Ralph Brinkhaus: "Die Grünen reden aggressiver über uns als umgekehrt"
AZ-Interview mit Ralph Brinkhaus: Der 53-Jährige aus Rheda-Wiedenbrück ist seit 2018 Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag.
AZ: Herr Brinkhaus, Sie fordern, dass vollständig gegen Covid-19 geimpfte Personen ihre Grundrechte wieder ausüben können sollen. Wie kann man sich so eine Differenzierung in der Praxis vorstellen?
RALPH BRINKHAUS: Das sollte das Ziel sein. Falls die Länder neue Lockdown-Maßnahmen auf den Weg bringen wollen, müssen diese verhältnismäßig sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es verhältnismäßig ist, Geimpften die gleichen Einschränkungen aufzuerlegen wie Ungeimpften. Wenn es sich verfestigt, dass sich ein gewisser Anteil von Menschen nicht impfen lässt, glaube ich im Übrigen auch, dass Veranstalter oder Hoteliers sagen werden: Wenn du bei mir sein willst, solltest du besser geimpft sein. Da wird sich von selbst im Herbst sehr viel entwickeln.

Was heißt es für Kanzlerkandidat Laschet, wenn Ende September wieder alles zumacht?
Selbst, wenn neue Maßnahmen erforderlich werden sollten, glaube ich nicht, dass das noch mal die Qualität der letzten Bundesnotbremse haben wird und auch da wurde nicht alles zugemacht. Das wird wahrscheinlich wesentlich differenzierter und lokaler sein. Insofern wird das eine ganz andere Situation sein als im Frühjahr.
"Wir werden auch Erdgas als Übergangstechnologie brauchen"
Der Klimaschutz ist ein zentrales Wahlkampfthema. Ist die Energiewende, wie sie jetzt geplant ist, überhaupt machbar? Keine Atomkraft, keine Kohle: Wo soll der ganze Strom herkommen?
Wenn wir es dogmatisch angehen, ohne Übergangsphasen und Übergangstechnologien sofort auf Atomkraft und Kohle verzichten und Verbrennungsmotoren ausschließen, wird es nicht funktionieren. Wenn wir auf eine Wasserstoffwirtschaft umschalten, können wir nicht nur über grünen Wasserstoff reden, sondern brauchen auch blauen Wasserstoff, der aus fossilen Rohstoffen hergestellt wird, wo das entstehende CO2 aber abgeschieden und eingelagert wird. Wir werden auch Erdgas als Übergangstechnologie brauchen. Das Problem ist immer Folgendes in Deutschland: Wir entscheiden uns für einen Weg und dann muss es aber sofort sein. Ich sage: Wir entscheiden uns für ein Ziel und dann müssen wir den Übergang organisieren. Er muss technologisch funktionieren und wir müssen die Menschen mitnehmen. Ich kann mich natürlich mit breiter Brust hinstellen und erklären, wir reißen morgen alle Ölheizungen raus und Individualverkehr ist schlecht. Da bekommen wir nicht nur im ländlichen Raum ein Problem. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Darum müssen wir Übergangszeiträume organisieren und mit Fördermitteln helfen.
Sind die Zeiträume lang genug?
Ich glaube, es ist immer ein Kompromiss zwischen dem, was machbar, und dem, was wünschenswert ist. Wünschenswert wäre morgen. Das bekommen wir aber in der Gesellschaft ohne Verwerfungen nicht hin. Um die Gesellschaft verträglich mitzunehmen, könnte man sich auch noch bis 2060 Zeit lassen, das wird aber wiederum den Klimazielen überhaupt nicht gerecht. Es geht um die Balance. Geschwindigkeit bekommen wir dann über Technologie, Innovation und Markt. Und ja, wir müssen im Kampf gegen den Klimawandel schneller werden.
"Wir brauchen viel Zeit und Übergangszeiträume"
Was heißt das?
