Durchschnittstyp oder abartig? So sieht der Gutachter den Angeklagten im Fall Hanna

Im Eiskeller-Mordprozess sagen der psychiatrische Gutachter und eine Psychologin über den Angeklagten aus. Er scheint nur leicht auffällig zu sein. Hat er dennoch im Affekt getötet?
Heidi Geyer |
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Der Angeklagte Sebastian T. im Sitzungssaal im Landgericht Traunstein.
Der Angeklagte Sebastian T. im Sitzungssaal im Landgericht Traunstein. © Foto: Heidi Geyer

Traunstein/Aschau - Eigentlich hätte der Mordprozess im sogenannten Eiskeller-Fall am Freitag enden sollen. Doch inzwischen befürchten die Journalisten, die über das Verfahren schreiben, dass schon die Tulpen blühen oder man im Chiemsee baden kann, wenn er endet. Denn immer neue Wendungen und Beweisanträge kommen zutage.

Dem 22-jährigen Sebastian T. wird vorgeworfen, in der Nacht auf den 3. Oktober 2022 die 23-jährige Medizinstudentin Hanna W. aus Aschau überfallen zu haben. Ein Mitgefangener hatte von einem Geständnis des Angeklagten berichtet, T. habe Hanna vergewaltigen wollen und sie im Bärbach "entsorgt", wo sie schließlich ertrank.

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Das perfekte Verbrechen? 

Es hätte das perfekte Verbrechen sein können. Es gibt weder Zeugen, noch Videoaufnahmen von der Tat. Mögliche DNA-Spuren hat das Wasser weggespült auf dem über zehn Kilometer langen Weg, den die Leiche der jungen Frau im Bärbach und dann in der Prien zurücklegte.

Hätte die Mutter von T. ihren Sohn nicht bei der Polizei als Zeugen gemeldet, weil er in jener Nacht gegen zwei Uhr joggen war, dürfte er nie ins Visier der Ermittler geraten sein.

Doch dann durchleuchteten die Polizisten das Umfeld von T. und seine Freundin Verena sagte aus, dass er nicht nur Täterwissen gehabt, sondern auch die Tat gestanden haben soll. So kam immer mehr ans Licht, aus dem Zeugen wurde ein Verdächtiger, der seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt.

Wer ist dieser unbescheinbare junge Mann, der seit Beginn der Verhandlung schweigt? Stets trägt er dieselbe Daunenjacke, nahezu regungslos verfolgt er den Prozess. Stets wird er als höflich und ruhig beschrieben, aber eben auch als Einzelgänger.

Das hatten Mithäftlinge, Freunde und Arbeitskollegen ausgesagt und zu einem ebensolchen Schluss kommen auch die Gutachter Nicole Liwon und Rainer Huppert. Anhand von psychologischen Testverfahren gelangt Liwon zu dem Ergebnis, dass T. zwar knapp bis noch durchschnittlich intelligent sei, aber durchaus über ein gutes Gedächtnis verfüge. Auch "sexuelle Auffälligkeiten" gebe es nicht. Lediglich eine "depressive Verstimmung in diskretem Umfang" konnte Liwon feststellen, dies möge aber an der Inhaftierung liegen.

Der Nervenarzt und Kinder- und Jugendpsychiater Huppert hat sich mehrfach mit T. getroffen, außerdem Akten aus der Kindheit und Jugend des Angeklagten gelesen. Ihm gegenüber habe er die Tat "stets bestritten."

ADHS, also eine Aufmerksamkeits-Defizitstörung, sei bei T. in der Kindheit festgestellt worden. Offenbar habe er sehr darunter und der vermutlich daraus folgenden sozialen Isolation gelitten. "Herr T. war ganz wenig in der Lage, sich Hilfe zu holen. Er hat das mehr oder weniger mit sich selbst ausgemacht", sagt Huppert.

Keine abnormalen Sexfantasien

Von "suizidalen Tendenzen" spricht der Gutachter. Aber auch davon, dass T. die Störung mit einem Verhalten als "Klassenclown", kompensiert habe. Doch in der Familie habe sich T. immer sehr gut aufgehoben gefühlt.

Der Psychiater stellt beim Angeklagten zwar gewisse Auffälligkeiten fest, aber nichts, was sich zu einer Persönlichkeitsstörung verdichten würde, ebenso keine "schwer abnormen Sexualfantasien".

Also alles ganz normal und im Rahmen? Was Huppert schon überrascht hat, ist die Tatsache, dass T. nach einem gemeinsamen Termin bei einem Wutausbruch so gegen die Wand geschlagen hat, dass er sich dabei die Hand gebrochen hat. Ausgerechnet um dessen Sexualleben und sein erfolgloses Verhältnis zu Frauen sei es an jenem Tag gegangen.

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"Das was wir auf dem Handy gesehen haben", das habe ihn ebenfalls sehr überrascht, sagt Huppert. Zu 97 Prozent waren dort pornografische Seiten nachgewiesen worden.

Heranwachsender mit Entwicklungsverzögerungen

In einem sind sich die Gutachter wie auch die Jugendgerichtshilfe einig: T. hat sich langsamer als andere in seinem Alter entwickelt. Er dürfte also im Falle einer Verurteilung als Jugendlicher gelten. Sollte es so kommen, müsste er maximal 15 Jahre in Haft. Zwar entlastet das Gutachten den Angeklagten. Huppert sagt aber auch, dass aus seiner Erfahrung grundsätzlich eine Affekthandlung aus einer massiven Kränkung heraus möglich sei: "Es wäre denkbar."

Hannas Eltern werden nun das zweite Weihnachtsfest ohne ihre Tochter verbringen. Und wissen immer noch nicht, was in jener Nacht wirklich passiert ist.

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