Köllner und Gorenzel: "Die Bundesliga ist nur eine Frage der Zeit"
München - Michael Köllner und Günther Gorenzel im großen AZ-Interview: Der Oberpfälzer (50) und der Österreicher (49) sind aktuell das sportliche Erfolgsduo, auf das der TSV 1860 und seine Anhänger so lange gewartet haben. Der ehemalige Aufstiegstrainer des 1. FC Nürnberg ist seit November 2019 in Giesing im Amt, sein kongenialer Partner in der Chefetage ist seit 2018 im Verein und wurde ein Jahr später zum Geschäftsführer Sport befördert.
AZ: Herr Köllner, Herr Gorenzel, geben Sie uns Einblick in Ihre Gefühlslage: Wie tanzte sich nach dem 2:0-Derbysieg der Löwen am Montagabend bei der SpVgg Unterhaching das "Spitzenreiter-Tänzchen"?
MICHAEL KÖLLNER: Der Derbysieg tut uns, unserem Verein und unseren Fans sehr gut! Es war wichtig, nach der ersten Saisonniederlage gegen Saarbrücken (1:2, d. Red.) direkt wieder in die Spur zu finden. Zum Glück haben wir mit den beiden Torschützen Dennis Dressel und Sascha Mölders sowie unserem Torwart Marco Hiller gleich mehrere "Haching-Experten". Aber es war der Schlüssel, dass wir insgesamt eine tolle Mannschaftsleistung gezeigt haben.
GÜNTHER GORENZEL: Ich gehe für gewöhnlich sachlich und sehr inhaltsbezogen an die Dinge heran, aber manchmal muss man seinen Emotionen freien Lauf lassen. Zum Glück haben wir es alle ohne Sehnenriss überstanden.
Damit 1860 noch öfter von der Spitze grüßen kann, fragt Sechzigs einstiger Kult-Verteidiger Thomas Miller: Was fehlt noch zu einer absoluten Spitzenmannschaft?
KÖLLNER: Zuerst einmal ist der Begriff "Spitzenmannschaft" nicht unser Gradmesser, denn wir hatten einen riesigen Umbruch im Sommer. Unser zentrales Thema heißt: Entwicklung. Daran wollen wir uns messen lassen. Wir entwickeln uns stetig bei eigenem Ballbesitz. Wir haben athletisch zugelegt, unser Pressing und Gegenpressing ist besser geworden, wir haben uns im Konterspiel weiterentwickelt und verteidigen nach Ballverlust schnell und als komplettes Team. Aber wir können und müssen uns in allen Bereichen weiterentwickeln.

Allesfahrer Franz Hell fragt: Man hat das Gefühl, als würde 1860 gerade zu Hause im Grünwalder Stadion mit angezogener Handbremse agieren, ist zudem öfter in Rückstand geraten. Wie lässt sich das am Samstag gegen den MSV Duisburg und in den kommenden Spielen abstellen?
KÖLLNER: Ich kann den Franz verstehen. Als Fan will man immer mutigen Offensivfußball sehen. Den wollen wir auch zeigen, aber unsere Spielweise hängt auch immer von unserem Matchplan und nicht zuletzt vom Gegner ab. Eines kann ich unserer treuen Anhängerschaft zusichern: Wir werden auch in Zukunft keinen Catenaccio auf Giesings Höhen sehen. Prinzipiell ist und bleibt unser Fußball ein attackierender, aktiver Fußball.

Comedian Simon Pearce: Verraten Sie uns mal das Geheimnis, wieso läuft es mit dem Duo Köllner/Gorenzel so gut?
KÖLLNER: Günther lässt mich auf dem Platz walten und will nicht seine eigene Art und Weise durchdrücken. Das hätte ja schon ein Thema sein können, da er selbst die Fußballlehrer-Ausbildung hat. Dafür, dass wir uns vor 1860 nicht gekannt haben, war das schon ein gutes Blind Date, das muss man ihm lassen. (lacht)
GORENZEL: Gute Frage! Vielleicht, weil wir zusammen die nötige Vernunft, Rationalität mitbringen und die Sicht teilen, wie wir Fußball spielen lassen wollen und wo wir hinwollen. Im Ernst: Das ist kein Hexenwerk. Sehen Sie, ich war in mehreren Ländern im Fußball tätig, da lernt man rasch, dass Kommunikation das A und O ist. Wir zum Beispiel diskutieren die Sachverhalte so lange, bis wir einen gemeinsamen Nenner finden. Das kann manchmal lange dauern und ist mitunter ein Graus für unsere Ehefrauen. Aber das aus meiner Sicht so Kreative daran ist, dass wir stets im Gespräch bleiben und das immer mit der nötigen Vernunft wie hohem gegenseitigem Respekt. Stellen Sie sich das vielleicht wie in einer guten Ehe vor, nur eben ohne Romantik. (lacht)

