EU-Gipfel streitet um eine Billion Euro
In der EU geht es ans Eingemachte - die eigenen Ausgaben in Billionenhöhe. Jeder Mitgliedstaat versucht, ein großes Stück des Kuchens zu ergattern.
Brüssel/Berlin - Beim Brüsseler Sondergipfel gelten Nachtsitzungen als sicher. Ein Scheitern ist möglich.
Die Positionen zur Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020 schienen unmittelbar vor Start des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel unvereinbar. Unklar blieb auch, wann die auf zwei Tage und eine Nacht angelegte Mammutkonferenz tatsächlich enden wird.
Eine Extremposition nimmt Großbritanniens konservativer Premier David Cameron ein. Er besteht auf dem Erhalt des Beitragsrabatts für die Insel von jährlich 3,6 Milliarden Euro und Einsparungen von rund 200 Milliarden Euro. Camerons Haupt-Kontrahent ist Frankreichs Staatschef François Hollande, der auf den Erhalt von Milliarden-Zahlungen aus Brüsseler Agrar- und Regionaltöpfen pocht. Paris fährt eine harte Linie und will notfalls zu einem späteren Termin weiterverhandeln.
Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Mittwoch im Bundestag, der Gipfel sei von großer Bedeutung: "Ich weiß nicht, ob wir morgen oder übermorgen schon die abschließenden Ergebnisse schaffen können. Notfalls müssen wir uns dann nochmals treffen Anfang des nächsten Jahres." Ein EU-Diplomat meinte: "Wenn wir keine Abmachung haben, ist das nicht unbedingt eine Tragödie."
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ist jedoch entschlossen, einen Kompromiss zu schmieden. Er schlug für den Sieben-Jahres-Zeitraum einen Ausgabenrahmen von maximal 1010 Milliarden Euro vor. Die EU-Kommission hält jedoch - ebenso wie eine Gruppe von 16 meist ärmeren Mitgliedsstaaten - höhere Ausgaben von bis zu 1091 Milliarden Euro für nötig, um das Funktionieren der Gemeinschaft sicherzustellen.
Die reichen "Nettozahler", allen voran Deutschland, wollen einen Haushaltsplan von höchstens 990 Milliarden Euro zulassen. Ihrer Ansicht nach sollten die EU-Ausgaben nicht höher als 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU sein. Das ist nicht weit entfernt von Van Rompuys Vorschlag, der bei 1,01 Prozent landet. Nettozahler sind Länder, die mehr in die Brüsseler Kasse einzahlen als aus ihr in die Staaten zurückfließt.
Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte dem Europaparlament in Straßburg, das ebenfalls höhere Ausgaben fordert: "Die Regierungen werden vor allem zuerst ihr nationales Interesse verteidigen. Der Kommissionsvorschlag stellt das europäische Interesse dar."
Bei der Finanzplanung ist Einstimmigkeit erforderlich, jede EU-Regierung hat somit ein Vetorecht. Lettlands Ministerpräsident Valdis Dombrovskis war einer der letzten Regierenden, die mit einem Veto drohten, falls die Interessen seines Landes nicht ausreichend berücksichtigt würden.
Van Rompuy hat gemeinsam mit Barroso die Staats- und Regierungschefs vom Donnerstagvormittag an zu "Beichtstuhlgesprächen" eingeladen. Dabei sollen unter sechs Augen "rote Linien" und Kompromissbereitschaft der einzelnen Regierungen ausgelotet werden. Offiziell beginnt der Gipfel erst um 2000 Uhr. Noch am Abend will Van Rompuy dann auch eine neue Version seines Vorschlags für die Finanzplanung vorlegen. Er warnte vor einem Scheitern und forderte Kompromissbereitschaft. Der Gipfel werde "nötigenfalls verlängert".
Die ärmeren Staaten fürchten vor allem, dass die Transferzahlungen aus dem EU-Haushalt, mit denen der Lebensstandard gehoben werden soll, geringer werden. Barroso mahnte, die Firmen von Nettozahlern profitierten erheblich von großen Infrastrukturprojekten, aus denen Strukturfonds finanziert werden.
Die Finanzplanung kann nur in Kraft treten, wenn auch das Europaparlament zustimmt. Der Präsident des Parlaments, Martin Schulz (SPD), sagte in Straßburg, er sei sich nicht sicher, "dass der Rat die Dramatik der Situation bereits begriffen hat". Die von den Regierungschefs selbst beschlossenen Ziele müssten finanzierbar bleiben.
Griechenlands Premier Antonis Samaras ließ in Athen ankündigen, er wolle Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker am Rande des Gipfels treffen. Der erbitterte und bisher ungelöste Streit unter den Euro-Finanzministern über die Auszahlung von neuen Hilfen an das Krisenland ist aber kein offizielles Gipfelthema.
Die Staatenlenker wollen laut Diplomaten den luxemburgischen Notenbankchef Yves Mersch zum neuen Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank ernennen. Um die Personalie hatte es lange Ärger gegeben, weil das Europaparlament eine Frau auf dem Spitzenposten forderte.