Wirtschaftsexperte erklärt die Folgen der Geisterspiele für den FC Bayern
München - Die geplante Rückkehr der Fans ist das große Aufregerthema vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison am 18. September.
Triple-Sieger FC Bayern eröffnet die Spielzeit mit einem Heimspiel gegen Schalke 04 - in einer leeren Allianz Arena ohne Zuschauer. Einen Tag später werden dann mehrere tausend Fans Union Berlin während der Partie gegen den FC Augsburg nach vorne peitschen, und auch RB Leipzig bekommt am ersten Spieltag gegen Mainz 05 Unterstützung von den eigenen Anhängern. Ist das fair? Oder braucht die Liga eine einheitliche Fan-Lösung?
"Die teilweise Zulassung von Zuschauern ist definitiv ein Wettbewerbsvorteil für die Heimmannschaft", sagt Professor Henning Zülch, Wirtschaftswissenschaftler an der Handelshochschule Leipzig (HHL Leipzig Graduate School of Management) im Gespräch mit der AZ.

Zülch: Darum sollten wieder Fans ins Stadion dürfen
Zülch ist zuletzt der Frage nachgegangen, ob die Öffnung der Stadien, die bislang besonders bei Klubs in Ost-Deutschland zu beobachten ist, wirklich in erster Linie mit finanziellen Faktoren zusammenhängt - oder ob nicht doch andere Motive dahinterstecken.
Sein Schluss nach einer Analyse der Umsatzeinbußen in der Corona-Zeit: "Die finanziellen Verluste im Ticketing sind für die Bundesliga-Vereine zwar spürbar, besonders für mittlere und kleine Klubs. Doch es sind eher sportliche und gesellschaftliche Gründe, die dafür sorgen, dass nun wieder Fans in die Stadien gelassen werden sollen."
Ähnlich hatte sich zuletzt auch Karl-Heinz Rummenigge geäußert. "Es gibt Menschen, die sagen, das sei nötig, damit die Finanzen passen. Meine Sicht ist eine andere: Wir brauchen Emotionen und Atmosphäre. Darum geht es im Fußball, das ist Fußballkultur", erklärte der Vorstandschef des FC Bayern: "Wir müssen jetzt den Be- und den Nachweis liefern, dass das möglich ist." Bislang blockte die bayerische Staatsregierung um Ministerpräsident Markus Söder die Bemühungen für eine schrittweise Rückkehr der Zuschauer in die Münchner Arena ab. Obwohl der FC Bayern ein umfassendes Hygiene-Konzept unter Einhaltung der Abstandsregeln vorgelegt hat.
Söder macht Hoffnung auf Zuschauer
Jetzt deutet sich eine Kehrtwende an. Man wolle in dieser Woche versuchen, einen Kompromiss zu finden für einen Probebetrieb mit Zuschauern, sagte Söder am Montag nach einer Kabinettssitzung in München. Dies könne auch sehr schnell erfolgen, möglicherweise auch schon zum Start der Bundesliga an diesem Wochenende, sagte Söder und verwies auf Verhandlungen auf der Ebene der Chefs der Staatskanzleien.
Bisher lässt Söder bis zu 400 Zuschauer im Amateursport zu, wenn dieser unter freiem Himmel stattfindet. "Wir versuchen, eine belastbare Planung zu machen, nicht nur für die Fußball-Bundesliga, sondern auch für Basketball, Eishockey und Handball", sagte der Ministerpräsident. Söders Wunsch: eine bundesweit einheitliche Lösung. Ob das Realität wird, muss sich die Tage zeigen.
Zülch rechnet sonst mit Nachteilen für Klubs wie Bayern oder die Vertreter aus dem Westen wie Dortmund, Schalke, Gladbach und Leverkusen. In Nordrhein-Westfalen sind maximal 300 Zuschauer zugelassen. Diese Grenze soll - laut Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) - aber fallen. Es soll eine prozentuale Regelung gemessen an der Kapazität der Arenen geben. "Aber es wird keine vollen Sportstätten geben", so Laschet.
FC Bayern kann fehlende Ticketeinnahmen noch ausgleichen
Das Spannende an Zülchs Analyse: Finanziell sei dieser Zustand ohne Fans zu verkraften, die Umsatzeinbußen bezeichnet er als "überschaubar". Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hat der Wissenschaftler drei Szenarien entworfen, die die zu erwartenden Zuschauerzahlen für die neue Saison abbilden. Im wahrscheinlichsten "Szenario 2" seiner Analyse orientiert sich Zülch am Beispiel Sachsens mit RB Leipzig. Am ersten Spieltag darf RB 8.500 Fans ins Stadion lassen, die Sitzplatzauslastung beträgt 20 Prozent.
Setzen auch alle anderen Klubs dieses Konzept um, stehen am Saisonende ligaweit Umsatzeinbußen in Höhe von 165 Millionen Euro zu Buche. Was nach Zülchs Berechnungen einen Anteil von 4,5 Prozent am Gesamtumsatz der Liga aus der Vorsaison ausmacht. Der Wissenschaftler bezieht sich dabei allein auf Zahlen aus dem Ticketing, Catering-Erträge werden nicht berücksichtigt.
Was auffällt: Klubs aus dem Mittelfeld oder dem unteren Tableau der Liga haben am meisten unter den Einbußen zu leiden. Champions-League-Teilnehmer wie Bayern könnten die Verluste temporär auffangen. "Erst wenn die Corona-Zeit zur Dauersituation wird, kann es auch für Bayern Probleme geben", sagt Zülch. Prognosen, dass die Münchner pro Heimspiel Einbußen in Höhe von drei Millionen hinnehmen müssten, schätzt er als realistisch ein. Ebenso die Vorhersage von Vorstandschef Rummenigge, Bayern rechne im Geschäftsjahr 2019/20 mit etwa 50 Millionen an Mindereinnahmen. Zülch: "Verglichen mit den Verlusten großer Konzerne ist das verschwindend gering."
FC Bayern spielt im Supercup vor Zuschauern
Befinden sich die Bayern tatsächlich "wirtschaftlich am Anschlag", wie Sportvorstand Hasan Salihamidzic sagte? Extrem herausfordernd ist die Situation sicher. Aber eben auch, weil die Unterstützung der Zuschauer fehlt. Zumindest im europäischen Supercup gegen den FC Sevilla (24.9.) in Budapest wird das anders sein. "Es freut uns schon, dass wir mit Fans spielen können", sagt Trainer Hansi Flick über die 4.500 Bayern-Anhänger, die zugelassen sind: "Das ist erst mal ein Anfang."
Doch bis zum großen Fan-Comeback in der Münchner Arena wird es wohl dauern. Während Leipzig auch zu Saisonbeginn Unterstützung von den Rängen erfährt. Ob sich das auf die Ergebnisse auswirken wird?