Kölner Sex-Übergriffe beflügeln Abschiebungs-Debatte

Was ist in der Silversternacht am Hauptbahnhof in Köln geschehen? Die Polizei sucht weiter fieberhaft nach ersten Fahndungserfolgen. Weil es Ausländer sein sollen, diskutiert die Politik über Abschiebungen.
az/dpa |
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Schauplatz der Übergriffe: Auf dem Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs sind an Silvester Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt worden.
dpa Schauplatz der Übergriffe: Auf dem Vorplatz des Kölner Hauptbahnhofs sind an Silvester Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt worden.

Köln - Nach den Übergriffen auf Frauen vor dem Kölner Bahnhof in der Silvesternacht sucht die in der Kritik stehende Kölner Polizei dringend erste Fahndungserfolge. Sie ruft Zeugen und Geschädigte auf, sich zu melden. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD) sind bislang drei Tatverdächtige identifiziert, die direkt etwas mit den Übergriffen zu tun haben sollen.

Diese Zahl bekräftigte am Mittwochabend ein Sprecher des Ministeriums. Zuvor hatte die Kölner Polizei darauf hingewiesen, dass sie insgesamt mehrere mutmaßliche Taschendiebe dahingehend überprüfe, ob sie ebenfalls an den Übergriffen beteiligt waren. Festgenommen waren diese Verdächtigen jedoch völlig unabhängig von den Vorfällen vor dem Bahnhof. Möglicherweise geschädigte Frauen hätten sich entfernt und seien nun gebeten, sich zu melden.

Die zuständige Ermittlungskommission ist nach Angaben vom Mittwoch verstärkt worden. Bei der Kölner Staatsanwaltschaft hat die Abteilung für Organisierte Kriminalität die Ermittlungen übernommen, da Absprachen für ein gemeinsames Vorgehen der Täter nicht ausgeschlossen werden.

Wie geht es jetzt weiter? Die Übergriffe von Köln und ihre Folgen

 

Köln sorgt sich um Schäden für Tourismus

 

Die Stadt Köln macht sich Sorgen wegen drohender Schäden für den Tourismus. "Das Image Kölns hat einen Knacks erlitten", sagte Köln-Tourismus-Geschäftsführer Josef Sommer dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag). Wie die Zeitung berichtet, haben erste Touristen ihre Reise in die Domstadt storniert.

Kölns inzwischen umstrittener Polizeipräsident Wolfgang Albers wies Kritik an dem Einsatz seiner Beamten erneut zurück. "Aufgrund des großen Gedränges, der Dunkelheit und der Menschenmassen war ein Großteil der Vorfälle für die eingesetzten Beamten nicht erkennbar und trat erst am Folgetag durch die Vielzahl der Strafanzeigen in der nun bekannten Deutlichkeit zutage", erklärte er der "Kölnischen Rundschau" (Donnerstag). Er selbst habe "im Verlauf des Neujahrsmorgens" von den Vorgängen Kenntnis erhalten. Die erste Pressemitteilung der Polizei dazu gab es erst am Folgetag spät nachmittags.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber fordert nach den Übergriffen auf Dutzende Frauen in Köln mehr Videoüberwachung und mehr Licht auf öffentlichen Plätzen von Großstädten. "Man muss Räume schaffen, in denen so etwas nicht geschieht, einfach weil es nicht im Dunkeln geschehen kann", sagte Tauber der Deutschen Presse-Agentur. Videoüberwachung diene der Ermittlung der Fakten und sei vielleicht auch ein geeignetes Argument zur Prävention. Um eine Wiederholung solcher Vorfälle zu vermeiden, brauche es zudem mehr Polizeipräsenz.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag) zum Polizeieinsatz: "Die Polizei muss sich die Frage stellen lassen, ob sie die Vorfälle wirklich schon in der Silvesternacht ernst genug genommen hat." Es solle aber keine vorschnellen Schuldzuweisungen geben.

 

Diskussion über Abschiebungen geht weiter

 

Angesichts von Zeugenaussagen, dass die aggressive Menge in Köln vor allem aus Männern nordafrikanischer Herkunft bestand, geht auch die Debatte über die Abschiebung straffälliger Ausländer weiter. Maas vertrat die Auffassung, falls Asylsuchende unter den Tätern gewesen sein sollten, so könnten sie ausgewiesen werden. Das erlaube das Gesetz bei Verurteilungen zu mehr als einem Jahr, die bei Sexualdelikten durchaus möglich seien.

Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", diese Möglichkeit müsse gegebenenfalls geprüft werden. Eine Erleichterung von Abschiebungen hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ins Gespräch gebracht. Dazu meinte SPD-Vize Ralf Stegner allerdings in der "Welt": "Ständig Stimmungen nachzulaufen ist kein verantwortliches Regierungshandeln, sondern das beharrliche Umsetzen der getroffenen Vereinbarungen, wie die Aufstockung der Bundespolizei." Zu deren Zuständigkeit gehört - auch an Silvester in Köln - die Sicherheit auf den Bahnhöfen.

