Merkel im Krisenmodus - Seehofer droht im Asylstreit mit Alleingang
Keine 100 Tage nach dem holprigen Auftakt der neuen großen Koalition liefern sich die Unionsschwestern einen erbitterten Streit um die Asylpolitik. Eine gemeinsame Lösung scheint immer unwahrscheinlicher.
Berlin - Der erbittert geführte Asylstreit von CSU und CDU droht endgültig zu eskalieren. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) drohte Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einem Alleingang: Sollte es keine Einigung in der Frage um die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze geben, wolle er notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen. Das machte Seehofer nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in einer Sondersitzung der CSU-Landesgruppe in Berlin deutlich.
Rechtlich betrachtet kann Seehofer kraft seines Amtes als amtierender Bundesinnenminister die Zurückweisung der von Flüchtlingen an den Grenzen im Alleingang entscheiden. Er braucht dafür nicht die Zustimmung der Kanzlerin oder des Kabinetts. Die Bundespolizei müsste dann umgehend entsprechend seiner Vorgaben handeln. Für Merkel und ihre Koalition würde dies aber faktisch das Ende der Regierung bedeuten. Die Kanzlerin könnte, wenn sie den Alleingang verhindern wollte, Seehofer nur das Vertrauen entziehen.
Unverhohlene Drohung: "Zum Bruch fehlt nicht viel"
Auch Stimmen aus der CSU sprechen mittlerweile offen von einem Bruch der Union aus CDU und CSU. "Für eine gemeinsame Fraktion könnte es sehr eng werden", sagte ein führender CSU-Abgeordneter unserer Zeitung. "Zum Bruch fehlt nicht mehr viel."
Sogar Seehofer selbst habe bei der internen Sitzung eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU als Konsequenz eines möglichen Alleingangs nicht ausgeschlossen, erfuhr unsere Zeitung aus Kreisen der CSU. Die Landesgruppe habe sich bei ihrer Sondersitzung am Donnerstag demonstrativ hinter Seehofer gestellt und ihn ermutigt, seinen "Masterplan Migration" unabhängig vom Streit mit der Kanzlerin vorzustellen.
Dürfen Asylbewerber ohne Papiere über die deutsche Grenze?
Im Kern streiten CSU und CDU seit Tagen darüber, ob auch Asylbewerber ohne Papiere sowie bereits abgeschobene Bewerber wie von der CSU gefordert nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen. Bei der Zurückweisung von bereits in anderen europäischen Ländern registrierten Flüchtlingen hatte das CDU-Präsidium am Donnerstagmorgen Kompromissbereitschaft signalisiert.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) reicht das Kompromissangebot der CDU aber nicht aus. "Bei der Zuwanderung dürfen wir keine halbe Sachen mehr machen", sagte Söder der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Merkel bittet um Vertrauen
Bundeskanzlerin Angela Merkel warb indes vor den CDU-Bundestagsabgeordneten um Unterstützung für ihren Kurs in der Asylpolitik. Nach dpa-Informationen von Teilnehmern der Sondersitzung bat sie um Vertrauen bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel. Bis dahin will Merkel tiefgreifende Fortschritte für eine gemeinsame Asylregelung in der EU erreichen.
Die Kanzlerin stellte in der Sitzung zudem ihren Kompromissvorschlag im Streit mit der CSU vor. Als erster Redner ergriff nach ihr Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Wort, der in der Fraktion hohes Ansehen genießt. Er stellte sich demonstrativ hinter den Kurs Merkels und warnte, es gehe nicht, dass die Union in einer so schwierigen internationalen Lage die Bundeskanzlerin schwäche.
Nahles fordert Union auf, Streitigkeiten beizulegen
Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles lehnte den CSU-Vorschlag für eine Abweisung von Asylbewerbern schon an der Grenze strikt ab. "Wir fordern die Union auf, ihre internen Streitigkeiten möglichst bald zu beenden", sagte sie am Donnerstag in Berlin nach einer Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion, deren Vorsitzende sie ebenfalls ist. "Theaterstücke im Dienste von Landtagswahlen sind hier nicht angemessen", sagte Nahles mit Blick auf die bayerische CSU, die im Oktober ihre Mehrheit bei der Landtagswahl verteidigen will und in der Flüchtlings- und Asylfrage auf eine harte Linie pocht.
"Wir sind zu einer ganz klaren Position gekommen", sagte Nahles nach der Sondersitzung. "Wir haben sehr umfangreiche und konkrete Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zum Thema Migration und Asyl".
SPD stützt Merkels Linie
Dabei gebe es von dem Prozedere für Rückführungen bis zu Ankerzentren für Asylbewerber und einem Einwanderungsgesetz klare Verabredungen. "Dazu stehen wir ausdrücklich." Der Vorstoß von Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer, bereits in anderen EU-Staaten mit Fingerabdrücken registrierte Asylbewerber schon an der Grenze abzuweisen, steht nicht im Vertrag. Im Prinzip stützt die SPD hier die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Die Töne aus der CSU klangen am Donnerstagmittag aber dennoch nicht wirklich kompromissbereit. "Wir haben der CDU mitgeteilt, dass wir jetzt Handlungsnotwendigkeit sehen", sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor einer Sondersitzung der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Deutschland stehe vor einer historischen Situation. Man müsse das Asylsystem neu ordnen, dazu gehöre, dass man jetzt Entscheidungen treffe und nicht auf unbestimmte Zeit verschiebe. Darüber hinaus unterstütze die CSU alle Bemühungen, europäische Lösungen herbeizuführen. Dies sei aber nicht kurzfristig machbar, "so dass wir jetzt handeln müssen".
Das CSU-Vorstandsmitglied Hans Michelbach sprach sich dafür aus, bei einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion über die verschiedenen Positionen im Asylstreit abstimmen zu lassen. Bislang ist aber noch unklar, wann genau es eine Sondersitzung geben wird.
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