Mann mit Überzeugungen

Willy Brandt wäre am 18. Dezember 100 Jahre alt geworden. Freunde und ehemalige Gegner  über einen Mann, der das Land zum besseren verändert hat.
von  Matthias Maus
Am 18. Dezember wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden.
Am 18. Dezember wäre Willy Brandt 100 Jahre alt geworden.

Willy Brandt wäre am 18. Dezember 100 Jahre alt geworden. Freunde und ehemalige Gegner  über einen Mann, der das Land zum besseren verändert hat

München Da ist der Mann, der aus dem Fenster schaut – fast ein wenig ungläubig darüber, was er hört. „Willy, Willy“ rufen sie in der DDR. Da ist der Mann, der auf die Knie sinkt am Denkmal für das Warschauer Ghetto: „Ich tat, was man tut, wenn die Worte versagen“, erklärte Willy Brandt später seine berühmteste Geste. Da ist der Bundeskanzler, der von einem DDR-Spion gestürzt wurde – oder war es doch Herbert Wehner, der ihn zu Fall brachte?

Willy Brandt wäre 100 geworden am 18. Dezember, und heute verneigen sich Freund und Gegner vor ihm, auch solche, die fast seine Feinde waren.

„Willy Brandt war eine der großen Gestalten des 20 Jahrhunderts", sagt Hans-Jochen Vogel zur AZ. Der langjährige Münchner OB und Nachfolger Willy Brandts als SPD-Chef von 1987 bis 1991 erklärte sich „trotz reduzierter Arbeitskraft“ sofort bereit, über Brandt zu sprechen: „Er hat unser Land geprägt wie wenige andere. Das gilt vor allem für die Ostpolitik."

Der Beton der Berliner Mauer war kaum trocken, da formulierten Brandt und sein kongenialer Partner Egon Bahr die berühmte These vom „Wandel durch Annäherung“. 1963, in eisigsten Zeiten des Kalten Kriegs, trieb ihn die Erkenntnis voran, dass nicht Konfrontation Europa sicherer machen würde, sondern Zusammenarbeit.

Der Feind stand dabei nicht nur im Osten. Adenauer, Strauß, das waren mehr als politische Gegner. Vor allem der Kanzler diffamierte Brandt als unehelich geborenen Emigranten, der sich einen anderen Namen zugelegt hatte. Und von Franz Josef Strauß stammt der Satz über die Nazi-Zeit: „Wir wissen, was wir in den zwölf Jahren getan haben. Aber was hat Willy Brandt draußen getan?“ Das sollte nach Vaterlandsverräter klingen.

Und heute? Der Wert der Ostpolitik wird auch von Wilfried Scharnagl nicht bestritten. Seit 1964 war er Redakteur des Bayernkuriers und über Jahrzehnte Sprachrohr von Strauß. „Die Ostpolitik entstand als Reaktion darauf, das die Alliierten die Mauer so klaglos hinnahmen“, sagt er. Er bestreitet, dass es Feindschaft gab: „Natürlich haben sich der Regierende Bürgermeister von Berlin und der Verteidigungsminister ebenso getroffen, wie der Finanzminister Strauß den Außenminister Brandt in der großen Koalition“.

Für Scharnagl keine Frage: „Brandt ist eine große, eine gewaltige Figur der deutschen Geschichte.“ Und die Angriffe aus dem Bayernkurier? „Brandt hat sich bei Strauß beschwert“, erzählt Scharnagl: „Strauß sagte: Der Kardinal kann nicht alles verantworten, was die Kapläne tun.“

Brandt ließ sich nicht beirren: „Er hat sich große Ziele gesetzt und dann seine Politik Schritt für Schritt kalkuliert und verfolgt“, sagte Erhard Eppler (87), unter Brandt Entwicklungshilfe-Minister: „Er hat Politik als Aufgabe begriffen, nicht als Karriere“, sagt der intellektuellste Kopf der alten Sozi-Garde zur AZ: „Er ist auch dann noch bei seinen Überzeugungen geblieben, als das Scheitern näher war als der Erfolg.“

Der Erfolg, das waren die Ostverträge in Moskau und Warschau, der Grundlagenvertrag mit der DDR, der Friedensnobelpreis 1971, das überstandene Misstrauensvotum der Barzel-CDU 1972, der „Willy-wählen“-Wahlkampf von 1972, das Rekordergebnis: 45,8 Prozent für die SPD: Fünfundvierzigkommaacht!

