"Es herrscht keine Panik bei der FDP"

Im AZ-Interview äußert sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (58) über das Rezept der Liberalen gegen schlechte Umfragewerte, den Kauf geklauter Steuersünderdaten und die Kritik an ihrer vornehmen Zurückhaltung in der Tagespolitik.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Liberaler Minister-Plausch: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Rainer Brüderle.
dpa Liberaler Minister-Plausch: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Rainer Brüderle.

BERLIN - Im AZ-Interview äußert sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (58) über das Rezept der Liberalen gegen schlechte Umfragewerte, den Kauf geklauter Steuersünderdaten und die Kritik an ihrer vornehmen Zurückhaltung in der Tagespolitik.

AZ: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, hat die FDP auf ihrer Krisensitzung am Sonntag ein Rezept gegen den rapiden Popularitätsverfall gefunden?

SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Unsere Botschaft ist ganz klar: Die FDP wird in dieser Koalition schrittweise kompetent und seriös ihre Programmvorstellungen einbringen. Wir werden uns dabei nicht von der NRW-Wahl abhängig machen. Es soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass wir Angst vor den Bürgern hätten und deshalb nicht mehr in der Lage seien, unsere Inhalte zu transportieren. Die Bürger erwarten von der Politik Transparenz und Offenheit – und kein Schweigen bis zum 9. Mai.

Können Sie konkreter werden?

Bei der Gesundheitsreform werden wir uns damit befassen, welche Schritte die Politik jetzt bereits einleiten kann – unabhängig von dem großen Reformentwurf, den eine Regierungskommission vorlegen soll. Natürlich halten wir auch an unserem Ziel einer Steuerstrukturreform fest. Damit das für die Bürger aber leichter nachvollziehbar ist, wollen wir auch hier schnell konkrete erste Schritte vorschlagen – die parallel zur Haushaltskonsolidierung gemacht werden können.

Die Union hängt noch an der großen Koalition

Also drückt die FDP jetzt aufs Reformtempo – aus Panik, dass sich die CDU in NRW den Grünen an die Brust wirft?

Es herrscht überhaupt keine Panik bei der FDP. Wir wollen jetzt nur konkrete, machbare Schritte vorschlagen – und zwar auf der Grundlage des Koalitionsvertrags. Wir halten uns nämlich an den Koalitionsvertrag und verunsichern nicht dauernd die Bürger mit neuen Botschaften, die darin gar nicht enthalten sind. Die Union dagegen hängt gerne noch an Wegen, die sie in der großen Koalition gemeinsam mit der SPD eingeschlagen hat. Da kommt immer wieder das Argument: „Das können wir jetzt so nicht machen, weil wir es in der letzten Legislaturperiode noch anders gesehen haben.“

Auch CDU-Umweltminister Norbert Röttgen sieht das offenbar so. Er will plötzlich doch wieder am Atomausstieg festhalten.

Auch hier gilt für die FDP der Koalitionsvertrag. Jetzt soll Herr Röttgen erst mal sehen, wie seine eigene Partei damit umgeht, dass er sagt, die CDU mache gerne Grünen-Politik.

Es vergeht fast kein Tag, ohne dass es scheppert zwischen FDP, CDU und CSU.

Dass das sehr schwierig wird, war mir klar. Ich mache ja bereits seit 2008 entsprechende Erfahrungen in Bayern. Mit einem CSU-Koalitionspartner, der immer schaut, wie er sich möglichst zu Lasten der FDP profilieren kann. Wobei die Union langsam aufwacht und merkt, dass sie sich vielleicht von früheren Positionen verabschieden muss.

Wo macht sie das Ihrer Meinung nach?

Es ist gut, dass sich die Union endlich zu einer Grundgesetzänderung durchgerungen hat, um die Jobcenter für Hartz-IV-Empfänger auf eine rechtlich wasserdichte Grundlage zu stellen. Das eilt, die Kommunen brauchen Sicherheit. Und für eine vernünftige Reform brauchen wir die Grundgesetzänderung. Außerdem wollen wir verfassungsfeste Grundlagen für mehr Options-Kommunen. Mit der Grundgesetzänderung verhindern wir, dass das bestehende System einfach abgesegnet wird oder künstlich bürokratische Monster geschaffen werden. Zu meinen, man reformiert da so ein bisschen herum, ohne die Verfassung zu ändern, würde nur verunsichern und vielleicht Klagen provozieren.“

Am Dienstag entscheidet Karlsruhe über die Hartz IV-Sätze für Kinder. Was erwarten Sie sich von dem Urteil?

Ich erwarte, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber beauftragt, bei Hartz IV nochmal deutlich nachzubessern.

Das dürfte teuer werden. Und in dieser Situation will die FDP rasch weitere Steuersenkungen durchpeitschen. Das passt doch nicht zusammen.

Doch. Weil Steuersenkungen nötig sind, um Wachstum anzukurbeln.

Wenn das alles so logisch ist - warum sind dann die Popularitätswerte der FDP und ihrer Minister derart in den Keller gerauscht?

Das sind doch nur Momentaufnahmen. Wenn wir sachlich und gut arbeiten, wird sich das wieder ändern.

"Ich kann damit leben, dass ich nicht jeden Tag auf Seite eins auftauche"

Auch an Ihnen gab’s erste Kritik: Sie seien bislang vor allem durch vornehme Zurückhaltung aufgefallen, meinen Kommentatoren.

Ich mache hier mit Differenziertheit und Nachdenklichkeit meinen Job, habe bereits mehrere Gesetze auf den Weg gebracht. Im Übrigen kann man grundlegende Gesetzgebungsvorhaben nicht mal eben in ein paar Tagen aus dem Ärmel schütteln. Also kann ich damit leben, wenn manche mir vorwerfen, dass ich nicht jeden Tag auf Seite eins auftauche. Schauen Sie sich zum Beispiel die Sache mit der Steuer-CD an: Ich sehe das differenziert, da nützt lautstarkes Vorpreschen nichts.

Manchen Kritikern sind Sie da trotzdem zu ruhig. Die fragen empört, wo die Stimme der Verfassungsministerin bleibt, wenn der Staat Hehlerware kauft.

Schön, solche Zurufe hören. Aber im Ernst: Ich habe mich an Ressortzuständigkeiten zu halten. Und federführend ist für den Kauf der Steuer-CD nun mal der Finanzminister. Ich habe mich geäußert, aber so einfach, wie manche meinen, ist das eben nicht: Der Vorwurf der Hehlerei oder anderer möglicher Strafttaten kann nicht pauschal beantwortet werden.

Ihr Parteifreund, der Stuttgarter Justizministerkollege Goll, wird da deutlicher: „Es darf keine Geschärfte mit Ganoven geben“, sagt der.

Jetzt werden ja plötzlich überall CDs angeboten. Ich denke, wir brauchen eine ganz andere Grundlage dafür, wie wir beim Verdacht auf Steuerhinterziehung mit Ländern wie Luxemburg, der Schweiz oder Liechtenstein zusammenarbeiten. Sich als Staat jetzt dauernd in die Hände von möglichen Verkäufern von Information zu begeben, kann nicht der Weg in die Zukunft sein.

Interview: Markus Jox

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.