Hanna-Prozess vor dem Aus? Angebliche Chatverläufe zwischen Richterin und Staatsanwalt aufgetaucht
Aschau/Traunstein - Um 22.59 Uhr platzte die Bombe. Cornelia Sattelberger, Sprecherin des Landgerichts Traunstein, verschickte am Montagabend eine brisante Pressemitteilung: "Gegen die Zweite Jugendkammer ist im Verfahren gegen Sebastian T. am heutigen Nachmittag ein Antrag der Verteidigung wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt worden."
Eigentlich hätte der Prozess schon vor Weihnachten zu Ende sein sollen. Dem Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft vor, die 23-jährige Hanna W. auf ihrem Heimweg vom Eiskeller in Aschau im Chiemgau aus sexuellen Motiven überfallen zu haben. Den leblosen Körper soll er in den Bärbach geworfen haben, wo Hanna schließlich ertrank.
Fall Hanna: Eigentlich hätte der Prozess längst enden sollen
Nun sollte nur noch über Beweisanträge entschieden werden, womöglich hätten am Prozesstag am Donnerstag bereits die Plädoyers angefangen. Nun ist der Zeitplan Makulatur und der ganze Prozess droht, neu aufgerollt zu werden.
In dem Antrag, der der AZ vorliegt, geht es um eine Email-Korrespondenz zwischen der Vorsitzenden Richterin Jacqueline Aßbichler und dem Staatsanwalt Wolfgang Fiedler einerseits, die Befangenheit zeigen soll – die beiden sind per du. "Wolfgang" gibt kund, "dass wir in unserem Plädoyer den gleichen Sachverhalt wie ihr zugrunde legen". Außerdem soll es um vier DNA-Gutachten gehen, die den Angeklagten entlastet hätten und nicht in die Beweisaufnahme eingegangen sein sollen.
Gab es Absprachen mit der Staatsanwaltschaft?
Aßbichler soll geantwortet haben: "Hallo Wolfgang, ich denke, dass die Aussage des M. zum Tötungsvorsatz ganz wichtig ist. Der Angeklagte sagte, er habe sie bewusstlos geschlagen, damit sie sich nicht wehren kann und er habe sie nicht töten wollen … damit gef KV in Tatmehrheit mit Mord." Damit ist wohl gefährliche Körperverletzung gemeint.
Genau genommen geht es bei einem Antrag nicht um eine tatsächliche Befangenheit – schon der bloße Anschein, dass dem so sein könnte, ist ausreichend: "Besorgnis der Befangenheit" heißt das im Juristendeutsch.
Wieder eine Unterbrechung
Über diesen Antrag muss zunächst durch die zuständige Vertretungskammer entschieden werden, bevor das Verfahren fortgeführt werden kann. Am Donnerstag werde es daher keine Verhandlung geben, sagt Sattelberger der AZ. Womöglich werde im Laufe dieser Woche entschieden.
Davon sei abhängig, ob die jetzige Kammer den Fall weiter verhandle oder ob der Prozess wieder neu beginnen müsse. "Wenn eine Kammer befangen ist, dann ist die Vertreterkammer dran. Das ist in Traunstein die Erste Jugendkammer." Also eben jene, die auch über den Befangenheitsantrag verhandelt.
Doch auch wenn die Kammer für nicht befangen erklärt werden sollte, kann der Antrag noch einmal kritisch werden. Mit einer Revision rechnen viele Prozessbeobachter, auch weil der Revisionsexperte Gerhard Strate offenbar die Verteidigung unterstützt. In diesem Fall wird der Bundesgerichtshof auch einen abgelehnten Revisionsantrag kritisch prüfen.
Familie misstraut der Richterin
Schon in den vergangenen Wochen konnte man den Eindruck bekommen, dass die Familie T. kein Vertrauen ins Gericht hat und es tatsächlich für befangen hält: Mehrere Familienmitglieder machten sich ausgiebige Notizen und taten ihre Wut und Zweifel an Äußerungen der Vorsitzenden Richterin etwa durch Schnauben und Augenrollen kund. Dem Vater entfuhr vor wenigen Prozesstagen die entnervte Bemerkung: "So wie das hier läuft...", als er vom Gericht gefragt worden war, ob er seine Google-Daten zur Verfügung stelle – zur möglichen Entlastung seines Sohnes.
Schwierige Situation für Hannas Eltern
Walter Holderle, Anwalt von Hannas Eltern, die als Nebenkläger auftreten, kennt den Antrag bislang nicht. "Daher können wir zum jetzigen Stand nichts dazu sagen", sagt Holderle. Sollte es zu einer erneuten Verzögerung des Verfahrens kommen, wäre das für Hannas Eltern belastend, so Holderle zur AZ.
Regina Rick, Wahlverteidigerin des Angeklagten, bestätigt der AZ, dass ein Befangenheitsantrag gestellt wurde. Zu den Inhalten will sie sich jedoch nicht äußern – vermutlich aus rechtlichen Gründen, schließlich geht es um Interna aus einem Mordprozess.
Damit könnte sich Rick auch selbst schaden. Sie verrät der AZ nur so viel: "Ich bin überzeugt davon, dass Herr T. mit dem Tod von Frau W. nichts zu tun hat. Es gibt absolut nichts, was gegen ihn spricht."
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