Letzter Showdown vor der Wahl: Fünf für Deutschland
BERLIN - Bei der Dabatte über die politische Lage der Nation zeichnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre vier Herausforderer völlig verschiedene Bilder. Die AZ erklärt, wie sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier schonten - und dafür von Westerwelle, Künast und Gysi attackiert wurden.
Es war die letzte Sitzung des Bundestags in der zu Ende gehenden Legislaturperiode. Knapp drei Wochen vor der Wahl nutzten die Parteien das Plenum für ein Duell, das die Spitzenkandidaten von Union und SPD im Fernsehen verweigern: In einer Generaldebatte über „die politische Lage in Deutschland“ durften Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier nicht nur nett miteinander plaudern, sondern mussten sich den Spitzenkandidaten der drei kleineren Parteien stellen.
Angela Merkel: die Mutti
Eine mitreißende Rednerin wird Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in diesem Wahlkampf nicht mehr werden. Eine knappe halbe Stunde lang liest die „Chefärztin für politische Anästhesie“, wie Ex-Stoiber-Berater Michael Spreng Bundeskanzlerin Angela Merkel spöttisch nennt, ihre Rede vom Blatt ab. Im dem ihr eigenen leiernden, einschläfernden Tonfall verteidigt sie die großkoalitionäre Politik der letzten vier Jahre und verteilt Beruhigungspillen an die Bürger: Die Bundesrepublik befinde sich zwar in der schwersten Wirtschaftskrise seit 60 Jahren, aber die Talsohle sei jetzt erreicht. Vor allem aber: „Deutschland ist stark, Deutschland ist stabil.“ Jeder, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird von Merkel gelobt: die Menschen, die Betriebsräte, die politischen Institutionen. Rhetorisch auffällig bei Merkel sind ihr Hang zur Floskel und ihr technokratischer Nominalstil. Zudem liebt sie Allgemeinplätze wie: „Ich bin dafür, dass wir alles tun, um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu fördern.“ Tapfer versucht die erste Reihe der SPD-Fraktion Merkel mit Zwischenrufen aus dem Konzept zu bringen.
Doch „Mutti“, wie Merkel im politischen Berlin genannt wird, lässt die Sozis wie dumme Jungen dastehen. „Herr Kelber, Sie können doch mit Stolz sagen, was wir alles zusammen verabschiedet haben. Sind doch tolle Nummern gewesen“, höhnt sie in Richtung des SPD-Fraktionsvizes. Eine Watschen fängt sich auch Bayern-Lautsprecher Ludwig Stiegler ein: „Nun klatschen Sie doch, Herr Stiegler, anstatt sich aufzuregen. Sie sind doch auch der Meinung, dass der Gesundheitsfonds ne tolle Sache ist.“
Frank-Walter Steinmeier: der Beschwörer
Eine Stimmungskanone am Rednerpult ist auch Frank-Walter Steinmeier nicht. Der Kanzlerkandidat der SPD scheut im Bundestag die Attacke auf die Union, auch er lobt stattdessen die große Koalition und die politischen Institutionen, die sich in der Krise bewährt hätten. Brav versichert der Vizekanzler seiner Kanzlerin sogar noch die Unterstützung der SPD beim G20-Gipfel in den USA – und arbeitet sich lieber an Guido Westerwelles FDP ab, mit der Steinmeier so gerne eine Ampel-Koalition schmieden würde: „Wer in der Krise Steuersenkungen verspricht, täuscht den Wähler und schadet der Demokratie“, hält Steinmeier seinem Wunschpartner ungewohnt kämpferisch entgegen.
Mit der SPD werde es keinen Abbau des Sozialstaats geben, verspricht er: „Was wir brauchen, ist nicht ein Rückzug des Staates, sondern die Rückkehr der Politik, mutige Jahre der Gestaltung.“ Er habe seine Vorschläge gemacht, sagt Steinmeier: Um zwei Punkte will er den Spitzensteuersatz erhöhen und das Geld in die Bildung stecken, am Atomausstieg festhalten und flächendeckende Mindestlöhne einführen. Zum Schluss wird der Redner pathetisch. „Ich bin überzeugt: Deutschland ist ein sozialdemokratisches Land, es gibt nur eine sozialdemokratische Partei“, ruft er beschwörerisch. Er sei gespannt, wer nach der Wahl regiere: „Die wird anders ausfallen, als manche das sich hier wünschen“, so Steinmeier unter Hohn-Gelächter von Schwarz-Gelb.
