Spargel, Schiff und Steinmeier: Wie sich die SPD auf die Wahl einstimmt

BERLIN - Die SPD gibt sich trotz ihrer Niederlage bei der Bundespräsidentenwahl siegessicher. Bei der traditionellen „Spargelfahrt“ der Parteirechten vom Seeheimer Kreis feiert die SPD ihren Vize und Außenminister Frank-Walter Steinmeier als „künftigen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“.
Steinmeier übt sich vor den über 600 Gästen auf dem Wannsee tapfer in schwarz-weißer Wahlkampfrhetorik: In der CDU herrsche nur noch „Genöle und Stänkerei“, lästert er: „Dagegen ist ein wild gewordener Hühnerhaufen eine geschlossene Formation." Noch schlimmer seien nur noch die CSU und deren Frontmann Horst Seehofer, der als Bundesminister in Berlin noch für den Genmais gewesen und jetzt in Bayern plötzlich dagegen sei. Die CSU erinnere ihn „an eine Horde von Jungochsen, die nach dem Winter zum ersten Mal auf das saftige Grün geführt werden, vor Kraft nicht laufen können und nur das Gras zertrampeln“. Die SPD dagegen habe „die richtigen Antworten auf die Krise“, sagt der Kanzlerkandidat: Deutschland brauche „einen Neustart der sozialen Marktwirtschaft“ mit aktiver Industriepolitik. „Hätten wir uns nicht eingemischt bei Opel, würden heute vor den vier Werkstoren in Deutschland längst die schwarzen Fahnen wehen.“
Nun stehe mit Arcandor bereits die nächste schwere Krise an, sagt Steinmeier mit Leichenbittermiene. Natürlich wisse auch er, dass die Kaufhausbranche in Deutschland neu geordnet werden müsse und dass die Menschen nicht mehr so einkauften wie vor 20 Jahren. „Aber da geht es um 50 000 Jobs vor allem von Frauen - und wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass die weniger wert sind als die überwiegend von Männern besetzten Arbeitsplätze bei Opel.“
Noch etwas schüchtern posiert Steinmeier schießlich mit der Beelitzer Spargelkönigin Karolin und setzte zu einem bizarren Loblied auf die Stängel an, die auf der „MS Paloma“ zu neuen märkischen Kartoffeln und Schweinefilets gereicht wurden. „Denkt daran“, ruft Steinmeier mit einer Mischung aus Ironie und Pathos, „Spargel ist gesund, er hilft gegen Rheuma, gegen Herz-, Leber- und Milzleiden. Genossen, esst Spargel, denn ihr müsst gesund und kräftig bleiben. Wir drehen das Ding noch im Lauf des Jahres.“
"Wer gewinnen will, muss gewinnen wollen"
SPD-Chef Franz Müntefering macht es in seinem Grußwort kürzer und knackiger: „Wer gewinnen will, muss gewinnen wollen“, bläut er seinen Sozis ein. Das höre sich zwar nach simpler Bauernregel an, sei aber ungeheuer wichtig: „Aus jedem unserer Knopflöcher muss der Wille zum Regieren springen.“ Aus Müntes Knopfloch jedenfalls springt der Machtwille an diesem Abend: Steinmeier reihe sich in die Tradition von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder ein und werde im September neuer Kanzler, schnarrt der Vorsitzende: „So verkündet und beschlossen.“
Zuvor zieht der scheidende Fraktionsvorsitzende Peter Struck, der im Herbst nicht wieder für den Bundestag kandidiert, eine bittere Bilanz der Zusammenarbeit mit der Union. „Ich habe von der großen Koalition inzwischen die Nase voll“, knurrt Struck. Das gemeinsame Frühstück an jedem Dienstagmorgen sei längst zu einer „reinen Quälerei“ verkommen. Noch verbitterter als über Schwarz-Rot zeigt sich der Sozi-Zuchtmeister über „völlig neue Sitten, die in der Fraktion eingerissen sind“ - Struck meint das gerade auch in der politischen Klasse mittlerweile weit verbreitete Twittern. Da würden Abgeordnete via Handy geschwätzig alles Mögliche in die Welt hinausposaunen, erklärte der künftige Polit-Rentner den Altvorderern an Bord: „Die schreiben zum Beispiel: ,Ich sitze auf dem Klo und habe es schwer.' Oder: ,Ich sitze neben Peter Struck, und das ist sehr beeindruckend'. Das ist lächerlich!“
Der Spaß hört für Struck spätestens auf, wenn seine Abgeordneten Interna aus nicht-öffentlichen Fraktionssitzungen ausplaudern: „Selbst ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender entblödet sich nicht rumzutwittern“ - Struck-Vize Ulrich Kelber war am Samstag einer derjenigen Bundestagsabgeordneten, die das Wahlergebnis für Bundespräsident Horst Köhler ins Netz stellten, ehe es in der Bundesversammlung verkündet wurde.
Hinter vorgehaltener Hand freilich gestehen viele Sozialdemokraten ein, dass sie auch mit der Fortsetzung der großen Koalition im Herbst nicht unzufrieden wären. Als Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs in seiner Begrüßungsrede münteferingt, Bundeskanzlerin Angela Merkel „kann weder Krise noch kann sie Wahlkampf“, rührt sich keine Hand zum Applaus. Man könnte Bundeskanzlerin Angela Merkel ja noch mal brauchen.
Markus Jox