Der grüne Kompromiss: Schonfrist für Kohle- und Autoindustrie
Kompromiss-Signale der Grünen beim Streitpunkt Klima haben zum Start in die entscheidende zweite Sondierungsphase Bewegung in die Jamaika-Verhandlungen gebracht. "Jetzt ist die Zeit des Brückenbauens", sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gestern vor Beginn der zweiten Gesprächsrunde zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen in Berlin. "Es sind jetzt noch faktisch neun Tage, die wir Zeit haben zu verhandeln. Dann ist Abgabetermin. Und dann kann man schauen, ob das Haus gebaut werden kann."
Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Cem Özdemir: "Jetzt kommt die Woche der Wahrheit."
FDP-Chef Christian Lindner reagierte positiv und kündigte Abstriche bei den Forderungen seiner Partei für eine große Steuerreform an. Von der CSU gab es ein unterschiedliches Echo auf die Grünen.
Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Sondierungen am 16. November abschließen. Dann wollen die Partner ein gemeinsames Papier vorlegen, das den jeweiligen Parteigremien ermöglichen soll, grünes Licht für offizielle Koalitionsverhandlungen zu geben.
Die Grünen beharren nicht länger auf dem Ende des Verbrennungsmotors im Jahr 2030 - das hatte Partei-Chef Özdemir in der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" deutlich gemacht.
Die Grünen-Co-Vorsitzende Simone Peter deutete im Ringen um die Kohlepolitik in der "Rheinischen Post" Kompromissbereitschaft an: "Für uns kommt es nicht darauf an, ob das letzte Kohlekraftwerk 2030 oder 2032 vom Netz geht." Entscheidend sei die CO2-Emissionsminderung.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt reagierte schroff auf die Grünen-Signale: "Das Abräumen von Schwachsinnsterminen ist noch kein Kompromiss." Es gehe um Kompromisse und nicht um Dinge, die nie zur Debatte gestanden hätten.
Auf Nachfrage sagte Dobrindt, er habe sich auf den baden-württembergischen Regierungschef Winfried Kretschmann bezogen, der im Juni am Rande des Grünen-Bundesparteitags über das Ziel, ab 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zuzulassen, gesagt hatte: "Das sind doch Schwachsinnstermine."
Auch Umweltverbände übten Kritik. "Die Grünen drohen zur Umfaller-Partei zu werden", sagte etwa Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid. "Schon beim kleinsten Gegenwind räumen die Parteivorsitzenden Özdemir und Peter zentrale Positionen."
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) lobte dagegen die Signale der Grünen. "Das ist vernünftig und erleichtert Verständigungen", sagte er gestern. "Denn wir können nicht einfach von heute auf morgen jetzt auf einmal alle Kohlekraftwerke abschalten oder auf alle Verbrennungsmotoren verzichten."
Zugleich gab er sich beim Thema Migration hart. Über das Unions-Eckpunktepapier zur Eindämmung der Zuwanderung sagte er: "Ich sehe überhaupt keine Absicht, da Abstriche zu machen von dem, was wir zwischen CDU und CSU vereinbart haben."
Zur CSU-internen Diskussion über Partei-Chef Horst Seehofer sagte Herrmann: "Über die personelle Aufstellung für das nächste Jahr 2018 reden wir, wenn die Sondierungsverhandlungen abgeschlossen sind. Und da brauchen wir Rückenstärkung aus Bayern und keine Infragestellung."
Ihn habe weniger die Ankündigung zum Verzicht auf das strikte Ausstiegsdatum beim Verbrennungsmotor überrascht, da hier bei den Grünen keine Einigkeit bestanden habe, sagte FDP-Chef Lindner. Mit großer Aufmerksamkeit habe er aber registriert, dass sich die Grünen beim Kohleausstieg bewegt hätten. Offenbar bekomme bei ihnen die energetische Versorgungssicherheit mehr Bedeutung.
Zugleich räumte Lindner ein, die FDP habe erkennen müssen, dass es für eine Steuerreform im Umfang von 30 bis 40 Milliarden keine Mehrheit gebe. Man halte aber weiter an einer Entlastung der Bürger fest und konzentriere sich nun auf den Abbau des Solidaritätszuschlages sowie auf die Entlastung von Familien, kleinen und mittleren Einkommen.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte, die Grünen würden weiter leidenschaftlich für die Einhaltung der Klimaziele kämpfen, die schon von der Großen Koalition beschlossen worden seien. Man sei aber bereit, über andere Wege dorthin nachzudenken. "Es kann nicht so sein, dass der kleinste gemeinsame Nenner und eine weitere Stillstandskoalition jetzt dieses Land regiert."
Cem Özdemir geht nicht davon aus, dass die Grünen mit einem Wahlergebnis von 8,9 Prozent "es schaffen werden, zu 100 Prozent unsere Handschrift auch in der Mobilitätspolitik durchzusetzen".
Es brauche aber nun Maßnahmen, die dafür sorgten, dass es emissionsfreie Mobilität geben könne wie die Blaue Plakette oder die Nachrüstung beim Diesel und steuerliche Anreize.
Lesen sie dazu auch den AZ-kommentar "Kompromiss-Angebot der Grünen: Das Signal ist anzuerkennen"