Was beim Wehrdienst geplant ist und worüber gestritten wird
Ab dem kommenden Jahr soll sich beim Wehrdienst vieles ändern. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte neue Regeln in einen Gesetzentwurf gegossen, dem im August auch das Bundeskabinett zustimmte. Doch die Unionsfraktion ist unzufrieden und Fachpolitiker der Koalition im Bundestag sind es auch. Deren Änderungsvorschläge gefallen wiederum Pistorius nicht. Es geht um die Musterung und auch um mögliche Losverfahren.
Es kam schließlich zum Knall, eine Einigung wurde abgeblasen. Nun wird der ursprüngliche Entwurf in erster Lesung im Parlament beraten. Bis zur Verabschiedung im Bundestag dürfte sich wie bei jedem Gesetz und besonders mit Blick auf die nicht ausgeräumten Meinungsverschiedenheiten hier aber noch einiges ändern. Ein Überblick über die Konfliktlinien.
Warum soll der Wehrdienst überhaupt neu geregelt werden?
Die Bundeswehr soll wachsen. Als Begründung wird eine massive "Verschärfung der Bedrohungslage in Europa infolge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine" genannt. "Die Aufgaben der unmittelbaren Landesverteidigung im Rahmen der nationalen und Nato-Verteidigungsplanung erfordern einen deutlich höheren Friedensumfang an aktiven Soldatinnen und Soldaten", heißt es weiter im Gesetzentwurf.
Um welche Zahlen geht es dabei?
Gebraucht werden laut Entwurf 460.000 Soldaten, rund 260.000 in der stehenden Truppe und 200.000 Reservisten. Aktuell gibt es rund 183.000 aktive Soldaten und laut Jahresbericht der Wehrbeauftragten rund 50.000 beorderte Reservisten, also Reservisten, die auf einem bestimmten Dienstposten eingeplant sind.
Was soll sich ändern?
Die Wehrpflicht gibt es noch, sie ist aber seit 2011 ausgesetzt. Es gibt seitdem einen freiwilligen Wehrdienst. Dabei soll es, wenn möglich, bleiben, hier ist man sich einig. Um mehr Freiwillige zu gewinnen, soll die sogenannte Wehrerfassung reformiert werden. Ziel ist es, ein besseres Lagebild darüber zu bekommen, wie viele pro Jahrgang für einen Dienst in der Truppe überhaupt infrage kommen. Erklärtes Ziel ist es auch, dass allein schon dadurch, dass sich junge Menschen künftig mit dem Thema direkt beschäftigen müssen, die Zahl der Freiwilligen steigt. Außerdem soll es größere Anreize für den Dienst geben.
Wie soll das nach den bisherigen Plänen erreicht werden?
Wer nach dem 1. Januar 2026 volljährig wird, bekommt – so der Plan von Pistorius – irgendwann nach dem 18. Geburtstag einen Brief mit einem QR-Code, der zu einem Online-Fragebogen führt. Dort werden persönliche Daten wie der Bildungsabschluss, Körpergröße, Gewicht und eine mögliche Bereitschaft zum Wehrdienst abgefragt.
Junge Frauen müssen diesen Bogen nicht ausfüllen, junge Männer schon. Gerechnet wird mit rund 300.000 bis 350.000, die das pro Jahr betrifft. Wer den Fragebogen ignoriert oder darin falsche Angaben macht, begeht laut Gesetzentwurf eine Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld bedroht ist.
Und alle jungen Männer müssen wieder zur Musterung?
Das ist einer der Knackpunkte. Pistorius will das. Er hat noch einmal betont, dass er eine flächendeckende Musterung für notwendig hält. Ab 1. Juli 2027 soll sie nach den bisherigen Plänen in Deutschland wieder aufgenommen werden – 2027, weil die Strukturen dafür erst wieder aufgebaut werden müssen. Die Verteidigungsexperten von Union und SPD schlagen dagegen vor, nur dann zur Musterung zu laden, wenn sich in Schritt eins zu wenig Freiwillige melden. Über eine Zufallsauswahl (Losverfahren) würden dann weitere junge Männer zu einer verpflichtenden Musterung eingeladen. Der Wehrdienst bliebe aber auch für sie freiwillig.
Ab wann könnte die ganze Freiwilligkeit kippen?
Das ist der zweite Knackpunkt und auch hier geht es um ein mögliches Losverfahren. In Pistorius' Gesetzentwurf ist die Option vorgesehen, dass die Bundesregierung anordnen darf, Ungediente einzuziehen, "wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist". Eine solche Verordnung bräuchte zwar noch die Bestätigung des Bundestages.
Die Verteidigungsexperten der Koalition wollen solche Entscheidungen aber lieber direkt in die Hand des Bundestages legen und dies außerdem konkreter regeln. Falls nicht genügend Freiwillige zusammenkommen, soll nach ihrem Vorschlag der Bundestag beschließen, eine Einberufung zu ermöglichen, die sich aber nach dem zahlenmäßigen Bedarf richtet, den die Bundeswehr hat. Eingezogen würden dann durch ein Zufallsverfahren (Losverfahren) nur so viele junge Männer wie gebraucht würden. Wer verweigert, müsste einen Ersatzdienst leisten.
Aber wäre Auslosen nicht ungerecht und damit verfassungswidrig?
Das ist die schwierige Frage. Kann die Wehrpflicht auf einen militärisch notwendigen Personalbedarf begrenzt und ausgelost werden oder lässt das Grundgesetz aus Gründen der Wehrgerechtigkeit nur die allgemeine Wehrpflicht für alle zu? Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio kommt in einem Gutachten für die Unionsfraktion zu dem Schluss, dass eine "Kontingentwehrpflicht" und ein Losverfahren zulässig wären.
"Ein ordnungsgemäßes Losverfahren stellt keine Ausformung von Willkür, sondern unter der Verwendung bestimmter Variablen und Verfahrensgrundsätze die Gewährleistung eines gerechten Zufallsverfahrens dar, innerhalb dessen der Zufall als eine objektive Konstante fungiert", schreibt er. Im Zweifel entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Klagen gegen eine solche Regelung, wenn sie denn kommt, dürfte es geben.
Welche Anreize sind geplant, damit mehr Freiwillige kommen?
Die Bezahlung soll deutlich besser werden. Wehrdienstleistende sollen dem bisherigen Entwurf zufolge künftig wie Zeitsoldaten, die sich länger verpflichten, behandelt werden. Das bedeutet einem Sprecher des Verteidigungsministeriums zufolge künftig etwa 2.300 Euro netto Startgehalt statt wie bisher 1.600 bis 1.700 Euro.
Zudem soll es einen saftigen Zuschuss von bis zu 3.500 Euro für den Autoführerschein geben, allerdings nur für diejenigen, die mindestens zwölf Monate Wehrdienst leisten. Der Führerschein müsste zudem im Zeitraum von einem Jahr vor und einem Jahr nach dem Wehrdienst gemacht werden.
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