Guido Westerwelle: der Komödiant
Erst als Guido Westerwelle redet, kommt richtig Stimmung auf. Der Oppositionsführer mit der knallgelben Krawatte kostet seinen Auftritt aus – den ihm Merkel und Steinmeier im Fernsehen versagen. Also äfft der rachsüchtige FDP-Chef schon mal das TV-Duell der beiden nach: „Es war nicht alles schlecht, Frank-Walter“, werde Merkel am Sonntag schmusen. Und Steinmeier werde säuseln: „Da hast du recht, Angela.“ Westerwelle spottet: „Also ich guck mir das Duell an, damit habt ihr schon mal einen Zuschauer.“ Die große Koalition sei „im besten Fall ein Reparaturbetrieb für tagespolitische Probleme“ gewesen, dreht Westerwelle rhetorisch auf und ruft: „Es waren vier verlorene Jahre.“
Als der FDP-Chef eine Politik fordert, „die die Mittelschicht in unserem Land wieder stärkt“, hat Merkel ihren Platz längst verlassen, plaudert lieber mit ihrem Fraktionschef Kauder. Westerwelle erleidet derweil einen akuten Comedy-Rückfall und macht wieder Mätzchen: Wie eine Mischung aus Streber und Petze hält er das „Merkelsteuerplakat“ der SPD aus dem Wahlkampf 2005 hoch, mit dem die SPD eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeschlossen und „die Bürger belogen“ habe. Lustvoll hackt Westerwelle auf den Genossen und deren „linker Gehirnwäsche“ herum – und bringt selbstredend auch einen Seitenhieb auf die CSU unter: „Die Gesundheitspolitik von Ulla Schmidt wird in einer Koalition von Union und FDP beendet“, feixt er süffisant. „Und ich freue mich darauf, dass ich in Herrn Seehofer hier einen kräftigen Verbündeten habe.“
Renate Künast: die Polemische
Die Fraktionschefin der Grünen attackiert vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel – kein Wunder, will sie doch demnächst gerne mit SPD und FDP regieren. Merkel habe eine „Valium-Rede“ gehalten, sagt Renate Künast betont aufgekratzt – und belustigt sich über den CDU-Slogan „Wir haben die Kraft“.
„Sie haben vier Jahre lang nicht die Kraft gehabt, der Wirtschaft Leitplanken zu setzen, damit die nicht auf Kosten der Umwelt ihr Wachstum und ihren Profit organisiert“, schleudert Künast der Kanzlerin entgegen – jetzt kommt tatsächlich ein bisschen Marktplatzatmosphäre auf: „Wir kämpfen dafür, dass die Kinder in diesem Land nicht an Leukämie sterben, wenn sie in der Nähe eines Atomkraftwerks wohnen“, polemisiert Künast. Und hält eine lupenreine Wahlkampfrede mit hoher Floskeldichte – die sinnfreie Wendung „an dieser Stelle“ streut sie in jeden zweiten Satz ein. Gleich zweimal muss die Bundestagsvizepräsidentin die Grüne ermahnen, endlich zum Schluss zu kommen.
Gregor Gysi: der Verführer
Der Linken-Fraktionsvize gibt sich bemüht clownesk: Merkel wolle Kanzlerin bleiben, Westerwelle wolle Vize werden, so weit habe er das ja verstanden, sagt Gregor Gysi. Nur Steinmeier habe ihn verwirrt: „Wollen Sie jetzt Vizekanzler bleiben oder mit uns koalieren?“, hämt er und inszeniert seine Partei als gallisches Dorf, das einen einsamen Kampf gegen Krieg, Hartz IV und Sozialabbau führt. Gysis Logik: „Die Linken sind nicht Bestandteil der Konsenssoße, deshalb mögen uns die anderen nicht. Wenn wir stark abschneiden, werden SPD, Grüne und Union sozialer.“
Markus Jox