Da müssen wir eine Zwischenfrage stellen: Wo wollen Sie denn mit den Löwen hin – und vor allem: in welchem Zeitraum?
GORENZEL: Wir haben im letzten Jahr mit Michael Köllner einen exzellenten Spielerentwickler verpflichtet, und die Mannschaft entwickelt sich im Vergleich zu den letzten Spielzeiten bei nahezu gleichem Kapitaleinsatz stetig. Wir sind Tabellenführer, aber können alles sehr gut einordnen. Ich bin kein Träumer. Es fällt mir wirklich schwer, inmitten einer Pandemie einen Zeithorizont vorzugeben. Wir werden mit Akribie, Leidenschaft und Vernunft unseren Weg weitergehen. Da ist die Bundesliga zwangsläufig nur eine Frage der Zeit, da bin ich mir sicher. Darauf arbeiten wir natürlich täglich hin und tun gut daran, einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
"Wir tun alles dafür, dass die Löwen weiterträumen dürfen"
Meisterlöwen-Kapitän Peter Grosser findet: Sechzig hat schon in dieser Saison eine Riesenchance auf den Aufstieg. Sehen Sie das anders?
KÖLLNER: Eine seriöse Prognose über den Saisonverlauf lässt sich nicht treffen. Es gibt zu viele Parameter wie die Corona-Pandemie, mögliche Verletzungen und so weiter. In diesen Zeiten ist man eh gut beraten, sich im Hier und Jetzt zu bewegen und sich jeden Tag brutal darüber zu freuen, arbeiten zu dürfen. Niemand kann sagen, was im Mai ist. Ich kann aber jeden verstehen, der träumt. Wir tun alles dafür, dass die Löwen weiterträumen dürfen. Mittelfristig wollen wir doch alle hoch. Das steht ja völlig außer Frage. Aber es ist, wie unser Geschäftsführer schon angesprochen hat, eine Frage des Zeitraums. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Verein vor einem Jahr noch näher an einem zweiten Absturz in die Regionalliga war als am oberen Tabellenende. Wir müssen demütig, realistisch und klar im Kopf bleiben.

Meisterlöwe Fredi Heiß will wissen: Wie können Sie es schaffen, dass die Stimmung auch nicht bei Rückschlägen schnell kippt?
KÖLLNER: Zum Glück haben wir in meiner Zeit bei 1860 noch nicht viele Rückschläge hinnehmen müssen (lacht). Es geht um eine realistische Erwartungshaltung. Wir dürfen nicht durchdrehen, nur weil wir Spitzenreiter sind. Genauso wenig dürfen wir ausflippen, wenn wir mal drei Spiele nicht gewinnen.

1860-Torjäger und Ex-Trainer Peter Pacult fragt: Investor Hasan Ismaik hat viele Kritiker, das Präsidium um Robert Reisinger ebenfalls. Wie lassen sich diese Auseinandersetzungen endlich beiseiteschaffen, die verschiedenen Strömungen ismaik-naher Fanklubs bis zu "Pro1860" auf einen Nenner bringen?
GORENZEL: Kommunikation ist eine der Grundvoraussetzungen gemeinsame Wege zu gehen. Lassen Sie mich es vielleicht so sagen: Wir haben einen gemeinsamen Weg eingeschlagen, sind einige Meter weit gekommen, und jede Form von Rückenwind nehmen wir da dankbar an. An dieser Stelle kann ich mich nur immer wieder bei Hasan Ismaik, dem Präsidium, unserem Hauptsponsor "die Bayerische", allen Sponsoren und unseren einzigartigen Fans und der gesamten Löwenfamilie für die einzigartige Unterstützung in den letzten Monaten bedanken. Wir haben uns auch in der Außendarstellung ordentlich entwickelt.

