Michael Rummenigge: "Kalle lebt und stirbt für den FC Bayern"
München - Michael Rummenigge im AZ-Interview: Der 56-Jährige spielte von 1981 bis 1988 beim FC Bayern. Er ist der Bruder des Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge.
AZ: Herr Rummenigge, Sie können sich sicher denken, warum wir anrufen, oder? Ihr Bruder Karl-Heinz wird am Freitag 65 Jahre alt.
MICHAEL RUMMENIGGE: Ich kann das gar nicht richtig glauben. Franz Beckenbauer ist 75 geworden, und Kalle wird jetzt 65. Ich war diese Woche mal wieder an der Säbener Straße zu Besuch und ein bisschen zusammen mit ihm unterwegs. Da haben wir auch darüber gesprochen, wie unglaublich schnell die Zeit in den letzten Jahren verflogen ist.
Rummenigge: Triple war das größte Geschenk
Gibt es etwas Spezielles, das Sie ihm wünschen?
Das größte Geschenk hat ihm die Mannschaft ja mit dem Gewinn der Champions League und des Triples gemacht. Das war für ihn eine ganz, ganz wichtige Geschichte, die ihn positiv mitgenommen hat. Man hat ja gesehen, wie er sich da gefreut hat. Die Bayern müssen den Moment auch mal genießen, aber dann geht es eben auch wieder weiter und man muss das nächste gewinnen, wieder Meister und Pokalsieger werden. Wenn es geht, das Triple wiederholen, auch wenn das natürlich schwierig ist. In der 120-jährigen Vereinsgeschichte ist das Triple ja erst zwei Mal gelungen.

Welchen Eindruck hat Ihr Bruder bei dem Treffen gemacht?
Er wirkt sehr ausgeglichen, aber immer noch voller Tatendrang. Das Corona-Thema betrifft jeden Klub der Welt. Aber wenn das jemand anpacken kann, dann der FC Bayern und er sowieso. Kalle hat jetzt noch bis 31. Dezember 2021 Zeit (als Vorstandsvorsitzender; d.Red.), und will dafür sorgen, dann ein gut bestelltes Feld an Oliver Kahn zu übergeben. Und das ist beim FC Bayern so gut bestellt wie lange nicht. Unglaublich, was sich da entwickelt hat. Kalle und Uli Hoeneß haben das überragend gemacht und sind die Köpfe der letzten Jahrzehnte der Bayern.
Rummenigge war und ist das regulierende Glied
Wie haben Sie Ihren Bruder als Verantwortlichen beim FC Bayern erlebt?
Sehr besonnen. Als jemand, der viel über Dinge nachdenkt und sich mittlerweile auch mal 24 oder 48 Stunden dafür Zeit nimmt. Er war und ist das regulierende Glied, wie man jetzt im Fall Alaba und Uli Hoeneß wieder einmal gesehen hat.
Hätte er nach dem Triple-Triumph nicht fast direkt aufhören müssen?
Das wäre ein Schnellschuss gewesen. Er will diese 15 Monate noch nutzen, um weiterhin seine Spuren beim FC Bayern zu hinterlassen - so wie er das schon in den letzten 20 Jahren getan hat -, um dann alles wunderbar und mit gutem Gewissen zu übergeben. Kalle lebt und stirbt für den FC Bayern. Als Westfale ist das ja sowieso erstaunlich, diesen Weg gegangen zu sein. Unsere Eltern wären sehr, sehr stolz und wir sind alle stolz auf Karl-Heinz.
Rummenigge möchte zunächst Abstand gewinnen
Haben Sie auch darüber gesprochen, was nach dem FC Bayern kommen wird?
Er will erst mal ein bisschen Abstand bekommen. Im Fußballgeschäft stehst du jeden Tag unter Strom. So ein bisschen zur Ruhe kommen und mal komplett raus aus der Öffentlichkeit, das tut ihm auch mal gut. Wenn er aufhört, ist er 66. Wie sagte Udo Jürgens? Da fängt das Leben an. Vor Bayern München war er ja auch mal Kommentator und Experte beim Fernsehen. Aber ehrlich gesagt, kann auch ich mir seinen Abschied noch immer nicht so richtig vorstellen, weil der Name Rummenigge so fest im deutschen Fußball verankert ist. Ich weiß nicht was, aber irgendwas wird vielleicht doch noch kommen.
Erst mal sicher mehr Zeit für die Familie. Er sagt ja, dass ihm die "heilig" ist.
Das war immer so bei ihm. Seine fünf Kinder und die Enkelkinder werden umsorgt, gehegt und gepflegt. Das ist ein schönes Miteinander - mit ihm als Don, (lacht) dem Capo di tutti i capi, dem Boss der Familienbosse.
Rummenigge: "Musste ich mir schon einiges von Kalle anhören"
Wie sind Ihre Erinnerungen an Ihre gemeinsame Spieler-Zeit bei Bayern?
Das war auch sehr anstrengend, so einen Bruder im Team zu haben, der damals ein Weltklassespieler war - und ich ja ein Lehrling. Das war sehr schwierig für mich, weil ich natürlich viel mit ihm verglichen wurde. Es war aber auch eine tolle Lehrzeit. Beim FC Bayern existiert das Wort "verlieren" so gut wie nicht, auch nicht im Trainingsspiel. Der zweite Platz ist der erste Verlierer. Kalle war Kapitän und hat mich immer noch härter rangenommen als alle anderen. Ich war ja auch sein Sturmpartner, da musste ich mir schon einiges anhören. Das war aber eine super Schule. Heute verstehen wir uns besser denn je.
Gemeinsam gekickt haben Sie ja schon als Kinder auf der Straße. War das der Schlüssel zu Ihrer Profi- und seiner Weltkarriere?
Da sind die Grundlagen gelegt worden. Bei uns gab es keine Handys, kein Internet. Da gab es die Schule und danach sind meine Brüder Kalle, Wolfgang und eben ich rausgegangen zum Kicken - jeden Tag. Unter der Straßenlaterne wurde dann so lange gespielt, bis Kalle gewonnen hatte. (lacht) Und das war auch vor ein paar Jahren noch so, als wir am Strand zusammen gekickt haben. Das ist seine Mentalität. Das hat ihn auch weit gebracht. Er war immer sehr ehrgeizig. Und wollte auch bei seinen Mitspielern und Mitarbeitern das Maximale rausholen. Mittlerweile ist er ein bisschen altersmilde geworden und weiß: Jeder macht auch mal Fehler. Das hat er wirklich gut verinnerlicht und sieht über gewisse Dinge auch mal hinweg.