Sonderweg beim Schnüffeln
MÜNCHEN - Der Berliner Kompromiss zur Online-Durchsuchung geht Bayern bei weitem nicht weit genug: Beim Ausspähen von privaten Computern gelten im Freistaat künftig andere Regeln als anderswo.
Am meisten stört die Bayern an der Lösung der Bundesminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Brigitte Zypries (SPD), dass Ermittler nicht in Wohnungen eindringen dürfen, um heimlich die Spionage-Software zu installieren, sondern nur Mails schicken. Justizministerin Beate Merk: „Dann können Straftäter die E-Mail mit dem Trojaner einfach wegklicken.“
Innenminister Joachim Herrmann: „In der bayerischen Regelung zur Online-Erhebung werden wir dieses Risiko jedenfalls nicht eingehen.“ CSU-Chef Erwin Huber: „Das ist unbedingt notwendig. Wir müssen das Urteil voll ausschöpfen.“
Einzelne Passagen auf dem Prüfstand
Denn das bayerische Online- Gesetz ist längst fertig. Derzeit wird überprüft, welche Passagen man nach dem Karlsruher Urteil ändern muss. Die zum Thema Wohnung jedenfalls nicht, stellt das bayerische Innenministerium klar. „Das hat das Verfassungsgerichtsurteil nicht ausgeschlossen“, so Sprecher Karl-Michael Scheufele zur AZ. „In Berlin wurde keine Notwendigkeit gesehen, das zu machen.“ Aber das heiße ja nicht, dass es verboten sei.
Das bayerische Online-Gesetz beschränkt sich allerdings auf den Landesverfassungsschutz und nur auf die Gefahrenabwehr, nicht auf die Aufklärung von Straftaten. Für polizeiliche Ermittler gilt es nicht. Doch auch darüber wird im Innenministerium derzeit nachgedacht, in einem weiteren bayerischen Gesetz die Online- Durchsuchung auch für den polizeilichen Bereich zu ermöglichen, bestätigt Scheufele.
SPD und FDP empört
Herrmanns Kollegin Merk versucht es noch auf einem weiteren Gleis: Sie will über den Bundesrat auf eine Verschärfung des Bundesgesetzes dringen. SPD und FDP sind über den Sonderweg empört. Sie halten es sehr wohl für verfassungswidrig, dass Ermittler in die Wohnung eindringen. Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger und bayerische FDP-Chefin zur AZ: „Das Schlimmste ist die Missachtung der Rechtssprechung. Das Signal: Die Politiker kümmert’s gar nicht,was das Verfassungsgericht entscheidet. Dabei haben sie das in Dreiteufelsnamen umzusetzen!“ Auch das Argument, man regle hier Befugnisse des Verfassungsschutzes, lässt sie nicht gelten: Auch das Karlsruher Urteil habe sich auf einen Verfassungsschutz – den von NRW– bezogen.
Auch Franz Schindler (SPD) nannte den Plan „verfassungswidrig“. Ohne Änderung des Grundgesetzes dürften Ermittler nicht in die Wohnung. Dagegen erklärte Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei, verfassungsrechtlich sei das Betreten der Wohnung zulässig. Bei Abhörmaßnahmen jedenfalls sei das längst üblich.
Von anderen Unions-Ländern kam Beifall für Bayerns Pläne. Die geschäftsführende CDU-Regierung in Hessen will ebenfalls eine solche Regelung – allerdings hat sie nicht die Mehrheit dafür.
tan