Fachkräftemangel: Warten auf Horst Seehofers Einwanderungsgesetz
Berlin - Es ist ziemlich genau 17 Jahre her. Am 4. Juli 2001 präsentierten der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und die beiden Vorsitzenden der von ihm ein Jahr zuvor eingesetzten "Unabhängigen Kommission Zuwanderung" den Abschlussbericht. Vorsitzende waren damals die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sowie der einstige SPD-Partei- und Fraktionschef Hans-Jochen Vogel.
"Noch nie", so schwärmte Süssmuth damals, habe es so viele Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien in Fragen der Zuwanderung gegeben. Man sei sich einig, dass Zuwanderung angesichts des demografischen Wandels dringend nötig sei, damit Deutschland auf Dauer seinen Bedarf an Arbeitskräften und somit auch an Beitragszahlern für die sozialen Sicherungssysteme decken könne. "Lasst uns jetzt die Chance nutzen", sagte sie.
In ihrer gut neunmonatigen Arbeit hatte sich die hochrangig besetzte "Süssmuth-Kommission" im Konsens auf eine Reihe von Empfehlungen geeinigt. Deutschland solle zunächst pro Jahr mindestens 50.000 Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten aufnehmen. 20.000 sollten nach einem Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas ausgewählt werden. Es berücksichtigte unter anderem das Alter, die Berufsbildung und die Sprachkenntnisse der Bewerber. Weitere 20.000 Menschen sollten Branchen mit Fachkräftemangel direkt anwerben dürfen und 10.000 junge Menschen sollten nach Deutschland einwandern dürfen, um hier eine Berufsausbildung zu machen.
Arbeitszuwanderung - die Union hat sich lange gegen ein neues Gesetz gesträubt
Seitdem sind 17 Jahre vergangen – und nichts ist geschehen. Beharrlich weigerte sich die Union, die Arbeit an einem derartigen Gesetz aufzunehmen, auch ein Vorstoß des früheren CDU-Generalsekretärs Peter Tauber in der vergangenen Legislaturperiode lief ins Leere. Nun aber unternehmen Union und SPD einen neuen Anlauf, um ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden.
Nach der Sommerpause will Innenminister Horst Seehofer (CSU) erste Eckpunkte vorlegen, bis spätestens zum Jahresende soll der Gesetzentwurf vom Kabinett beschlossen werden, damit sich dann im neuen Jahr der Bundestag mit der Vorlage beschäftigen und das Gesetz im Frühjahr verabschieden kann.
Bei ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz am vergangenen Freitag nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Vorhaben ein "zentrales Projekt" der Großen Koalition. Einerseits gehe es um die Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland für Branchen mit Fachkräftemangel, andererseits aber auch um die "Ordnung und Steuerung der Migration".
Ein Punktesystem soll es wohl nicht geben
Wie das geschehen soll, ist noch offen, gleichwohl zeichnen sich erste Konturen ab. Ein Punktesystem, wie es einst die "Süssmuth-Kommission" vorgeschlagen hat, wird es wahrscheinlich nicht geben. Denn auch die Punkte garantieren nicht, ob der Zuwanderer danach tatsächlich in Deutschland einen Arbeitsplatz findet – oder im Sozialsystem landet.
Vielmehr soll nur einreisen dürfen, wer bereits einen Arbeitsvertrag mit einem deutschen Unternehmen vorweisen kann.
Als Vorbild nannte Merkel die Regelung, die Deutschland mit den Staaten des westlichen Balkans getroffen hat. Einerseits wurden diese Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt, was es praktisch unmöglich macht, bei der Einreise in die Bundesrepublik einen Antrag auf politisches Asyl zu stellen und während dieser Zeit einen Job zu suchen. Andererseits aber wurde die Möglichkeit geschaffen, dass die Menschen sich in ihren Heimatländern um einen Arbeitsplatz in Deutschland kümmern können.
Wird die Regelung mit den Westbalkanstaaten die Basis sein?
Vor Ort gibt es spezielle Zentren, die über offene Stellen informieren. Liegt ein vom Arbeitgeber unterschriebener Arbeitsvertrag vor, stellt die deutsche Botschaft ein Visum aus, womit legal eingereist werden kann.
Im Gegensatz zur sogenannten "Blue Card", die ausschließlich für Hochschulabsolventen gilt und an ein Mindesteinkommen von 52.000 Euro im Jahr (bei Mangelberufen 40.560 Euro) gekoppelt ist, haben über diese Regelung auch Handwerker oder Geringqualifizierte die Möglichkeit auf eine legale Einreise.
2017 wurden 37.427 Arbeits-Visa für Frauen und Männer aus den Westbalkan-Ländern ausgestellt, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Pflegekräfte aus Osteuropa?
Vor wenigen Tagen erst hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen, gezielt Pflegekräfte aus den Ländern des Balkans und Osteuropas anzuwerben, um die Personalprobleme bei der häuslichen wie stationären Pflege zu lösen.
Die Innenexperten von CDU und CSU sind nach AZ-Informationen bereit, die Westbalkan-Regelung als Basis eines Einwanderungsgesetzes zu verwenden, wenn gleichzeitig sichergestellt sei, "dass wir die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten strikt begrenzen", wie ein führender Unions-Innenpolitiker sagt.
Die SPD hat sich noch nicht abschließend positioniert, tendiert aber zu einer nicht ganz so strikten Regelung. So plädierte etwa Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) dafür, dass Pflegekräfte aus dem Ausland auch ohne Vorliegen eines Arbeitsvertrages ein sechsmonatiges Visum erhalten könnten, um in dieser Zeit eine Stelle in der Bundesrepublik zu suchen.
Und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil deutete an, mithilfe des Einwanderungsgesetzes auch eine Brücke zu bauen für diejenigen, die das Land eigentlich verlassen müssten, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, die aber schon seit Längerem in Deutschland leben, einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung hätten und gut integriert seien.
Doch über diesen letzten Punkt wird es vermutlich noch heftige Auseinandersetzungen zwischen den Parteien CDU, CSU und den Sozialdemokraten geben.