Merkel: Appläuschen und Wutausbrüchlein im Bundestag
Eher halbherzig rechtfertigt Merkel in der Haushaltsdebatte die Steuerpläne. Nicht nur wegen der FDP-Hotelspende musste sich die Regierung bei der Aussprache dann heftige Kritik anhören.
BERLIN Plötzlich lässt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Wutausbrüchlein hinreißen: „Heute rede ich hier“, kanzlert sie mit Grabesstimme. 45 Minuten hat ihre Rede bei der Haushaltsdebatte im Bundestag gedauert, und 45 Minuten lang wird sie von Zwischenrufen gestört. „Hotels, Hotels“, kräht es von den Oppositionsbänken, als Merkel davon spricht, „die Wirtschaftskraft unseres Landes erneuern“ zu wollen.
Nicht nur wegen der FDP-Hotelspende musste sich die Regierung bei der Aussprache dann heftige Kritik anhören (siehe unten). Auch die Steuersenkungen waren Thema. Merkel rechtfertigt die Pläne: „Wir brauchen motivierte Bürger, die wissen, warum sie Steuern zahlen und finden, dass es dabei gerecht zugeht.“ Die Schuldenbremse bleibe aber „Leitplanke unserer Arbeit“. Der Applaus von Union und FDP danach ist eher ein Appläuschen. Starke Führung wirkt anders. Annette Zoch
Steinmeier: „Sie werden den Zorn der Bürger noch spüren“
Botschaft:„Politisches Totalversagen“ und „uraltes Denken“ wirft der SPD-Fraktionschef Schwarz-Gelb vor. Die Regierung wolle nicht sehen, dass die Krise auf dem Arbeitsmarkt erst noch komme. „Sie werden den Zorn der Bürger noch spüren, und wir werden sie treiben“, droht Steinmeier. Er spart auch nicht mit Kritik an Merkel: „Sie haben aktiven Anteil an diesem Desaster. Sie halten sich raus und erklären das zur Methode. Das ist schlecht für unser Land.“
Auftreten: Zuerst wirkt Steinmeier seltsam müde. Bei Merkels Rede überlässt er Parteichef Sigmar Gabriel alle Zwischenrufe. Als er dran ist, klingt er heiser. Dann kommt er in Fahrt: Stark der Moment, als er sich an den Ex-Kabinettskollegen wendet: „Herr Schäuble, ich schätze Ihre Arbeit, und deshalb frage ich Sie: Warum machen Sie dieses Theater mit?“
Fazit: Gute Rede, Opposition scheint ihm zu bekommen. Und Merkel ist auf ihrem Stuhl spürbar versteinert.
Künast: „Nicht Wort gehalten, Hand aufgehalten“
Botschaft: „Die Regierung ist ohne Werte, ohne Ziele, ohne Plan und ohne Mut“, sagt Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Schon jetzt fehle den Kommunen das Geld: „In Essen machen Schulen zu, in Magdeburg werden die Kitagebühren auf 30 Euro erhöht, und das ist erst der Anfang! Wer von ihnen 20 Euro Kindergeld kriegt, muss nachher 30 Euro mehr Gebühren zahlen.“ Union und FDP hätten nicht „Wort gehalten, sondern Hand aufgehalten“.
Auftreten: Peinlich-pseudoempört und arg klischeegrün wirkt Künast, als sie die Menüwahl nach dem Krisentreffen im Kanzleramt kritisiert (es gab Steak Tartar): „Sie mussten zu archaischen Sitten von Stammesfürsten zurückgreifen, nämlich den gemeinsamen rituellen Verzehr von rohem Fleisch.“ Und insgesamt mahnt Künast viermal, Merkel solle nicht immer nur „schöne Reden halten“.
Fazit: Argumente gut, Vortrag schnarchig. Sogar Trittin schreibt SMS, als Künast redet.
Gysi: „Sie planen den angesagten Wahlbetrug“
Botschaft: Der Linken-Fraktionschef wettert gegen die Steuerpläne: „Das ist angesagter Wahlbetrug.“ Schwarz-Gelb betreibe eine Politik der sozialen Spaltung. Wenn’s nach der FDP ginge, müssten die Lidl-Verkäuferin bald genausoviel für die Krankenkasse zahlen wie Josef Ackermann. „Ich frage mich, warum Sie immer Lobbygruppen unterstützen“, schimpft Gysi. „Sind wir hier die Repräsentation des Volkes oder die Repräsentation von Lobbyisten?“
Auftreten: Ganz zu Beginn beschimpft Gysi erstmal nicht die Regierung, sondern die SPD und ihre Afghanistan-Politik zu Zeiten der großen Koalition. Nanu, Regierungswechsel nicht mitgekriegt? Nein, Gysi kultiviert nur wieder die Rolle „Die Linke gegen den Rest der Welt“. Und fuchtelt und knört wie eh und je, während sein Kopf immer röter wird.
Fazit: Reden kann der Gysi, sorgt aber mit dem Uralt-Argument vom sofortigen Afghanistan-Abzug für Gähnen.