Der FC Bayern vor dem Finale: Ein Nervenspiel

Vom glücklichen Meister bis zum tragischen Vierten: Für die Bayern ist noch alles drin im Saisonendspurt - am letzten Spieltag gegen den VfB Stuttgart
MÜNCHEN Eine ganz enge Geschichte. Ein Tor, mehr durfte nicht passieren. Die Sache ging auf, Oliver Kahn kassierte beim 4:1 gegen Hertha BSC nur einen Treffer – der Rekord war geschafft. Nur 21 Gegentreffer in einer Saison, besiegelt am 17. Mai 2008. So war es vor einem Jahr, Bayern stand damals schon zwei Wochen zuvor als Meister fest – mehr Spannung war nicht aus Bayern-Sicht.
Der 23. Mai 2009 wird anders. In einem Spiel geht es für zwei Mannschaften um alles. Sowohl der FC Bayern als auch der VfB Stuttgart können Meister, Vizemeister, Dritter oder Vierter werden. Doch-Noch-Champion oder Strafversetzter in den Uefa-Cup, der ab der neuen Saison Euro-League heißt. „Es wird ein Nervenspiel“, sagt Bayern-Manager Uli Hoeneß.
Die AZ zeigt auf, welcher Platz für den FC Bayern welche Konsequenzen haben wird. Bayern wird...
Meister
Ja, es gibt tatsächlich Menschen, die an den 22. Titel glauben (wie es klappen könnte, siehe links), Mark van Bommel etwa, der Kapitän: „Wir können immer noch Meister werden. Im Fußball habe ich schon verrücktere Dinge erlebt.“ Und die Bayern sowieso. Erinnert sei an Haching/Leverkusen 2000, oder an Hamburg 2001. Gelingt das Überholmanöver in Runde 34, wäre es zu 85,3% ein Klinsmann-Titel, der Ex-Coach war nach dem 29. Spieltag entlassen worden. Einspringer Jupp Heynckes hätte dann vier Siege aus fünf Partien geholt. Der Bayern-Mythos wäre wieder geboren: Selbst in einer durchschnittlichen und turbulenten Saison glückt das Meisterstück. Auch finanziell würde sich der Coup lohnen: Der Unterschied, ob man als Erster oder Zweiter die Champions-League erreicht, macht „fünf bis zehn Millionen Euro aus“, hatte Manager Uli Hoeneß errechnet. Dabei geht es um Gelder aus dem europäischen TV-Pool, die gemäß der Liga-Platzierung verteilt werden.
Vizemeister
Bei einem Sieg über den VfB oder einem Unentschieden, falls Hertha nicht in Karlsruhe gewinnt. Vor Saisonbeginn sicher als Enttäuschung einzustufen, nach dem Saisonverlauf mehr als ein Trostpreis. Als Zweiter ist Bayern direkt für die Champions League qualifiziert, was laut Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge „extrem wichtig wäre, vom Image her, aber auch von den Finanzen.“ Rund 40 bis 50 Millionen Euro Einnahmen sind möglich, wenn mindestens das Achtelfinale erreicht wird. Dazu kommt die Causa Ribéry. „Es wäre schwer für mich zu bleiben, wenn wir nicht unter die ersten Zwei kommen“, so hatte der Franzose mit seinem Abgang gedroht. Nun kann er selbst für sein Bleiben sorgen. Den Bossen würde die fixe Teilnahme (erstes Gruppenspiel am 15./16. September) Planungssicherheit verschaffen. Hoeneß sagt: „Spieler für den FC Bayern zu holen, heißt, bessere Spieler zu holen– und das kostet sehr viel Geld.“
Dritter
Bei einem Remis gegen Stuttgart mit einem gleichzeitigen Sieg von Hertha. Oder: Bayern verliert, Hertha holt nur einen Punkt. Dann wäre man undankbarer Dritter. Denn dann müssten die Bayern im August eine Qualifikationsrunde zur Champions League (Termine: 18./19 und 25./26. August) überstehen. Nach der Reform von Uefa-Präsident Michel Platini gibt es in der letzten Quali-Runde keine gesetzten Vertreter mehr, Bayern könnte auf den Vierten aus England (der FC Arsenal), Spanien (z.B. Valencia) oder Italien (Florenz oder FC Genua) treffen – keine leichten Hürden. Es gäbe keine Einnahmesicherheit, mancher Spieler könnte bis zum Ende der europäischen Transferfrist am 31. August wegen eines Vertrages pokern. Für den neuen Coach Louis van Gaal sicher nicht angenehm.
Vierter
Das Worst-Case-Szenario: Bayern verliert und Hertha gewinnt. „Keiner will im Uefa-Cup kicken“, brachte es Philipp Lahm auf den Punkt. Eine zweite Teilnahme am sportlich wie finanziell (Einnahmen von nur fünf bis zehn Millionen Euro) wenig erstrebenswerten Cup wäre auch für das Image eine Katastrophe – schon 2007/08 hatten die Bayern europäisch eine Klasse tiefer spielen müssen. „Platz vier wäre fatal“, warnte Hoeneß. Fatal für die Aussichten, Ribéry zu halten und neue Stars nach München zu locken. Hoeneß weiter: „Der FC Bayern ist ein sehr wohlhabender Verein, trotz der Finanzkrise geht es uns gut – aber wir können dann nicht noch einmal 50 bis 60 Millionen Euro ausgeben – wer soll das bezahlen?“ Der erste Spieltag der Euro-League-Gruppenphase findet am 17. September statt, doch den Termin will sich bei Bayern keiner merken.
Patrick Strasser