Olaf Scholz' Rede zum Haushalt: Der Bundeskanzler wird ausgelacht
Berlin - Es ist nicht so einfach, einen Bundeskanzler in das Reichstagsgebäude zu bekommen. Zwar existiert unter dem Regierungsviertel ein kilometerlanges Tunnelsystem, das unter anderem das Kanzleramt mit dem Bundestag verbindet. Olaf Scholz könnte sich also praktisch direkt vom Schreibtisch im siebten Stock des Kanzleramtes ans Rednerpult im Plenum begeben.
Doch dann würde etwas Entscheidendes fehlen: die Bilder. Gestresste Bundeskanzler, sorgenvolle Bundeskanzler, erleichterte Bundeskanzler – das Foto sagt oft mehr als viele Worte. Wenn es also um etwas geht, nehmen die Kanzler den Weg von außen, damit Fotografen ihre Bilder machen können. Die Blickwinkel und Standorte sind bekannt, es wird wenig dem Zufall überlassen.
Rede zum Bundeshaushalt: Kanzler Olaf Scholz mit sorgenvoller Miene
Scholz hat an diesem Dienstag die sorgenvolle, staatstragende Miene gewählt. In Berlin ist es kalt, über Nacht hat frischer Schnee für einiges Durcheinander auf den Straßen gesorgt. Der SPD-Politiker will dem eigenen Land und - das Interesse der in Berlin akkreditierten Auslandskorrespondenten ist groß – der Welt erklären, wie es mit den deutschen Finanzen weitergeht.
Am 15. November hat das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt von 2021 in Grund und Boden gestampft und damit die gesamte Finanzplanung der Ampel-Koalition über den Haufen geworfen. Scholz hat laut Tagesordnung 25 Minuten Zeit, um dem verunsicherten Land Hoffnung einzuflößen. Es könnten 25 Minuten für die Ewigkeit werden. Der Kanzler nutzt 23 davon, zwei Minuten später ist der Eindruck seiner Regierungserklärung schon wieder weitgehend verblasst.
Die Republik erlebt dramatische Zeiten. Im Klima- und Transformationsfonds fehlen 60 Milliarden Euro für wichtige Projekte, in der Ukraine und in Nahost ist Krieg. Scholz hat sich bisher mit klaren Äußerungen zurückgehalten, die Deutungshoheit überließ er Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Eine starke Reaktion des SPD-Politikers wird deshalb erwartet, ein Wort der Erklärung – irgendeine glaubhafte Erwiderung auf die Krise.
Olaf Scholz widmet sich vor allem dem Gewesenen
Scholz hingegen gibt den Zuschauerinnen und Zuschauern zunächst das Gefühl, der falschen Veranstaltung beizuwohnen. Der Kanzler blickt zu Beginn auf die Freilassung weiterer Geiseln im Gaza-Streifen. Die Reaktion ist menschlich begrüßenswert, wirkt an dieser Stelle aber deplatziert. Immerhin ist die Stimmung im Saal bis dahin noch ernst. Als der Kanzler sich dem eigentlichen Thema zuwendet, bricht aber immer wieder Gelächter aus.
Heiterkeitsstürme ruft er hervor, als er die bisherige, von Karlsruhe einkassierte Haushaltsplanung mit dem Hinweis verteidigt wird, vieles im Umgang mit der Schuldenbremse sei "bislang rechtlich eher nicht eindeutig geklärt" gewesen. "In dieser Lage haben wir vor zwei Jahren haushaltspolitische Einschätzungen vorgenommen, die vom Verfassungsgericht rechtlich verworfen worden sind", sagt der Regierungschef und ehemalige Bundesfinanzminister und schlussfolgert: "Mit dem Wissen um die aktuelle Entscheidung hätten wir im Winter 2021 andere Wege beschritten." Ein weiteres Mal provoziert er Lachsalven.
Immer wieder ertönen Zwischenrufe, mehrheitlich von der AfD-Fraktion. Etwa dann, wenn Scholz davon spricht, dass Deutschland die Bürgerinnen und Bürgern bei der Energiekrise nicht im Stich lasse. Die Energiepreisbremsen sollen zum Jahresende auslaufen, da geht er mit der FDP und gegen die Grünen. Die Begründung wirkt arg zusammengesucht. "Inzwischen sind überall in Deutschland wieder Strom- und Gastarife verfügbar, die zwar deutlich höher liegen als vor der Krise, aber meist unterhalb der Obergrenzen, die wir für die Preisbremse gezogen haben, und ebenfalls spürbar unterhalb der Preise im vergangenen Herbst und Winter." Sollten die Energiepreise "dennoch erneut unerwartet dramatisch steigen", sei die Ampel jederzeit bereit, zu reagieren.
Scholz scheint von seiner Rede selbst nicht überzeugt, schaut verlegen zu seiner Fraktion, die pflichtschuldig, aber wenig begeistert mit Applaus reagiert. Es ist dies das alte Problem von Scholz. "Wir haben ihm schon oft gesagt, dass er in der Öffentlichkeit so agil auftreten soll, wie er es bei unseren Fraktionssitzungen intern tut. Aber er bekommt es einfach nicht hin", hat eine Spitzen-Sozialdemokratin das Dilemma einmal zusammengefasst. Der Kanzler wirkt bei seiner Regierungserklärung wie ein Automat, wie der "Scholzomat", als der er schon oft gescholten wurde.
Friedrich Merz fordert Entschuldigung, Markus Söder Neuwahlen
Der CSU-Vorsitzende Markus Söder hat einen Tag vorher Neuwahlen gefordert, die Regierungserklärung ist nicht dazu angetan, die Gemüter in der Union zu beruhigen. Wenn Scholz so weitermache, schimpft Friedrich Merz, "dann werden wir alles dafür tun, dass der Spuk mit Ihrer Bundesregierung so schnell wie möglich beendet wird." Der CDU-Vorsitzende darf als erster antworten, er tut das, wie später auch der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt, mit kaum verhohlenem Zorn. Ein Wort des Bedauerns wäre angebracht gewesen, auch wohl eines der Entschuldigung, kritisiert Merz.
Scholz sitzt rechts neben ihm auf der Regierungsbank und reagiert kaum, ebenso die Kabinettsmitglieder. Scholz sei ein "Klempner der Macht", verglichen mit SPD-Kanzlern wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, "und sogar mit Gerhard Schröder" müsse man feststellen: "Sie können es nicht", schimpft Merz derweil weiter und spricht dem SPD-Kontrahenten jede Fähigkeit zur Führung ab: "Sie haben keine Ahnung von dem, was da in den nächsten Jahren auf Sie und uns zukommt."
In der Tat hat Scholz sich zuvor vor allem der Betrachtung des Gewesenen gewidmet und auf die Corona-Pandemie sowie den Einmarsch der Russen in die Ukraine geblickt. Der Blick nach vorn reicht bei ihm nur bis zum Nachtragshaushalt 2023, den das Kabinett gerade verabschiedet hat und den der Bundestag bis Jahresende beschließen will. Wie es mit dem Etat für 2024 aussieht, der eigentlich in dieser Woche auf der Tagesordnung stand, lässt Scholz offen.
Während Lindner und Habeck auf der Regierungsbank gequält aus der Wäsche schauen, verrät Scholz zum Zeitplan nur so viel: Die Ampel werde "mit der nötigen Ruhe und Verantwortung für unser Land" vorgehen. Der Kanzler bleibt im Anschluss noch auf der Regierungsbank sitzen, später verschwindet er unauffällig. Manchmal ist es eben gut, wenn es nicht zu viele Bilder gibt.