"Was macht ihr eigentlich?": Kippt die Stimmung in Moosach bei der Landtagswahl?
Moosach – "Darf ich mal eine blöde Frage stellen", will ein Teenager-Junge wissen: "Was macht ihr eigentlich?" Er trägt einen kleinen Stecker im Ohrläppchen, sein schwarzes Haar ist streng gescheitelt, wie mit dem Lineal gezogen. "Ich arbeite im Landtag. Das ist so etwas wie der Bundestag, nur für Bayern", sagt Benjamin Adjei von den Grünen. Er sitzt auf einer Couch in einem Jugendzentrum im Hasenbergl. Es gibt Pizza, da ist ein Billard-Tisch, es läuft amerikanischer Rap.
Für Adjei ist gerade Wahlkampf, er kandidiert wieder im Stimmkreis Moosach, den er beim letzten Mal mit nur 63 Stimmen Vorsprung zur CSU-Kandidatin gewann. Auch das Hasenbergl gehört zu seinem Stimmkreis, allerdings war beim letzten Mal nirgendwo die Wahlbeteiligung so gering wie hier. Nur 35,6 Prozent gaben ihre Stimme ab. Und die Teenager in dem Jugendzentrum dürfen sowieso nicht wählen. Trotzdem hört Adjei zu.
Benjamin Adjei will sich in Moosach anschauen, "was junge Leute bewegt"
Er erfährt, dass es kaum Orte gibt, an dem sich die Jugendlichen im Hasenbergl sonst treffen könnten. Wenn das Jugendzentrum schließt, gehts zum Späti, ein Kiosk, der erst um Mitternacht schließt. Ein Freibad gibt es im Hasenbergl nicht. Und ein schönes Café fällt auch keinem ein. "Als Abgeordneter", sagt Adjei, "ist es wichtig, sich vor Ort anzuschauen, was junge Leute bewegt."
Er ist selbst erst 33 Jahre alt. Bevor Adjei Abgeordneter wurde, studierte er an der Hochschule München, spezialisiert auf Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz. Später arbeitete er in einer mittelständischen IT-Beratung. Sein politischer Schwerpunkt liegt auf Digitalisierung. Aber er kann auch viel darüber sprechen, warum im Münchner Norden prozentual weniger Kinder auf ein Gymnasium gehen als anderswo in der Stadt.
SPD-Kandidatin Diana Stachowitz fordert eine "Sanierungsoffensive" für Sportstätten
"Das liegt nicht daran, dass die Kinder im Hasenbergl dümmer wären. Sondern daran, dass der Freistaat eine gute Sozialpolitik leisten müsste", sagt er. Dazu gehören für ihn nicht nur mehr Lehrer und Sozialarbeiter, sondern auch mehr Treffpunkte, mehr Schwimmbäder. Bei solchen Forderungen klingt Adjei ganz ähnlich wie Diana Stachowitz. Die 60-jährige Landtagsabgeordnete ist die Kandidatin der SPD in dem Stimmkreis.
Auch sie fordert eine "Sanierungsoffensive" des Freistaats für Sportstätten. Um den Personalmangel an Schulen in den Griff zu bekommen, könnten "multiprofessionelle Teams" helfen, glaubt sie. Dahinter steckt die Idee, dass Sozialarbeiter, Psychologen, ITler, und Trainer aus Sportvereinen Lehrer entlasten sollen.

Keine SPD-Kandidatin aus München ist auf der Liste so prominent platziert wie Stachowitz
Dass sie das Direktmandat in Moosach holen könnte, daran glaubt Stachowitz nicht. Sie hofft, wie beim letzten Mal über die Liste einzuziehen. Sie steht auf Platz 8 auf der Oberbayern-Liste, keine andere Münchner SPDlerin ist so prominent platziert. Seit 2008 sitzt Stachowitz im Landtag, davor war sie Stadträtin und kümmerte sich da vor allem um Sportpolitik.
Sie weiß aus dieser Zeit noch, dass die Stadt immer mehr Sporthallen baut, als sie müsste, damit nicht nur Schulen, sondern auch Vereine diese nutzen können. Der Freistaat übernehme diese Kosten nicht. Und sie weiß auch, dass die Stadt viel Geld für die Asylsozialbetreuung ausgibt. Der Freistaat bezahlt nur ein Viertel der Kosten. Gleichzeitig hat er die Sprachlernklassen, in denen geflüchtete Kinder integriert werden, abgeschafft, sagt Stachowitz. "Aber gerade in Vierteln wie dem Hasenbergl wären die wichtig."
