Schon bei der Europawahl im Mai gelten neue Regeln
Das Verfassungsgericht kassiert die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen. Schon im Mai wird nach den neuen Regeln gewählt.
Karlsruhe/München – Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Damit gibt es bei der Europawahl im kommenden Mai keine Sperrklausel, die den Einzug kleiner Parteien ins Parlament verhindert. Die Drei-Prozent-Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung am Mittwoch in Karlsruhe. Drei der acht Richter stimmten gegen die Entscheidung.
Bei Europawahlen kann jeder Mitgliedstaat die Details des Wahlrechts selbst regeln. Die Karlsruher Entscheidung hat keine absehbaren Auswirkungen auf das Wahlrecht bei Bundestags- und Landtagswahlen. Geklagt hatten unter anderem die Freien Wähler, die ÖDP, die Piratenpartei und die rechtsradikale NPD.
Aufwertung deutscher Stimmen
„Das ist ein Sieg der Demokratie und bedeutet für uns Freie Wähler ganz klar: Wir sitzen im Europaparlament“, sagte FW-Chef Hubert Aiwanger in Karlsruhe. Chancen rechnet sich jetzt auch die noch viel kleinere ÖDP aus: „Die ÖDP wird jetzt sicher in das europäische Parlament einziehen“, sagte Parteichef Sebastian Frankenberger. "Damit hat das Verfassungsgericht einer weiteren Entwertung der deutschen Wählerstimmen einen Riegel vorgeschoben", so Bernd Lucke von der europakritischen AfD. Er und erinnerte daran, dass die Wahlstimme eines Bundesbürgers ohnehin schon ein weitaus geringeres Gewicht habe als beispielsweise die eines Maltesers oder Zyprioten.
Weniger begeistert war CSU-Chef Horst Seehofer: „Man darf sich gelegentlich über Gerichtsurteile wundern, aber man muss sie respektieren“, sagte Seehofer am Rande der CSU-Fraktionssitzung im Landtag. Für die CSU werde es nun ein bisschen schwerer – „aber das kann man ausgleichen. Es kommt auf unseren Einsatz im Wahlkampf an.“ Die CSU will ihre derzeit acht Mandate im Europaparlament halten, obwohl die Zahl der deutschen Sitze insgesamt reduziert wird.
Gleich Chancen für alle
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2011 die damals geltende Fünf-Prozent-Hürde im Europawahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin beschloss der Bundestag im vergangenen Jahr eine Drei-Prozent-Klausel. Hiergegen klagten 19 Gruppierungen. Das Wahlrecht unterliege einer strengen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, sagte Voßkuhle. Gerade bei der Wahlgesetzgebung bestehe die Gefahr, „dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt“. Die Stimme jedes Wählers müsse grundsätzlich denselben Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben, sagte Voßkuhle. „Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.“
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien erfordere zudem, dass jeder Partei gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden. Ausnahmen seien nur durch gewichtige Gründe zu rechtfertigen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob die Sperrklausel nötig ist, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. „Das ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall“, sagte Voßkuhle. Dies könne sich allerdings in der Zukunft ändern – etwa, wenn das Europäische Parlament ähnlich wie der Bundestag eine stabile Mehrheit für die Wahl und Unterstützung einer Regierung brauche.