"Vorgehensweise, die mich etwas befremdet": Anwalt von Hannas Eltern spricht in der AZ Klartext
Traunstein - Was passierte in den letzten Stunden von Hannas Leben? Klar ist nur, dass ihre Leiche in der Prien gefunden wurde, die 23-Jährige am Abend zuvor im Aschauer Eiskeller feiern war. Anwalt Walter Holderle vertritt Hannas Eltern, die Nebenkläger im Mordprozess sind. Im exklusiven AZ-Interview verrät der Jurist, welche Frage im Prozess noch offen sind und wie endlich Licht ins Dunkel kommen könnte.
AZ: Herr Holderle, wo steht der Mordprozess nach dem 17. Verhandlungstag?
WALTER HOLDERLE: Wir sind mitten in einem Strafverfahren, in dem das Ende aktuell noch nicht absehbar ist – gerade auch wenn ich mir die Überraschungen des Dienstags anschaue.
Rechnen Sie damit, dass der Prozess sich bis zum Sommer hinzieht?
Das ist derzeit reine Spekulation. Die Verteidigerin des Angeklagten mutmaßt offenbar, dass es noch weitere Informationen und Spuren gibt. Ihre Strategie scheint zu sein, die Ermittlungsbehörden und die Staatsanwaltschaft so vorzuführen, dass ihr etwas vorenthalten wird und deshalb keine Verurteilung erfolgen darf.
Regina Rick, die neue Verteidigung des Angeklagten, hat einen völlig neuen Ton in den Prozess gebracht, nämlich deutlich gereizter. Ist das aus Ihrer Sicht nur Show?
Es sind Ansätze da, die aus Verteidigersicht einen Sinn ergeben. Die Art, wie das allerdings teilweise angebracht wird, etwa mit falschen Vorhalten, mit falschen Zitaten in einem Beweisantrag, ist eine Vorgehensweise, die mich etwas befremdet.
Frau Rick will den gleichen Gutachter wie im Fall Genditzki engagieren (Anm. d. Red.: In einem Wiederaufnahmeverfahren wurde der Mann nach 13 Jahren in Haft freigesprochen. Ausschlaggebend war ein Gutachten.). Wird der Fall T. zum Fall Genditzki?
Als Kollege will ich mich bewusst zurückhalten. Ich war in dem zitierten Verfahren nicht beteiligt und kenne dieses Verfahren nur aus der Presse. Es scheint aber so zu sein, dass vorliegend eine vergleichbare Vorgehensweise beabsichtigt ist. Aus meiner Sicht ist der vorliegend vor dem Landgericht Traunstein verhandelte Lebenssachverhalt aber mit dem anderen nicht zu vergleichen.
Anwalt Walter Holderle: "Die Staatsanwaltschaft möchte, dass das Geschehen aufgeklärt wird"
Die Verteidigung geht davon aus, dass die Zeit für einen Mord gar nicht ausgereicht hätte. Wie sehen Sie das?
Diese Argumentation ist mir neu. Und ich finde sie auch etwas eigenartig. Wir wissen nicht, wann die bedrohliche Situation für Hanna begonnen hat. Es kann ja sein, dass Hanna zum Zeitpunkt des versuchten Anrufs bei ihren Eltern bereits schwer verletzt war und dann das Handy bloß ins Wasser geworfen worden ist – das dauert ja nur wenige Sekunden.
Nun sagt die zentrale Belastungszeugin Verena R. nicht aus – was heißt das für den Prozess?
Es gibt bereits Aussagen von Frau R., die damit nicht gelöscht, sondern weiterhin existent sind. Als nächsten Schritt wird das Gericht klären, ob Videos von früheren Vernehmungen von Frau R. nicht als Ersetzung, sondern als Ergänzung der bisherigen Aussagen zulässig sind.
Was würde Frau R. riskieren, wenn sie aussagen müsste und es stellt sich heraus, sie hat an einer Stelle gelogen?
Nach Paragraf 55 StPO kann ein Zeuge die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn der Gefahr aussetzt, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Wieso die Zeugin unter Bezugnahme auf diese Bestimmung nun ihre Aussage verweigert, kann nur vermutet werden. Nach dem aktuellen Stand des Verfahrens gehe ich nicht davon aus, dass dieser Grund sein könnte, sie müsste dadurch zugeben, früher falsche Angaben gemacht zu haben. Denn sollte sich herausstellen, dass sie an der einen oder anderen Stelle die Unwahrheit gesagt hätte, glaube ich, dass die Staatsanwaltschaft die Letzte wäre, die ihr daraus einen Strick drehen würde. Denn auch die Staatsanwaltschaft möchte, dass das tatsächliche Geschehen wahrheitsgemäß aufgeklärt wird. Deshalb vermute ich, dass es eher andere Umstände sein müssen, die sie bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Fragen belasten würden.
Mordfall Hanna: "Im Moment gibt es keinen Fortschritt, weil der Angeklagte schweigt"
Wie geht es Hannas Eltern?
Sie werden gesehen haben, dass sie seit einiger Zeit nicht mehr im Sitzungssaal anwesend sind. Der Grund liegt darin, dass sie ihre Tochter verloren haben und unter diesem Schmerz unverändert stark leiden. Für jemanden, der sowas erleben hat müssen, sind all die im Strafverfahren auftretenden juristischen Spitzfindigkeiten und Kämpfe zwischen den Juristen nur schwer erträglich. Schließlich haben sie sich erwartet, die Wahrheit über die letzten Minuten im Leben ihrer Tochter zu erfahren. Im Moment gibt es dort aber keinen Fortschritt, sondern Nebenkriegsschauplätze, die beackert werden müssen – weil der Angeklagte schweigt.
Viele Menschen werden sich denken, dass es verdächtig ist, dass er schweigt. Rein rechtlich darf er das. Warum ist das so?
Niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten. Das Schweigen darf vom Gericht nicht negativ ausgelegt werden. Aber: Das Gericht kann natürlich aus der Tatsache, dass er schweigt, Folgerungen anstellen. Das ist nicht ausgeschlossen. Ein normaler Mensch fragt sich schon: Wenn er nichts zu verbergen hat: Warum redet er nicht? Warum redet dann auch seine Familie nicht?
Wäre der Angeklagte Ihr Mandant, was würden Sie ihm raten?
Das ist situationsabhängig. Unter sehr vielen Verteidigern ist das Schweigen en vogue. Auch ich hatte schon solche Fälle. Aber in den meisten Fällen nicht: Ich sehe es so, dass das Gericht ein Interesse daran hat, die Person, über die es urteilt, zu erleben. Nämlich so, wie sie sich selbst darstellt. In den allermeisten Fällen halte ich die eigene Stellungnahme des Mandanten für sehr hilfreich für das Gericht.
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