Große Koalition: Wenn Elefanten flirten

 Die Gedankenspiele über eine große Koalition mischen den Wahlkampf auf – die AZ erklärt Hintergründe und Aussichten
von  tan

Die Gedankenspiele über eine große Koalition mischen den Wahlkampf auf – die AZ erklärt Hintergründe und Aussichten

BERLIN Von den Politikern will sie – offiziell – niemand, bei den Bürgern ist sie die beliebteste Option: die große Koalition. Jetzt werden im Wahlkampf die Gedankenspiele um ein solches Bündnis lauter, auch bei Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstselbst. Die AZ analysiert, wer hier welche Strategie verfolgt und welche Chancen die Neuauflage einer Elefantenhochzeit hätte.

Was will die CDU? Sie erinnert sich recht gern an die erste große Koalition von 2005 bis 2009. Nicht nur, weil sie die SPD damit erfolgreich kleinregiert und in ein Rekordminus gedrückt hat. Sondern auch, weil die Zusammenarbeit – gerade in der Finanzkrise – reibungsloser verlief als später mit der FDP. Allerdings sagen viele Unionsstrategen: Die SPD war damals eine andere. Mit den besonnenen Sozialdemokraten Franz Müntefering, Peter Struck, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück gab es eine verlässliche Kooperation. Bei einer Neuauflage wäre aber wohl Sigmar Gabriel der starke Mann der SPD, Steinbrück steht dafür nicht zur Verfügung. Und Gabriel gilt in der Union als unberechenbar. Sie hält es für wahrscheinlich, dass er die Koalition nach zwei Jahren platzen ließe: im Kalkül, dass Merkel dann nicht mehr antritt und die SPD bessere Chancen hätte, eventuell auch mit einer bis dahin noch regierungsfähigeren Linken.

Was will die FDP? Sie empört sich öffentlich über die Gedankenspiele und warnt, die SPD werde für die Schwarzen der teurere Partner, weil sie (anders als die FDP) noch andere Möglichkeiten hätte. Der Ärger ist auf den ersten Blick verständlich, wenn der Wunschpartner nach anderen schielt. Und sei es nur, um den eigenen Partner klein zu halten: Die CDU hat keine Lust auf eine Neuauflage der Koalitionsgespräche von 2009, als die Liberalen vor Kraft kaum laufen konnten. Aber, noch eine Ecke weitergedacht: Die Spekulationen über eine große Koalition könnten der FDP nach Ansicht von Wahlforschern auch nutzen. Denn sie signalisieren: Wer garantiert Schwarz-Gelb will, muss eigentlich Gelb wählen – weil Schwarz vielleicht etwas anderes macht. Doch diese Rechnung könnte daran scheitern, dass Schwarz-Rot mehr Anhänger hat als Schwarz-Gelb.

Was will die SPD? Weiten Teilen der Basis ist die Neuauflage einer Koalition mit Merkel ein Graus. Der 23-Prozent-Gau nach dem ersten Anlauf steckt vielen in den Knochen. Aber: Reicht es für Schwarz-Gelb nicht (und der Vorsprung ist knapp), kann es für die SPD das kleinste Übel sein. Die eine Alternative wäre ein Bündnis mit der Linken (in der SPD aktuell nicht mehrheitsfähig), die andere wäre womöglich Schwarz-Grün. Und sollte das halbwegs funktionieren und sich die Grünen als die moderne Kraft der linken Mitte profilieren, könnte die SPD noch mehr verlieren.

Wie sieht es inhaltlich aus? Relativ gut. In vielen Punkten stehen sich SPD und Union näher als FDP und Union – auch, weil Merkel die Christdemokraten ziemlich sozialdemokratisiert hat. Bei Mindestlohn und Mietbremse ohnehin, auch beim Thema Rente oder Reformen wie in der Pflege gibt es keine großen Differenzen, ebensowenig beim grundsätzlichen Bekenntnis zur Eurorettung. Knirschen könnte es beim Steuer-Thema.

Welche Schlagkraft hätte so ein Bündnis? Die Machtverhältnisse im Bundesrat sind ein zentrales Argument in der Debatte um eine große Koalition: Viele große Projekte würden die Länderkammer viel leichter passieren. Insofern hatten manche auch das 100-Tage-Programm von Unionsfraktionschef Volker Kauder bereits als verstecktes Plädoyer für eine große Koalition begriffen – denn viele der dort genannten Pläne könnte eine schwarz-gelbe Regierung mit ihrem Mini-Anteil von 15 der 69 Stimmen im Bundesrat ohnehin nicht durchsetzen. Auch eine große Koalition hätte nicht automatisch eine eigene Mehrheit, sondern erst mal nur die 18 Stimmen von schwarz-rot-regierten Ländern. Aber natürlich würden Einigungen leichter fallen, wenn alle Ministerpräsidenten (bis auf den Grünen Kretschmann) einer Regierungspartei angehören.

 

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