Frauen, Furcht und Vorurteile: Die Angst nach der Kölner Silvesternacht

 

AZ-MEINUNG: DIE FEHLERKETTE

 

Chefredakteur Michael Schilling über das Versagen von Köln.

Es ist erschütternd, was in Köln passiert ist. Und gefährlich – weil sich an die Vorgänge in der Silvesternacht eine ganze Kette von folgenschweren Fehlern reiht. Der erste war die verfehlte Informationspolitik der Kölner Polizei, die zunächst einen „entspannten Jahreswechsel“ vermeldet hat. Daraus resultierte, dass die wichtigsten Medien in Deutschland – und auch die AZ – erst spät und zunächst unzureichend berichtet haben. Die diffuse Nachrichtenlage und die verhängnisvolle Informationspolitik vor Ort ließen es kaum anders zu. Dass es durchaus besser geht, haben Polizei, Stadt und Innenministerium zeitgleich in München bewiesen. Hier ist mit der mutmaßlichen Bedrohung in der Silvesternacht transparent, entschlossen und professionell umgegangen worden.

Es ist besorgniserregend, dass die führenden Nachrichtensendungen des Landes, „Tagesschau“ und „heute“, für ihre nachgereichten Entschuldigungen eher Vorwürfe als Verständnis bekommen. Die in (a)sozialen Netzwerken hundertfach verbreitete Vermutung, es sollten Straftaten von Ausländern unter den Tisch gekehrt werden, ist absurd. Sie verdeutlicht aber, wie weit Verunsicherung, Misstrauen und Angst eingesickert sind in den Boden, der von AfD, Pegida und Konsorten seit mehr als einem Jahr beackert wird.

Damit dort nichts gedeiht, muss nun gewissenhaft gearbeitet werden. Es gilt, die Täter zu ermitteln, sie hart zu bestrafen und sich – in allen Bereichen – dagegen zu wappnen, dass sich so eine Schande wiederholt. Dass es jetzt Schuldzuweisungen gibt, ist verständlich. Aufklärung ist viel wichtiger.
 

WAS IN DER SILVESTERNACHT GESCHAH

 

21 Uhr: Auf dem Bahnhofsvorplatz kommen laut Polizei 400 bis 500 betrunkene, teilweise agressive Menschen zusammen. Unkontrolliert werden Böller und Raketen abgebrannt.

23 Uhr: Gedränge vor dem Hauptbahnhof, mittlerweile sind mehr als 1000 Menschen zusammengekommen. Es handelt sich „ausschließlich um junge Männer“, wie die Polizei später berichtet. Nach wie vor werden Raketen abgeschossen, einige absichtlich in die Menge.

23.15 Uhr: Teile der Menge werden von einigen Menschen eingekreist. Mehrere Handys sollen gestohlen worden sein.

23.30 Uhr: Die Polizei räumt die Domtreppe und den Bahnhofsvorplatz, um eine Panik zu vermeiden Nach ihren Angaben beruhigt sich die Lage.

0.30 Uhr: Laut „Kölner Stadt-Anzeiger“ herrscht am Hauptbahnhof eine aggressive Stimmung: Mindestens 200 angetrunkene junge Männer mit ausländischem Hintergrund pöbeln Passanten an und belästigen Frauen.

0.45 Uhr: Die Lage beruhigt sich laut Polizei zunächst. Der Zugang zum Hauptbahnhof wird wieder freigegeben, der Platz füllt sich erneut.

0.45 Uhr: Erste Strafanzeigen von betroffenen Frauen wegen Diebstahls gehen ein. Einige der Frauen berichten laut Polizei von sexuellen Übergriffen aus den Gruppen heraus auf Passanten. Es werden alle verfügbaren Beamten vor dem Hauptbahnhof zusammengezogen, knapp 150 Polizisten sollen im Einsatz sein. Frauen, die ohne Begleitung unterwegs sind, werden angesprochen und zum Bahnhofseingang begleitet. Es soll aber auch im Bahnhof Übergriffe geben. Dort ist allerdings nicht die Kölner Polizei zuständig, sondern die Bundespolizei.

4 Uhr: Laut Polizei beruhigt sich die Lage wieder. 8.57 Uhr: In einer Pressemitteilung schreibt die Polizei, die Silvesterfeier auf den Rheinbrücken, in der Kölner Innenstadt und in Leverkusen sei „friedlich und entspannt“ verlaufen. Die Vorgänge am Dom werden nicht erwähnt.

2. Januar, 17 Uhr: Die Kölner Polizei informiert schließlich über die Übergriffe in der Silvesternacht. Es seien Anzeigen von 30 Betroffenen erstattet worden, eine Ermittlungsgruppe wird eingerichtet.

 

 

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