#ausspekuliert-Demo in München: Größter Mieter-Protest aller Zeiten
München – Die Geschichten von Eigenbedarf, Entmietung und Modernisierungsumlage haben die Münchner schon viel zu oft gehört. Trotzdem hören tausende Münchner vor dem Siegestor zu, als die ehemaligen GBW-Mieter vom Ackermannbogen – viele von ihnen Geringverdiener – erzählen, dass sie sich wegen der Mieterhöhung ihre Wohnungen nicht mehr leisten können.
Sie pfeifen und klatschen und buhen, als Schwabinger Mieter von der Wagnerburg erzählen, dass zwar ihr Haus unter Ensembleschutz steht, nicht aber sie als Mieter. Wegen Luxussanierungen sind die meisten nach jahrelangem Kampf ausgezogen. Am Rande der Demo (hier gibt's den Live-Blog zum Nachlesen) sagt eine Mitarbeiterin des Mietervereins, das seien nur die Spitzen des Eisbergs. Viele Mieter hätten so große Angst, dass sie mit ihrem Mietschicksal nicht an die Öffentlichkeit gehen – aus Angst vor weiteren Repressalien oder gar Kündigung.
Die Leute sind nicht gekommen, um Bands zu feiern. Sie sind wütend.
Es ist die größte Mieterdemonstration, die München je erlebt hat. Die Veranstalter sprechen von 11.000 Menschen, die Polizei von über 10.000. Unter dem Motto "Ausspekuliert – Demo für bezahlbaren Wohnraum und gegen soziale Ausgrenzung" wurde ab 14 Uhr zum Protestzug aufgerufen, unter anderem vom Bündnis bezahlbares Wohnen, dem Mieterverein München, dem DGB Region München oder den Urbanauten.
"Die Mieter waren immer diejenigen, wo man das Gefühl hatte, die schauen zu. Und jetzt gehen sie auf die Straße", sagt Beatrix Zurek vom Mieterverein. "Ich glaube, es sind auch viele dabei, die nicht betroffen sind – oder noch nicht betroffen sind."
Der Zug durch die Stadt wächst stetig
Um 14 Uhr startet die Demo am Mariahilfplatz, da sind es laut Polizei 1.400 Demonstranten, die angeführt vom Motorradclub Kuhle Wampe über Gärtnerplatz, Isartor, Maximilian- und Ludwigstraße bis zum Siegestor ziehen.
Leise sind diese Mieter nicht mehr. Lautsprecherwagen mit DJs, Marching Bands und Trommelgruppen begleiten die Mieter, die eine Woche vor der Wiesn und dem Einzug der Wirte den Auszug der Mieter darstellen.
Es ist die dritte Großdemonstration in diesem Jahr und wieder treffen sich ganz verschiedene Menschen, die laut, aber friedlich demonstrieren. Beim Lautsprecherwagen ist Festivalstimmung. Maximilian Heisler heizt die Menge an, die keine Erklärung braucht, was sie auf "Den GBW-Verkauf finden wir ..." zurückbrüllen muss: "Scheiße" nämlich – und zwar ziemlich "scheiße", so laut, wie die Menge zurückbrüllt. "Und jetzt die Hände hoch. Die Hände so hoch wie die Mieten."
11.000 bei Ausspekuliert: Der Demo-Liveblog zum Nachlesen
Hohe Mieten in München: "Stadt und Freistaat schieben die Verantwortung weiter."
Denn Wohnen ist nicht mehr nur ein Problem für Geringverdiener, auch immer mehr Menschen aus der Mittelschicht können sich Leben in München nicht mehr leisten. "Der Reichste in dieser Stadt kann nicht leben, wenn es nicht Polizei und Rettungskräfte gibt, die sich ebenfalls eine Wohnung leisten können", sagt Versammlungsleiter Roland Fischer von der SPD.
Weiter hinten im sehr langen Demozug verteilt Andreas Kräftner, der mit seiner "Budenschleuder", einem Wohnungs-Newsletter, 22.000 Abonnenten hat, Kekse. "Ausspekulatius" nennt er sie und wer noch Geld hat und es noch nicht vollständig für die Miete ausgegeben hat, der spendet für die Veranstalter, die für die Finanzierung der Demo, vor allem für die Bühne, ein Darlehen aufnehmen mussten.