Dann kamen die Niederlagen. Die drei Söhne erinnern sich an einen grüblerischen, zurückgezogenen Vater, Sohn Lars berichtet von Mutter Rut, von einer Ehe auf dem Papier des Frauenschwarms.

Umstritten auch bei alten Weggefährten sind die Hintergründe seines Sturzes im Jahr 1974. Dass die DDR Günther Guillaume im Kanzleramt platziert hatte, war nach Vogels Ansicht Anlass und Grund genug für den Rücktritt. Es gab Frauengeschichten, von denen Guillaume wusste. „Ich hatte eine Vorstellung davon, wie die Bildzeitung und andere damit umgehen würden“, sagt Vogel heute. Dass Egon Bahr (91) eine Intrige von Herbert Wehner mitverantwortlich macht, kann Vogel „in keiner Weise nachvollziehen“.

Brandt blieb noch 13 Jahre Parteichef, auch das ein Rekord in der streitlustigen SPD: Vogel: „Die Größe der hinterlassenen Schuhe waren enorm.“

Am 10. November 1989 wird Brandt am Schöneberger Rathaus umjubelt wie John F. Kennedy am selben Ort 28 Jahre zuvor: „Wir sind jetzt in der Situation, wo wieder zusammenwächst, was zusammengehört“. Als Regierender Bürgermeister hat Brandt 1959 gesagt: „Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze steht.“ 40 Jahre später bekommt er recht.

War Brandt Visionär? Erhard Eppler sagt: „Er hatte keine Visionen, für die man zum Arzt gehen müsste“. Brandt habe immer „eine gute Nase für Neues gehabt“. Als Entwicklungsminister hat Eppler Brandt auf die Fragen der Dritten Welt und der Ökologie aufmerksam gemacht: „Vielleicht wird’s noch wichtig, mach mal“, hat Brandt zu ihm gesagt – zu einer Zeit, als Umweltschutz noch als „Marotte gelangweilter Mittelstandsdamen“ galt, wie Helmut Schmidt ätzte. „Wenn es nach Willy Brandt gegangen wäre, hätte es die die Grünen als Partei nicht gegeben“, behauptet Eppler.

War er einzigartig? Hans Jochen Vogel sagt: „Die Vorstellung, man könne ein zweiter Willy Brandt werden, liegt außer meiner Vorstellungskraft.“ Vogel stellt fest: „Auch Brandt wollte die Macht, um die Dinge durchzusetzen, von denen er überzeugt war.“

Brandt hatte Mut, sagt Egon Bahr: „Ohne seinen Mut, mit knapper Mehrheit 1969 die sozialliberale Koalition zu bilden, hätte es die Ostpolitik nicht gegeben.“

Am 20. Dezember 1990 hält Willy Brandt im Reichstag die Eröffnungsrede des ersten gesamtdeutschen Bundestags. Sie endet mit den Worten: „Ich möchte den Tag sehen, an dem Europa eins geworden sein wird.“ Das war ihm nicht vergönnt. Er starb am 8. Oktober 1992. Beerdigt ist er auf dem Friedhof in Zehlendorf. Seine zweite Frau Brigitte Seebacher führte den Trauerzug an. Auf dem Grabstein steht nur: Willy Brandt.

Er selbst wollte eine andere Inschrift: „Man hat sich bemüht.“ Matthias Maus

 

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