Mit Ausnahme des martialischen Torjubels von Dennis Erdmann oder Sechzigs "Foto-Panne" mit Saarbrückens Trainer Lukas Kwasniok.
GORENZEL: Gut, dass Sie fragen. Ich freue mich wirklich über diese Frage, denn Image ist nun mal träge. Mir kommt es manchmal so vor, als ob einigen Menschen etwas fehlen würde, wenn sie den Löwen keine Fehler ankreiden könnten. Ein Beispiel: Wir verlieren nach dem besten Start seit Jahren zum ersten Mal, und trotzdem wird am Tag drauf nicht zu knapp wieder über uns hergefallen. Ist Ihnen das nicht auch aufgefallen? Das will ich ändern. Sie kennen mich jetzt auch schon eine Zeit, ich bin alles andere als ein Mann der kurzen Zündschnur. Vertrauen, Verständnis und Mitgefühl sind für mich die Grundpfeiler für eine gesunde und erfolgversprechende Gemeinschaft. Wo Menschen arbeiten, passieren eben auch mal Fehler. Aber: Ohne Fehler sind aber auch kaum Verbesserungen möglich.
Herr Köllner, auch Sie haben sich kürzlich mit Rostocks Sportvorstand Martin Pieckenhagen und Saarbrücken-Trainer Kwasniok angelegt. Gehören solche Auseinandersetzungen im Eifer des Gefechts schlicht dazu?
KÖLLNER: Vorab möchte ich dazu sagen: Ich tue alles dafür, dass wir erfolgreich sind. Dafür gebe ich 1860 Prozent. Natürlich mache ich dabei Fehler und ärgere mich darüber. Als Cheftrainer musst du täglich gefühlt tausend Entscheidungen treffen. Manche bereust du hinterher. Ganz grundsätzlich stehe ich jeden Tag in der Verantwortung, ein besserer Trainer und Mensch zu werden und dafür zu sorgen, dass manche Dinge nicht mehr passieren.
Schauspielerin Monika Baumgartner: Was ihr Wirken bei 1860 anbelangt, hat sich das Klima seit Ihrem Amtsantritt verbessert. Wie haben Sie das angestellt?
KÖLLNER: Ich weiß nicht, ob ich als Person der ausschlaggebende Faktor bin. Ich nehme vom ersten Tag an im Verein wahr, dass alle handelnden Personen zwei Aspekte eint: die Sorge um den Verein und der Wunsch nach Erfolg. Das ist ein sehr schönes Gefühl, das mir sehr viel Vertrauen in den Verein und in unsere Möglichkeiten gibt. Ich versuche dabei einfach, meine positiv-konstruktive Art einzubringen. Das leben wir auch in der Mannschaft jeden Tag. Alles, was da außenrum wabert, zeigt sich auch irgendwann auf dem Platz. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Wir haben uns mit Günther Gorenzel schon etwas gedacht bei dem Motto: "Ein Team, ein Weg." Das ist nicht nur irgendein Slogan, das wird von allen Seiten gelebt.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch "Führen, Coachen und Managen im Profifußball" abseits Ihrer fachlichen Ratschläge, dass man das Umfeld eines Vereins als Cheftrainer nicht ignorieren dürfe, sondern es sich vielmehr zunutze machen müsse. Wie gut haben Sie Sechzig im Griff?
KÖLLNER: Man muss das Umfeld eines Vereins spüren und verstehen. Daher war es für mich tatsächlich sehr wichtig, in Harlaching einen gefühlten Steinwurf weg von Giesing zu wohnen. Die Fans sind die Seele des Klubs. Auch die ehemaligen Spieler und Funktionäre, die Menschen, die bei 1860 arbeiten. Da gilt es, sich immer wieder auszutauschen. Daher habe ich mich auch mit den Meisterlöwen wie Peter Grosser und Fredi Heiß getroffen, was in der letzten Zeit wegen Corona leider zu kurz gekommen ist. Wie auch der direkte Kontakt zu den Fans, auch zu den Sponsoren. Bei einem solchen Austausch geht es auch immer um Identität: Wer ist Sechzig München? Das können einfache Worte nicht ausdrücken. Die Sechzger, das sind alles zusammengenommen zigtausend Leute, die unseren Verein ausmachen. Mir geht es nicht darum, sie im Griff zu haben, vielmehr möchte ich all diesen Menschen ein guter Cheftrainer sein. Was dabei sicherlich mit das Wichtigste ist: eine kampfstarke Löwen-Mannschaft auf den Rasen zu schicken, mit denen sich die Fans identifizieren können. Sie müssen sagen: Das ist eine würdige Löwen-Mannschaft.
Sprechen wir über die Zukunftsplanungen. Allesfahrer Roman Wöll fragt sich, wie es bei Dennis Dressel, Fabian Greilinger, Leon Klassen mit Vertragsverlängerungen ausschaut. Und wie man es künftig vermeiden kann, junge Talente ablösefrei zu verlieren?
GORENZEL: Alle Vereine verlieren das eine oder andere Talent. So funktioniert das Geschäft leider. Ich versuche alles, damit dies nicht passiert, und das nie persönlich zu nehmen, was mitunter nicht immer gelingt. Aber diese Fans, das Stadion, diese tolle Truppe heuer, ich denke, wir haben für die Zukunft gute Argumente und haben auch mit einer weitsichtigen Vertragsgestaltung dafür gesorgt, dass Dennis und Fabian über die laufende Spielzeit hinaus an 60 gebunden sind.