Alexander Dietrich von der CSU macht Wahlkampf am Walter-Sedlmayr-Platz
Stachowitz beobachtet, dass sich die Stimmung verändert hat. In die Siedlung Hartmannshofen, wo der Freistaat jahrelang um die 40 Häuser leerstehen und verfallen ließ, sollen Asylbewerber einziehen. Manche Anwohner fordern eine bessere Verteilung, erzählt Stachowitz. "Das sind keine Rassisten. Aber es gibt Sorgen und da will ich auch gerne zuhören."
Von aufgebrachten Bürgern habe er noch nichts gehört, sagt Benjamin Adjei. Viel mehr ist er davon überzeugt, dass er mit seinen Anfragen dazu beigetragen hat, dass Stadt und Freistaat nun gemeinsam den Leerstand in Hartmannshofen beenden. Am gleichen Nachmittag, an dem Benjamin Adjei im Jugendzentrum im Hasenbergl sitzt, macht Alexander Dietrich von der CSU eine Wahlkampf-Tour durch den Stimmkreis. Er schaut sich die Toiletten-Situation am Walter-Sedlmayr-Platz in Feldmoching an und den Bahnübergang an der Fasanerie.
Sogar eine kleine Zeitung zur Landtagswahl hat Dietrich produzieren lassen
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er für die CSU das Direktmandat zurückholt, das geben selbst Grüne zu. Dietrich ist im Stimmkreis im Rotkreuzkrankenhaus in Neuhausen geboren und in der Borstei aufgewachsen. Das erzählt er gerne, wohl auch, weil ihn das von seinem Grünen-Konkurrenten unterscheidet. Fast 20 Jahre war er Mitglied des Moosacher Bezirksausschuss. Und er war bis Sommer 2022 als Personalreferent für die städtischen Beschäftigten zuständig. Inzwischen arbeitet er wieder als Oberstaatsanwalt.
Für den Wahlkampf hat er sich jedoch beurlauben lassen. Dietrich macht nicht nur Haustürwahlkampf und Stadtteilspaziergänge – er verteilt sogar seine eigene kleine Zeitung zur Landtagswahl, mit Grußwort von der Landtagspräsidentin Ilse Aigner auf Seite 1 und dem Schweinsbraten-Rezept seiner Oma auf Seite 4. Schließlich stammt er aus einer alten Münchner Metzgerfamilie.

Nachlesen kann man dort auch, wie Dietrich zum Thema Migration steht. "München nicht durch unkontrollierte Zuwanderung überfordern" lautet die Überschrift. Er wolle das Thema nicht der AfD überlassen, heißt es darin. Auch am Telefon erzählt Dietrich von Münchnern, die früher die Grünen gewählt hätten und die nun sauer sind über Asylbewerber in der Nachbarschaft.
Hat sich die Stimmung wirklich so gedreht? Zumindest erlebt Adjei etwas, von dem Dietrich nicht berichten kann: Dass seine Plakate "massiven Angriffen" ausgesetzt seien. Sogar die Ständer würden zerstört. Woran das liegt? An der CSU, glaubt Adjei: "Sie haben uns als Feinde ausgerufen, und schüren auf populistische Art den Kampf gegen uns Grüne."
Bei der letzten Wahl siegte Benjamin Adjei in Moosach – mit 63 Stimmen Vorsprung
Für die FDP kandidiert Felix Meyer, ein 31-Jähriger Rechtsanwalt und Mitglied des Bezirksausschusses Neuhausen-Nymphenburg. Er setzt sich zum Beispiel dafür ein, dass die Landshuter Allee einen Tunnel bekommt. Noch ein junger Kandidat geht für die Freien Wähler ins Rennen: Linus Springer ist 26, studiert Politikwissenschaften und arbeitet als Büroleiter von Michael Piazolo, Bayerns Kultusminister. Für die Linke kandidiert Achim Seeger (37), er ist Landesvorsitzender der Partei "Die Urbane – eine Hiphop-Partei".
Zum Stimmkreis München-Moosach (Stimmkreis 105) gehören die Bezirke Moosach, Feldmoching-Hasenbergl und Teile von Neuhausen-Nymphenburg. Bei der Wahl 2018 errang Benjamin Adjei (Grüne) mit 63 Stimmen vor Mechthilde Wittmann (CSU) das Direktmandat. Sie kam auf 26,1 Prozent. Dahinter lag die SPDlerin Diana Stachowitz (14,9 Prozent). Michael Groß (AfD) bekam 8,2 Prozent, so viel schaffte die AfD in keinem anderen Stimmkreis. Albert Duin (FDP) kam auf 7,9 Prozent, er zog in den Landtag ein.