Spalten und diffamieren: Die Taktik der AfD
Das Papier liest sich wie ein militärischer Schlachtplan. "Deutschland politisch gestalten – Das Ende der Brandmauer und der Weg in die Regierungsverantwortung", lautet der Titel. Es folgen sechs Seiten, auf denen die AfD-Fraktion im Bundestag Ideen entwickelt, wie sie dieses Ziel erreichen und an die Macht kommen kann.
Einem Vorhaben widmet die Partei dabei besonders viel Raum: der CDU als Hauptgegnerin Wählerstimmen abzujagen und so stärkste Kraft im Bundestag zu werden. Dabei schielt die Partei auch auf die umstrittenen Methoden von US-Präsident Donald Trump.
Ziel der AfD: Einen neuen politischen Graben zum linken Lager schaffen
"Derzeit verläuft die Polarisierung in Deutschland allzu oft zwischen den AfD-Wählern und allen anderen", stellt die Fraktion fest. Ziel sei es, "eine Situation zu schaffen, in der der politische Graben nicht mehr zwischen der AfD und den anderen politischen Strömungen verläuft, sondern sich ein bürgerlich-konservatives Lager und ein sich radikalisierendes linkes Lager gegenüberstehen, vergleichbar mit der Situation in den USA".
Die "Situation" in den Vereinigten Staaten wird nicht nur von Trump-Gegnern mit Sorge beobachtet. Eine sich radikalisierende republikanische Partei spaltet die Gesellschaft und setzt die Demokratie zunehmend unter Druck. "Wir leben nicht länger in einer Demokratie, sondern haben die Grenze zu einer Form des Autoritarismus überschritten", sagte der Politikwissenschaftler Steven Levitsky von der Harvard-Universität in Cambridge kürzlich dem "Stern".
AfD-Stimmungsmache am Beispiel der Verfassungsgerichts-Kandidatin Brosius-Gersdorf
Wie das in Deutschland funktioniert, zeigt sich am Beispiel des Gezerres um Frauke Brosius-Gersdorf, der Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht.
AfD-Vize Stephan Brandner konstruierte in einer Pressemitteilung der Partei zunächst einen Widerspruch zwischen den Regierungslagern: "Mit dem bisherigen Festhalten an den Richtervorschlägen für das Bundesverfassungsgericht der SPD entfernt sich die CDU immer weiter vom Wählerwillen."

Um dann zum Schluss noch die Linkspartei zu erwähnen und sich für eine vermeintliche "Schützenhilfe" zu bedanken. Letzteres war ironisch-höhnisch gemeint, im Strategiepapier heißt es zur Linkspartei: "Die AfD kann wesentlich dazu beitragen, dass die Auseinandersetzung in Politik und Gesellschaft zu einem 'Duell' zwischen den zwei sich unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern wird, zugespitzt auf eine Wahl zwischen AfD und Linke: Weidel oder Reichinneck."
AfD nutzt Streit um Brosius-Gersdorf, um Merz zu diffamieren
Zuvor hatte die AfD die Personalie Brosius-Gersdorf benutzt, um den Kanzler zu diffamieren. Nachdem Friedrich Merz im Bundestag grundsätzlich Unterstützung für die Juristin signalisiert hatte, zog die Rechtspartei Falschmeldungen heran, wonach Brosius-Gersdorf eine "Abtreibungsaktivistin" sei. Aus beidem zog sie öffentlich den Schluss, Merz sei ein Abtreibungsbefürworter – was so nicht stimmt.

Die öffentliche Herabwürdigung des Kanzlers und CDU-Vorsitzenden folgt dem Gedanken aus dem Strategiepapier, wonach die AfD "mit Wechselwählern von der CDU/CSU stärkste Partei werden" kann.
Ein Potenzial von vier Millionen Wählern hat sie identifiziert, das sie der Union abspenstig machen will. Die absolute Zahl ihrer Wähler stiege von zehn auf 14 Millionen. "Das entspräche einem Wahlergebnis von zirka 28 Prozent, was weitgehend dem gemessenen Wählerpotenzial der AfD entspricht", heißt es.
AfD fordert Wiederholung von ARD-Interview
Während die AfD andere heftig attackiert, lässt sie Protest gegen ihre Politik nicht gelten. Nachdem das unter freiem Himmel am Spreeufer geführte ARD-Sommerinterview mit der Parteivorsitzenden Alice Weidel im Hintergrund durch Trillerpfeifen, Hupen und lauter Musik mit Anti-AfD-Slogans gestört wurde, forderte die Partei nicht nur eine Wiederholung.
Weidel sagte dem Portal Politico gar, es sei der "Debattenkultur in unserem Land nicht zuträglich, die Presse- und Informationsfreiheit derart anzugreifen". In Berlin fällt die AfD im Vergleich zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien vor allem dadurch auf, dass sie Anfragen nicht beantwortet oder der Antwort ausweicht. Das ARD-Sommerinterview lieferte dafür erneut zahlreiche Beispiele.
Ein anderes strategisches Ziel der Partei ist es, "den Anteil der Bürger, die Angst vor der AfD äußern, das Verbotsverfahren der AfD befürworten und eine Kooperation mit der AfD ablehnen, auf unter 50 Prozent zu senken".
Ob das mit solchen Methoden gelingt? Steven Levitsky warnte im "Stern"-Interview nicht nur vor einer Gefährdung der Demokratie. Er ergänzte gleichzeitig hoffnungsvoll, dass es sich um eine Abkehr handele, "die reparabel ist."