werden"
Bezirksausschuss und Öffentlichkeit seien rechtzeitig informiert worden, betont indes MVG-Pressereferent Maximilian Kaltner auf AZ-Anfrage. "Bei der Öffentlichkeitsveranstaltung im Juli 2022 haben wir darüber informiert, dass mindestens 145 Bäume entfernt werden müssen. Das ist auch Teil des Trassierungsbeschlusses, der im Juli 2022 im Stadtrat gefasst wurde."
Die Fällungen seien vom Referat für Gartenbau und der Unteren Naturschutzbehörde genehmigt worden, etwa 150 Bäume im Umfeld der Baustelle blieben erhalten. 34 Bäume werden demnach im Oktober gefällt, die restlichen Bäume voraussichtlich zum Jahreswechsel 2024/2025.

Kaltner: "Insgesamt fallen 89 Bäume unter die Münchner Baumschutzverordnung. Für diese müssen Ersatzpflanzungen erfolgen." Man pflanze 50 Bäume mehr, also würden insgesamt 139 Bäume neu gepflanzt.
Anwohnerin bezweifelt Sinn der Trambahn-Maßnahme
Die bauvorbereitenden Maßnahmen sollen demnach bis Ende 2024 abgeschlossen sein, danach soll mit dem Bau begonnen werden. Die Inbetriebnahme sei für Ende 2025 vorgesehen.
"Abgesehen davon, dass so das Habitat zum Beispiel von Vögeln, Fledermäusen, Eichhörnchen und Insekten zerstört wird, ist uns bislang niemand begegnet, der den Sinn dieses Projekts versteht, zumal es sehr gute Busverbindungen zum S-Bahnhof Johanneskirchen gibt, der von der Deutschen Bahn außerdem nicht vor dem viergleisigen Ausbau der Strecke barrierefrei umgebaut werden wird", argumentiert Andreja Ruppert. Zudem solle die deshalb notwendige Wendeschleife nur temporär betrieben und nach dem Ausbau der S-Bahn wieder zurück gebaut werden: "Das wird immens teuer!"

Der Neubauteil der Tram-Nordtangente besteht aus drei Planungsabschnitten. Neben den Teilen "Elisabethplatz-Tivolistraße" und "Giselastraße-Münchner Freiheit" geht es noch um den besagten Abschnitt Johanneskirchner Straße. Die Teilstrecke in Johanneskirchen zweigt den MVG-Plänen zufolge von der bestehenden Tram-Verbindung nach St. Emmeram von der Cosimastraße nach Osten ab.
Anwohner: "Es ist völliger Unfug, das jetzt hier so umzusetzen"
Die Trasse führt durch die Johanneskirchner Straße zum S-Bahnhof Johanneskirchen. Hier soll eine Wendeschleife für die Straßenbahn samt Bushaltestellen entstehen. "Die circa ein Kilometer lange Strecke sorgt für eine deutliche Verbesserung im ÖPNV: Fahrgäste haben über die S-Bahn-Station Johanneskirchen eine gute Anbindung ans Umland und kommen mit der S8 bequem zum Flughafen. Zudem besteht die Möglichkeit, die Tramlinie später nach Osten zu erweitern – nach einem möglichen viergleisigen Ausbau der Bahnstrecke Daglfing-Johanneskirchen", heißt es seitens der MVG zum Bauprojekt.

Anwohner Herbert Gerhard Schön (61) findet, dass die Verantwortlichen viel Zeit und Geld verschwenden, weil sie das Pferd am falschen Ende aufzäumen: "Es ist völliger Unfug, das jetzt hier so umzusetzen. Nachdem der viergleisige Ausbau der S8-Trasse erst nach 2038 stattfinden soll und es bisher auch noch völlig offen ist, ob es ein Tunnel sein wird oder die Gleise oben bleiben, sollte auch die Verlängerung der Johanneskirchner Straße über bzw. unter der neuen Bahntrasse mit bedacht werden." Dazu hätten sich die MVG und die Münchner Stadtverwaltung noch nie klar geäußert, erklärt Schön.
MVG-Sprecher Kaltner: Verlängerung der Trambahn-Trasse später denkbar
"Zwischen SWM/MVG und DB laufen Abstimmungen bezüglich der beiden Projekte. Laut unserem Kenntnisstand geht die DB aktuell von einem Baubeginn Mitte der 2030er aus. Das bedeutet, dass unsere Tram im Abschnitt Johanneskirchen je nach Bauzeit der DB für voraussichtlich mindestens 18 Jahre uneingeschränkt betrieben werden kann", teilt MVG-Sprecher Kaltner dazu mit.
Perspektivisch sei im Rahmen der Planungen SEM Nordost eine Verlängerung des Abschnitts Johanneskirchen möglich: "Dann wäre eine Verlängerung der Trasse denkbar, die Wendeschleife würde dann zurück gebaut", so Kaltner.
Imbiss-Besitzer Pecenek: "Mir wurde eine Lösung versprochen, jetzt passiert einfach nichts"
Nezemi Pecenek bangt angesichts der Planungen um seine Existenz, am 1. September fällt für den 40-Jährigen und seine elf Mitarbeiter Stand jetzt der letzte Vorhang. Seit 2014 betreibt Pecenek an der Ecke Freischützstraße/Johanneskirchner Straße seine Grillstation, die seit langem schon der einzige Imbiss für die Anwohner ist. "Mir wurde eine Lösung versprochen, jetzt passiert einfach nichts, die Referate schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu und man findet einfach keinen anderen Platz für meine Grillstation", sagt er der AZ.
Aktuell liegt die Fläche im Hoheitsgebiet des Kommunalreferats der Stadt, mit Baubeginn ist vermutlich das Baureferat verantwortlich, später dann das Kreisverwaltungsreferat.
Für Verbleib der Grillstation: Unterschriftenaktion und BA-Dringlichkeitsantrag
1.700 Bürger setzten sich mit einer Unterschriftenliste für den Verbleib der Grillstation ein, der Bezirksausschuss Bogenhausen stellte einen interfraktionellen Dringlichkeitsantrag zur Sicherung des Standorts.
Darin heißt es: "Der Oberbürgermeister, die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), das Kommunalreferat, das Baureferat und das Kreisverwaltungsreferat (KVR) werden aufgefordert, dem Bezirksausschuss unverzüglich darzustellen, wie der Erhalt der Grillstation während der Ausbauphase der Tram Johanneskirchen und die Wiederansiedlung in der Wendeschleife nach dem Ausbau sichergestellt werden. Dies hatte der Bezirksausschuss bereits einstimmig gefordert, und dies war ihm nach eigenen Angaben bei der Ortsbegehung am 11. Mai noch einmal zugesichert worden."
Nezemi Pecenek will nicht länger hingehalten werden. Nachdem die MVG bereits Lösungsvorschläge gemacht hatte, wurden diese offensichtlich von anderen Referaten blockiert. "Was kann ich denn tun, damit ich Planungssicherheit bekomme? Es muss sich halt mal jemand darum kümmern!", sagte der Familienvater sichtlich aufgebracht und verzweifelt.
Alle Unterlagen zum Planfeststellungsauftrag finden Sie unter diesem Link.