Spitzenriege der Grünen tritt ab

Berlin (dpa) – Die Grünen ziehen drastische personelle Konsequenzen aus ihrer Wahlschlappe. Sie ordnen nahezu die gesamte Führung neu.
von  dpa

Die Grünen ziehen drastische personelle Konsequenzen aus ihrer Wahlschlappe. Sie ordnen nahezu die gesamte Führung neu. Die Fraktionsspitze zieht sich zurück - wie auch die Parteichefin Claudia Roth.

Berlin  – Nahezu das gesamte Spitzenpersonal macht Platz für einen Generationswechsel. Fraktionschef Jürgen Trittin (59) kündigte am Dienstag ebenso wie seine Kollegin Renate Künast (57) den Rückzug an. Zuvor hatte schon die langjährige Vorsitzende Roth (58) erklärt, dass sie nicht wieder antritt; ihr Kollege Cem Özdemir (47) will dagegen erneut für den Parteivorsitz kandidieren. Neue Fraktionsvorsitzende wollen Katrin Göring-Eckardt (47) und der Verkehrsexperte Anton Hofreiter (43) werden.

"Wir haben eine schwere Führungsaufgabe", sagte Göring-Eckardt, die die Grünen zusammen mit Trittin in den Wahlkampf geführt hatte, in einer Sitzung der ausscheidenden und neuen Abgeordneten laut Teilnehmern. Dafür wolle sie antreten.

Die Politiker bekamen für ihre Ankündigungen Applaus. Die Fraktionsführung besteht bei den Grünen aus einer Doppelspitze mit mindestens einer Frau und jeweils einem Vertreter von Parteirealos und -Linken.

Trittin sagte in der Sitzung laut Teilnehmern: "Wir müssen uns neu aufstellen mit Blick auf 2017." Dann wollten die Grünen einen Erfolg. Er räumte Fehleinschätzungen ein. So hätten die Grünen gedacht, es gebe eine Mehrheit links der Mitte. Zugleich verwahrte sich Trittin gegen Kritik, im Wahlkampf zu stark auf soziale Gerechtigkeit und staatliche Mehreinnahmen gesetzt zu haben. Es sei richtig gewesen, inhaltliche Forderungen mit Finanzierungsvorschlägen zu unterlegen.

Über den Kurznachrichtendienst Twitter teilte er mit Blick auf die CSU mit: "Über Sondierungsgespräche entscheidet nicht CSU. Die werden Katrin und ich mit führen." CSU-Chef Horst Seehofer hatte zuvor erklärt, seine Partei wolle nicht mit den Spitzenleuten der Grünen, die im Wahlkampf eine Rolle gespielt hätte, in schwarz-grüne Gespräche eintreten.

Die neuen Fraktionsvorsitzenden sollen am 8. Oktober gewählt werden. Die Grünen waren am Sonntag nach einem fast vier Jahre andauernden Umfrage-Hoch von 10,7 auf 8,4 Prozent abgestürzt.

Roth sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa): "Ich werde bei der Neuwahl des Bundesvorstands nicht mehr antreten. Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine Neuausrichtung." Roth hatte sich am Montag zuerst vor Vertretern ihres linken Flügels erklärt. Sie stand über elf Jahre an der Spitze der Partei.

Als ihre mögliche Nachfolgerin gilt die ehemalige saarländische Umweltministerin Simone Peter. Die Vizechefin der Grünen-Fraktion im Saar-Landtag hatte dies als Spekulation bezeichnet, zu der sie sich jetzt nicht äußern könne.

Künast sagte der dpa, sie habe die Entscheidung zum Rückzug vom Fraktionsvorsitz bereits seit längerem getroffen. Sowohl Roth als auch Künast wollen nun für das Amt der Bundestags-Vizepräsidentin antreten. Dieses Amt übt für die Grünen derzeit Göring-Eckardt aus.

Roth äußerte sich auch skeptisch zu einer schwarz-grünen Koalitionsoption. Vor der Fraktionssitzung sagte sie: "Sondieren ja, wir sind aber keine Funktionspartei, die Mehrheitsbeschaffer für eine Politik ist, die wir verändern wollen." Mögliche Gespräche müssten auf Augenhöhe erfolgen.

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele sprach sich für Gespräche auch mit der Linken aus. Das linke Lager habe eine Mehrheit von acht Abgeordneten im Bundestag. Vielleicht gebe es für Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach ihrem Sieg noch ein negatives Erwachen.

Der langjährige Fraktionschef und Außenminister Joschka Fischer übte scharfe Kritik an der scheidenden Führungsriege. "Es scheint fast, als ob die derzeitige Führung der Grünen älter geworden ist, aber immer noch nicht erwachsen", sagte er dem "Spiegel". Statt über Umwelt und Europa, Bildung und Familien hätten die Grünen nur über Steuern und Abgaben geredet. Es sei ein fataler Fehler gewesen, die Grünen strategisch auf einen Linkskurs zu verringern, sagte Fischer. Damit sei die Partei in der Konkurrenz zu SPD und Linken gnadenlos untergegangen.

Auf einem Bundesparteitag im November sollen nach der Wahlniederlage vom Sonntag Bundesvorstand und Parteirat neu gewählt werden. Dass der Vorstand vorzeitig seine Ämter zur Verfügung stellen solle, hatte Roth nach dpa-Informationen am Montag nach Absprache mit Co-Parteichef Cem Özdemir selbst in interner Sitzung vorgeschlagen.

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