Herumdoktern an der Hauptschlagader

Es ist soweit, die Gesundheits-Kommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Ob etwas und wenn ja, was herauskommt, ist noch völlig offen. Die AZ erklärt die Hintergründe dieser neuen Kommission.
von  Abendzeitung
Philipp Rösler
Philipp Rösler © dpa

BERLIN - Es ist soweit, die Gesundheits-Kommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Ob etwas und wenn ja, was herauskommt, ist noch völlig offen. Die AZ erklärt die Hintergründe dieser neuen Kommission.

Wenn man nicht mehr weiter weiß, macht man einen Arbeitskreis: Nach diesem Motto hat die Regierung am Mittwoch ihre Gesundheits-Kommission eingesetzt. Ihr Auftrag: Sie soll eine grundlegende Reform an einer der Hauptschlagadern des Sozialsystems auf den Weg bringen. Angesichts der unversöhnlichen Fronten vor allem zwischen FDP und CSU ist völlig offen, was herauskommt.

Wer ist die Kommission? Sie besteht aus acht Ministern – das halbe Kabinett: Philipp Rösler, Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Wolfgang Schäuble, Rainer Brüderle, Ilse Aigner und Kristina Köhler. Dass eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird, steht schon im Koalitionsvertrag – weil sich Union und FDP nicht einigen konnten.

Taugt sie was? Der eine Haken: Die CSU ist ein wenig unterrepräsentiert. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder schießt zwar aus allen Rohren gegen die Pläne, hat aber nichts mitzureden. Doch in Bundestag und Bundesrat werden die Stimmen der CSU wieder gebraucht. Der andere Haken: In Röslers Reform-Rat sitzen keinerlei Leute vom Fach – das sorgt bei Kassen und Experten für gelindes Entsetzen. „Das wird schon wieder eine politische Gesichtswahrer-Lösung und eben keine fachlich fundierte. Dabei kämpfen wir gerade noch mit dem Fonds“, stöhnt ein Kassenvertreter gegenüber der AZ. Dass der Minister mal gelernt hat, Augenkrankheiten zu heilen, qualifiziert ihn nach dieser Sicht nicht zwingend für die Neuordnung des Systems, wer das in welcher Form bezahlt.

Was ist ihr Auftrag? Die offizielle Aufgabe lautet, über „eine nachhaltige und sozial ausgewogene Finanzierung des Gesundheitswesens“ nachzudenken. Auffallend: Der FDP-Begriff „Kopfpauschale“ taucht nicht mehr auf, bleibt aber für die FDP das Ziel. Der inoffizielle Auftrag lautet ohnehin: Beschäftigungstherapie bis zur NRW-Wahl im Mai. Über Gruppen-Chef Rösler heißt es in der CSU: „Er ist die Ärmste aller Säue.“ Selbst in der FDP ist die Bereitschaft, sich für ihn und seine – teuren – Pläne zu verkämpfen angesichts anderer Baustellen gering.

Wie sieht die Pauschale aus? Derzeit zahlt der Arbeitgeber 7,0 Prozent; der Arbeitnehmer 7,9 Prozent (plus Zusatzbeiträge). Die FDP will ersteres einfrieren und letzteres in eine Pauschale umwandeln. Nach AZ-Informationen würde sie bei 144 Euro liegen. Sprich: Wer weniger als 1823 Euro im Monat verdient (rund 40 Prozent der Bürger), für den wird’s teurer. Er soll einen Ausgleich aus Steuermitteln erhalten. Das aber kostet Milliarden: Schäubles Finanzministerium rechnete auf Anfrage der Grünen genüsslich aus, dass dafür der Spitzensteuersatz auf 73 Prozent steigen müsste.

Was kommt also? Derzeit gibt es zwei etwa gleich große Blöcke, die sich gegenseitig neutralisieren: Die FDP will die Pauschale, die CSU lehnt sie ab, die CDU ist gespalten. Wer sich durchsetzt, ist völlig offen. Andererseits: Angesichts der riesigen Finanzlücken muss etwas passieren. Und: Die FDP kann nicht mit komplett leeren Händen aus den Verhandlungen gehen. Eine zentrale Rolle spielt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und die andere die NRW-Wahl: Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht, ist die Bundesrats-Mehrheit dahin und die Pauschale ohnehin tot. Anja Timmermann

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