Ein Mann für die Mitte

Steinmeier verzichtet – Sigmar Gabriel schlägt Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat vor. 
von  Georg Thanscheidt

 

Steinmeier verzichtet – Sigmar Gabriel schlägt Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat vor. Der ehemalige Finanzminister tritt in einem Jahr gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel an

 

Berlin Diesen Freitag hatte sich Sigmar Gabriel ganz anders vorgestellt – und nicht nur er: Denn eigentlich war der SPD-Chef in München verabredet. Mit Christian Ude im Landtag und mit Hans-Jochen Vogel zu einem persönlichen Gespräch. Aber zuvor wollte er um 10Uhr noch bei der Abendzeitung für ein Interview vorbeikommen. Über die Rente wollte er reden und, ja, auch Fragen zum möglichen SPD-Kanzlerkandidaten beantworten. Dann kam alles ganz anders.

Um Punkt neun Uhr rief die SPD-Zentrale aus Berlin an. Gabriel könne nicht kommen, er sei schon im Flieger aus München zurück in die Hauptstadt. „Familiäre Gründe“ schützte seine Sprecherin zunächst vor. 20 Minuten später ist klar: Es geht um die SPD-Familie. Gabriel musste seiner Rolle als „Familienoberhaupt“ gerecht werden und die in der Politik so oft gerühmte Handlungsfähigkeit beweisen. Denn da war in Berlin durchgesickert, was Gabriel schon länger wusste: Der SPD-Spitzenkandidat von 2009, Frank-Walter Steinmeier, mag nicht erneut gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel antreten. Sigmar Gabriel verzichtete später in einer Telefonschalte mit dem SPD-Parteivorstand endgültig auf die Kanzlerkandidatur – der Weg war frei für Peer Steinbrück, den früheren Finanzminister der Großen Koalition.

Auf die Wachablösung hinarbeiten

Die SPD-Troika aus Gabriel, Steinmeier und Steinbrück trat dann um 15.15 Uhr in Berlin vor die Presse und hob den ehemaligen NRW-Ministerpräsident aufs Schild. Steinbrück kündigte an, er werde auf eine Ablösung der jetzigen Bundesregierung hinarbeiten. „Wir werden sie durch Rot-Grün ersetzen“, sagte der 65-Jährige. Er selbst wolle sich im Wahlkampf ein Beispiel an Gerd Schröder nehmen, der 1998 die schwarz-gelbe Regierung von Helmut Kohl abgelöst hatte. Offiziell zum Kanzlerkandidaten soll Steinbrück auf einem Sonderparteitag am 9. Dezember gekürt werden. Dann will die SPD auch ein neues Rentenkonzept beschließen, das ein Absenken des generellen Renten-Niveaus auf 43 Prozent verhindern soll. Die K-Frage in der SPD ist damit vorzeitig beantwortet worden – eigentlich wollte die Partei den Kanzlerkandidaten frühestens kurz vor Weihnachten und spätestens Ende Januar 2013 benennen. Gabriel wurde davon überrascht, dass Steinmeiers Rückzug öffentlich wurde. Deswegen hat er die Benennung vorgezogen.

Am leidenschaftlichsten für die Kandidatur gekämpft

Es ist nicht der erste Querschuss aus der Troika: Schon im Mai 2011 hatte sich Steinbrück selbst als Kanzlerkandidat ins Rennen geschickt. Als Unterstützer konnte er immerhin Alt-Kanzler Helmut Schmidt gewinnen, der per „Spiegel“–Interview der Republik und der SPD-Basis kund tat: „Er kann’s“. Die SPD-Linke und Generalsekretärin Andrea Nahles schäumte und konterte: „Selbstausrufungen sind in einer modernen, demokratischen Partei wie der SPD aus der Mode gekommen.“ Nun hat sich der Mann durchgesetzt, der am leidenschaftlichsten für die Kandidatur gekämpft hat: Peer Steinbrück. Damit folgt die Partei auch dem Rat von Helmut Schmidt: „Die Wahlen werden nicht am linken Flügel gewonnen, sondern alle Wahlen werden gewonnen in der Mitte“, sagte er mit Blick auf Steinbrück schon vor einem Jahr. Zumal der Volkswirt und Vater dreier Kinder bewiesen habe, „dass er regieren und verwalten kann“.

Bisher nur 36 Prozent Zustimmung

Beim Wahlvolk ist das noch nicht angekommen: 53 Prozent der Deutschen sprechen sich laut ZDF-Politbarometer für Merkel als Kanzlerin aus, nur 36 Prozent für Steinbrück. Kein Wunder, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel gelassen bleibt: Sie habe „keine Vorlieben, was ihren Gegenkandidaten betrifft“, ließ sie über Sprecher Steffen Seibert ausrichten. Peer Steinbrück hat übrigens zugesagt, bald nach München zu kommen. Für einen Besuch bei der Abendzeitung.


Krisen-Erfahrung: Steinbrück war Finanzminister in der Großen Koalition mit der CDU – und wurde von der Finanzkrise im Herbst 2008 kalt erwischt: Die Lehman-Pleite überraschte ihn, die darauf folgende Rettung der Hypo Real Estate und weiterer Kreditinstitute brachte ihm zwar Kritik, aber in der Bevölkerung und in politischen Kreisen auch Anerkennung ein. Den von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgelegten Konjunkturprogrammen stand er hingegen kritisch gegenüber.

Banken-Kritik: Die Regulierung des Bankensektors wird das Wahlkampf-Thema der SPD für die Bundestagswahl 2013. Steinbrück hat diese Woche seine Position klar gemacht: Er will die alte Universalbank auflösen. Das Kredit- und Einlagengeschäft soll vom Investmentbanking getrennt werden. Sollten die gewinn- und risikoträchtigen Investment-Broker straucheln, würde das „reale“ Bankgeschäft nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.

Außenpolitik: Diplomatie ist Steinbrücks Sache nicht: Im Streit mit der Schweiz um Schwarzgeld und das Bankengeheimnis empfahl er „Zuckerbrot und Peitsche“, Und wenn das nicht hilft, will er die „Kavallerie“ vorbeischicken.

Fußball: Steinbrück sitzt seit 2010 im Aufsichtsrat von Borussia Dortmund. Er bezeichnet sich als „Sympathisant“, nicht als Fan. Sein Motiv für die Vereinsarbeit: „Ich wollte mal bei den Gewinnern sein.“

 

 


 

 

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