Markt heißt: Wir sagen, wie viel CO2 in einem Jahr für Mobilität verbraucht werden kann ohne die Klimaziele zu gefährden und versteigern dann diese Emissionsrechte meistbietend. Und ja natürlich bedeutet dies, dass CO2 teurer wird von Jahr zu Jahr. Aber eben nicht sofort so teuer wie in 2030. Denn es gibt genügend Leute, die mit ihrem Geld gerade so über die Runden kommen. Die haben sich vielleicht gerade ein Auto gekauft. Denen kann ich sagen: Wenn du dir in fünf oder sechs Jahren ein neues Auto kaufst, sollte das bestimmte technologische Anforderungen erfüllen. Das ist zumutbar. Ich kann ihnen aber nicht sagen: Ab morgen lässt du deinen Benziner in der Garage. Ich kann ihnen auch beim Thema Heizen sagen: Du musst dir in den nächsten fünf, sechs Jahren etwas überlegen. Ich kann ihnen aber nicht sagen: Morgen musst du deine Ölheizung rausreißen und eine Wärmepumpe einbauen. Ich kann auch dem Automobilarbeiter sagen: Herkömmliche Verbrennungsmotoren haben keine Zukunft mehr, wir müssen auf andere Angebote umstellen. Aber ich muss ihm Perspektiven aufzeigen. Deswegen brauchen wir Ziele und Übergangszeiträume. Und das Entscheidende ist: Wie dieses Ziel erfüllt wird, das überlassen wir denjenigen, die am Markt sind.
Im Wahlkampf schießt die Union recht aggressiv auf die Grünen als Hauptgegner los. Aber es ist ja nicht unwahrscheinlich, dass man dann doch zusammen in einem Kabinett sitzt. Geht das dann überhaupt noch?
Ich finde, dass die Grünen aggressiver über uns reden als wir über die Grünen. Bis auf wenige Ausnahmen haben wir uns auch nicht daran beteiligt, irgendwelche Ungereimtheiten in Lebensläufen zu kritisieren. Inhaltliche Unterschiede dagegen sollte man schon ansprechen dürfen.
Ginge eine Koalition bei den inhaltlichen Unterschieden?
Es ging ja auch mit einer SPD, die am Wahlabend 2017 gesagt hat, sie würde nie wieder was mit uns zusammen machen.
Aber für die SPD war das ein großes Opfer, das Sie ihr hoch anrechnen müssen.
Das sage ich auch. Deswegen ist mir da auch jegliche Häme fremd. Aber auf der anderen Seite: Wenn ein Koalitionspartner dann vieles schlechtredet, was er mit CDU und CSU zusammen macht, muss man sich nicht wundern, dass man da steht, wo man steht. Wir haben oft genug Kompromisse gemacht, um der SPD entgegenzukommen. Dann aber trotzdem immer wieder zu jammern, wie schlimm alles ist, das ist nicht hilfreich. Regieren in der Koalition ist Mannschaftssport und deswegen gilt: Opposition in der Regierung funktioniert nicht.
Besser handeln nach dem Verursacherprinzip
Aber auch Ihre Fraktion hat Vorhaben blockiert, die im Kabinett beschlossen waren: zum Beispiel, die CO2-Kosten für das Heizen zwischen Mietern und Vermietern aufzuteilen.
Ganz ehrlich: Welcher Vermieter würde denn dann in so einem Fall nicht sagen, er nimmt lieber einen Single als eine sechsköpfige Familie? Genau das passiert, wenn man vom Verursacherprinzip abweicht. Das ist also zu kurz gedacht.
Wie geht die Wahl aus?
Da ist noch viel Bewegung drin. Wir müssen kämpfen. Auf alle Fälle haben wir nichts an die FDP zu verschenken. Denn im Zweifel sind Stimmen für die FDP Stimmen für eine Ampelkoalition unter Grüner oder Roter Führung.