Merkel nach knapper Wahl als Kanzlerin vereidigt

Zum wahrscheinlich letzten Mal ist die CDU-Vorsitzende zur Kanzlerin gewählt worden – es ist Neuanfang und Abschied zugleich. Auch Mama und Ehemann sind dabei.
Lisa Marie Albrecht
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) legt ihren Amtseid ab vor Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Reichstagsgebäude.
Gregor Fischer/dpa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) legt ihren Amtseid ab vor Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) im Reichstagsgebäude.

Berlin - Ganz in (Creme-)Weiß strahlt sie, als der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) ihr nach der Wahl den ersten Blumenstrauß überreicht, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) ihr später auf Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde gibt, als sie im Bundestag schließlich die Hand zum Schwur erhebt. Der helle Ton, den sie für ihren Blazer gewählt hat, ist ein Novum in der Kanzler-Karriere von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gestern in Berlin zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt und vereidigt worden ist.

Bei ihren vergangenen Amtseiden in den Jahren 2005, 2009 und 2013 zeigte sie sich immer in tiefem CDU-Schwarz. Aber heuer mache ich eben alles ganz anders, will Bundeskanzlerin Angela Merkel damit vielleicht sagen und ihren Kritikern, die für die kommenden Jahre Ewiggleiches befürchten, ein optisches Zeichen geben. Auf ein weißes Blatt Papier schreibt man Neues ja auch gleich viel lieber.

Merkels Antritt: Auch Mama und Ehemann sind dabei


Familie und Vertraute (v.l.): Regierungssprecher Steffen Seibert, Büroleiterin Beate Baumann, Merkels Mutter Herlind Kasner, ihr Stiefsohn Daniel Sauer, ihr Ehemann Joachim Sauer und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Immer wieder sucht Merkel Augenkontakt zu ihrer Familie Überhaupt ist bei Merkels vierter Wahl einiges anders. Schließlich dürfte es ihre letzte Amtszeit sein – und deren Beginn zelebriert sie auch mit ihrer Familie. Dieses Mal sitzt ihr Ehemann Joachim Sauer auf der Ehrentribüne – den drei früheren Wahlen war er fern geblieben. Während er auf die Verkündung des Ergebnisses wartet, klappt er seinen Laptop auf und vertreibt sich die Zeit. Später plaudert er mit Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, den Laptop immer noch auf den Knien. Oft sucht Merkel den Augenkontakt mit ihrer Familie. Zu ihren Ehrengästen zählen auch Sauers Sohn Daniel aus erster Ehe und ihre Mutter Herlind Kasner. Die 89-Jährige war bei jeder Wahl dabei. In der Auszähl-Pause geht sie einen Schluck Wasser trinken – „Damit wir für gleich fit sind“ – und fragt den Grünen-Politiker Roland Resch, einen Freund der Familie, neugierig: „Zählen die eigentlich per Hand aus?“ Dann steht das Ergebnis fest: Von den 688 gültigen Stimmen entfielen 364 auf Merkel, 355 brauchte sie mindestens. Damit waren es nur neun Stimmen mehr, als sie mindestens für die sogenannte Kanzlermehrheit benötigt hätte.

Was wie ein knappes Ergebnis klingt, entspricht jedoch weitgehend ihren vorangegangenen Kanzler-Wahlen: Bei 399 GroKo-Abgeordneten und 364 Stimmen für Merkel ergibt sich ein Prozentsatz von 91,2 Prozent. 2013 waren es 91,6 Prozent, 2009 wurde die nötige Kanzlermehrheit nur um elf Stimmen übertroffen.

Dennoch zeigte sich SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles erstaunt über das Ergebnis: „Es waren mehr Gegenstimmen, als ich erwartet hätte“, sagte Nahles dem Sender Welt. Bei der SPD sei „die Lage sehr geschlossen“ gewesen. Linke und Grüne werteten das Wahlergebnis als holprigen Start und Zeichen für die Zerrissenheit der Großen Koalition. FDP-Chef Christian Lindner sprach von einem „Autoritätsverlust“ der Kanzlerin. „Merkel und ihre geschrumpfte Koalition schleppen sich sichtbar lustlos in die hoffentlich letzte Amtszeit der Kanzlerin“, twitterte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Leif-Erik Holm. Von ihrem SPD-Herausforderer bei der vergangenen Bundestagswahl, Martin Schulz, gibt es auf dem Weg zur Stimmabgabe dagegen ein Lächeln und Schulterklopfen. Anschließend ernennt Steinmeier Merkel zur Kanzlerin und sie wird vereidigt. Auch ihre 15 Ministerinnen und Minister legen vor Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Eidesformel ab.

Fast sechs Monate nach der Bundestagswahl hat Deutschland also wieder eine Regierung. Steinmeier rief die Beteiligten auf, verloren gegangenes Vertrauen bei den Bürgern zurückzugewinnen. Dazu werde ein „schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen“, sagte er. Union und SPD hatten angekündigt, sich nun sehr schnell um ihre Vorhaben zu kümmern. Auch den europäischen Partnern will Merkel rasch Handlungsfähigkeit signalisieren. Für den späten Nachmittag war die erste Sitzung des neuen Kabinetts geplant, am Freitag wird Merkel in Paris erwartet. An Abschied kann sie noch nicht denken. Sie muss ihren Gegnern beweisen, dass Erneuerung auch bei einer vierten Amtszeit möglich ist – eine Aufgabe, bei der die Wahl der Blazerfarbe nur der Anfang sein kann.

Kleine Zwischenfälle während der Wahl

Im Bundestag kam es während der Wahl und Merkels Vereidigung zu kleineren Zwischenfällen. Ein Mann wurde von der Polizei wenige Meter von der Kanzlerin entfernt niedergerungen, als Merkel das Reichstagsgebäude verließ. Der AfD-Abgeordnete Peter Bystron muss ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro zahlen, weil er seinen Wahlzettel, auf dem er "Nein" angekreuzt hatte, fotografiert und das Bild im Netz veröffentlicht hatte. Amüsierte Reaktionen löste Merkels Mann Joachim Sauer aus, der während der Wahl auf Handy und Laptop herumtippte.

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