Um kurz vor 17 Uhr beginnt vor dem Siegestor die Abschlusskundgebung mit Musik und Redebeiträgen. Alle Parteien, außer CSU und AfD, unterstützen die Forderungen der Demonstranten: ein Verbot, Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln, nicht nur Neu- sondern auch Bestandsmieten in den Mietspiegel aufzunehmen, eine Verschärfung der Mietpreisbremse, die Modernisierungsumlage weiter zu deckeln und genossenschaftliches Wohnen mehr zu fördern - um nur einige der Forderungen zu nennen.
Doch Thomas Mayer von der Piraten-Partei, Mitorganisator der Demo, bringt es auf den Punkt: "Jeder schiebt die Verantwortung weiter, die Stadt zum Freistaat, der Freistaat zum Bund."
"Gegen Miethaie" und Spekulanten
Die größte Empörung aber gilt sowohl auf der Bühne als auch im Demonstrationszug den Investoren und Spekulanten. "Miethaie zu Fischstäbchen" haben viele auf ihren Plakaten stehen. Trotzdem leert sich der Platz vor dem Siegestor nach 17.30 Uhr zusehends.
Nachdem betroffene Mieter gesprochen haben, spielen Bands wie G-Rag und die Landlergschwister oder Main Concept, aber es scheint, als seien die Münchner tatsächlich nur gekommen, um in einem langen Demozug ihre Stadt für ein paar Stunden einzunehmen, ihre Wut mit Schildern hinauszutragen oder hinauszuschreien. Und nicht, um ein bisserl zu tanzen und zu ratschen. Zumal das, was da auf der Bühne erzählt wird, lang bekannte Probleme sind.
Lesen Sie hier einen Kommentar von AZ-Lokalchef Felix Müller: #ausspekuliert - ein lauter Hilferuf
Hintergrund - Stadt oft machtlos, das sind die Maßnahmen
In der vergangenen Woche hatte OB Dieter Reiter einen Brief an Minister Horst Seehofer geschrieben, in dem er forderte, der Bund solle die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um Mieter vor Verdrängung zu schützen. So sollen etwa die Regeln der Erhaltungssatzungen in der ganzen Stadt Anwendung finden dürfen. Im Vorfeld des Wohngipfels am Freitag in Berlin zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bauminister Horst Seehofer (CSU) ins Kanzleramt nach Berlin eingeladen haben, forderte der OB außerdem, den Mietspiegel neu zu gestalten.
Dieter Reiter hat im Mai ein Reformpaket geschnürt, mit dem der Münchner Mietwahnsinn gebremst werden soll. Der Stadtrat beschloss daraufhin im Juli eine München-eigene kommunale Mietpreisbremse. Dies hat bundesweit für Aufsehehn gesorgt, kommt aber freilich nur Mietern städtischer Wohnungen zugute.
Im großen AZ-Interview wirft Stadträtin und Mietervereinschefin Beatrix Zurek dem Freistaat außerdem vor, jahrelang Mieterschutz blockiert zu haben und erklärt, warum die Mietpreisbremse nicht funktioniert.
Seit einigen Monaten trifft sich in München auch regelmäßig ein Mieterstammtisch, bei dem sich Betroffene von Verdrängung oder Luxussanierung austauschen. Ein Fall sind etwa die Bewohner eines Hauses in der Kirchenstraße in Haidhausen. Sie fürchten, dass sie bald ihr Haus verlassen müssen. Im Vorfeld der ausspekuliert-Demo erzählten außerdem Mieter aus Obergiesing, Sendling, Schwabing und Neuhausen, wie und warum sie im ihre Zuhause fürchten.
Nach der Demo ist vor der Demo: nach dem großen #ausspekuliert-Mieterprotest steht schon die nächste Großdemonstration an: Die Veranstalter der Demo "#ausgehetzt", bei der Ende Juli Zehntausende in München auf die Straße gingen, haben sich mit dem Bündnis gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz (noPAG) zusammengetan und veranstalten am 3. Oktober eine Kundgebung auf dem Odeonsplatz.