Schauspieler Götz Otto: Besteht auch die Chance, dass Torjäger Sascha Mölders 2021/22 noch den Löwen auf der Brust trägt, und inwieweit machen Sie sich Gedanken, so einen verdienten Spieler nach seinem Karriereende in den Verein einzubinden?
GORENZEL: Erfahrung und Expertise sollten dem Verein nicht verloren gehen. Dies ist ja derzeit auch mit Jan Mauersberger im Marketing geschehen und zukünftig mit dem ein oder anderen Spieler so angedacht. Natürlich müssen wir dabei immer auch sämtliche Rahmenbedingungen im Auge behalten. Konkret zu Sascha: Das wird sich erst im Laufe der Rückrunde entscheiden, denke ich. Wir werden uns, wie in der Vergangenheit auch, an einen Tisch setzten und gemeinsam dann alle machbaren Optionen einer zukünftigen Zusammenarbeit erörtern.
KÖLLNER: Sascha ist wieder enorm gut gestartet und hat auch unabhängig von seinen Toren eine hohe Wertigkeit für uns. Er marschiert vorneweg. Wie er die Bälle festmacht, hat Bundesliga-Niveau.

Karsten Wettberg: Herr Gorenzel, Ihr eigener Vertrag als Geschäftsführer läuft ebenfalls im Sommer aus. Aus welchen Gründen haben Sie öffentlich über eine Vertragsverlängerung gesprochen?
GORENZEL: In einem Interview habe ich wahrheitsgemäß auf eine Frage geantwortet. Hätte ich die Antwort verweigern sollen? Ich habe nichts zu verbergen. Es ist so, wie ich gesagt habe: 1860 ist mein erster Ansprechpartner, und ich kann da nur unseren Präsidenten zitieren, wie er sich in Ihrem Medium geäußert hat: Er sieht auch, dass im Fußball der Schlüssel zum Erfolg Konstanz heißt. Personell und noch wichtiger: in unseren Prozessen.

Herr Köllner, Ihr Vertrag ist bereits verlängert worden. Daher holen wir etwas weiter aus: Was wollen Sie in fünf Jahren über sich und Ihre Funktion als Cheftrainer des TSV sagen können?
KÖLLNER: Ich hoffe schon, dass ich dann sagen kann: 1860 und Michael Köllner, das war eine Erfolgsstory. Oder noch besser: Es IST eine Erfolgsstory (lacht). Ich war als Trainer ja auch schon mal in der Bundesliga. Natürlich willst du da wieder hin. Aber so weit will ich mich gar nicht aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass es in fünf Jahren soweit ist. Die Spielklasse ist auch nicht das Entscheidende, darüber definiere ich mich nicht. Ich würde mir einfach wünschen, dass die Menschen in und um den Verein später einmal sagen: Michael Köllner war ein guter Trainer für die Löwen.
"Ich mache mir jedenfalls wenig Sorgen um die Löwen"
Ein nie endendes Thema, das 1860 auch - und besonders - im Aufstiegsfall begleiten wird, ist die Stadionfrage. An Sie beide gerichtet: Wenn Sie sich eine Arena wünschen könnten: Wie würde es aussehen, welches Fassungsvermögen hätte es, und wo würde es stehen?
KÖLLNER: Ich will in einem Stadion spielen, in dem wir gewinnen, in dem die Mannschaft abgeht und in dem wir die Fans in Ekstase versetzen können. Wenn du so ein Stadion hast, ist viel gewonnen. Damit ist aus Trainersicht alles erzählt.
GORENZEL: Ich bin auch kein Experte auf diesem Gebiet und überlasse die finale Bewertung den Fachleuten. Was ich sagen kann: Ich habe in Russland Stadien gesehen, die sehr groß und überdimensioniert waren. Durch massive staatliche Hilfen waren sie dort leichter zu finanzieren. Bei uns gibt es mehrere Beispiele, wie Vereine unter der Stadionlast zu leiden haben, etwa in Kaiserslautern. Oder das EM-Stadion in meiner Heimatstadt Klagenfurt. Wir müssen uns dieser Frage mit viel Realitätssinn nähern, gerade in Zeiten der Corona-Krise. Wohin die Reise für Sechzig in den nächsten ein, zwei Spielzeiten hingeht, werden wir sehen. Ich mache mir jedenfalls wenig Sorgen um die Löwen: Wir sind ein Traditionsverein, unsere Fans haben gezeigt: Wir können uns immer auf sie verlassen. Und ich kann ihnen versprechen: Wir werden mit Realismus, Vernunft und einem klaren Konzept an die nächsten Aufgaben herangehen. Wir setzen alles daran, uns nicht von unserem Weg abbringen zu lassen. Wir werden unseren Weg gehen!