Ehe für alle: Seehofers neue Nöte
Berlin - Eigentlich war alles gut zwischen der CSU und der Kanzlerin. Der Streit über eine Flüchtlings-Obergrenze vergessen, das Wahlprogramm auf der Zielgeraden, dazu Top-Umfragewerte. Und jetzt? "Enttäuschung, Verärgerung, Fassungslosigkeit" – so beschreibt ein CSU-Vorstandsmitglied die aktuelle Stimmung in Teilen der CSU-Basis. Anlass: Bundeskanzlerin Angela Merkel Schwenk bei der Ehe für alle.
Auch wenn Parteichef Horst Seehofer bei der Debatte über die Neupositionierung dabei war, räumt er ein, ein Teil der Abgeordneten von CDU und CSU fühle sich "überrollt". Generalsekretär Andreas Scheuer sagt über die Lage an der Parteibasis: "Es wird Fragen dazu geben."
Der Ministerpräsident will den Zorn der Basis auf die SPD lenken
Wenn der Bundestag an diesem Freitag über die Ehe für alle berät und abstimmt, dann dürfte die CSU-Landesgruppe ziemlich geschlossen dagegen stimmen. Aber eben nur ziemlich: Mehrere der 56 Abgeordneten werden sich wohl enthalten oder mit Ja stimmen.
Das ändert nichts daran, wo die CSU steht: Die Öffnung der Ehe für Homosexuelle gehöre nicht zur Grundposition der CSU, erklärte die Parteispitze, nachdem Merkel das Thema in einer Veranstaltung mit der Zeitschrift "Brigitte" am Montag zu einer Gewissensentscheidung erklärt hatte. "Wir respektieren aber, wenn einzelne Abgeordnete sich anders entscheiden", sagt Generalsekretär Scheuer.
Nun gibt es zwei Lesarten in der CSU, was Merkels Schwenk angeht. Die einen, Abgeordnete und Vorstandsmitglieder, argumentieren, die Ehe für alle wäre sowieso nicht zu verhindern gewesen: weil man nach der Wahl keinen Koalitionspartner gefunden hätte, der nicht zwingend darauf besteht. Fragen wirft auf, warum Merkel die 180-Grad-Wende so schnell vollzog.
Viele "einfache" CSU-Anhänger, so schildern es Parlamentarier, seien dagegen perplex, dass Merkel eine alte konservative Position geräumt habe. Von einer "überstürzten Entscheidung" ist da die Rede. Die Argumentation, Merkel habe sich rechtzeitig eines Streitthemas entledigen wollen, verfange nicht überall an der Basis. Andere in der Parteiführung widersprechen: Der Mehrheit der Leute draußen sei das Thema doch am Ende gleichgültig.
Die CSU-Spitze versucht, den Zorn auf SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zu lenken, der das Thema sofort auf die Agenda gesetzt hatte – und nicht wie von der Union angedacht nach der Wahl. "Normalerweise ist das ein Koalitionsbruch", sagt Seehofer der "Augsburger Allgemeinen". Das Verhalten der SPD: "unwürdig". Scheuer schimpft: "Es ist ein Vertrauensbruch, dass sich die SPD so schäbig verhält und mit Linkspartei und Grünen paktiert."
Wie steht’s um die Verfassungsmäßigkeit der Ehe für alle? Das will ein CSU-Hardliner wissen, der mit einer Gruppe von Unionsabgeordneten rechtliche Schritte gegen das Gesetz erwägt. "Wir prüfen, ob ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht wegen Unvereinbarkeit des Gesetzes zur Ehe für alle mit Artikel 6 des Grundgesetzes eingereicht wird", sagt Hans-Peter Uhl. Das dürfte einigen Kritikern an der Basis gerade recht kommen.