"Die Leute haben genug von Ego-Shows und Schein-Lösungen"
Seit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier SPD-Chef Martin Schulz am Donnerstag in Schloss Bellevue empfangen hat (AZ berichtete), geht es Schlag auf Schlag: Noch in der Nacht zum Freitag kündigte SPD-Generalsekretär Hubertus Heil nach einer achtstündigen Sitzung der Partei-Führung an, dass die Genossen sich Gesprächen über eine Regierungsbildung nicht weiter verschließen wollen.
Am Freitag erklärte dann der Vorsitzende selbst: "Sollten die Gespräche dazu führen, dass wir uns, in welcher Form und in welcher Konstellation auch immer, an einer Regierungsbildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen." Und für Donnerstag, 20:00 Uhr, hat der Bundespräsident erneut eingeladen: Gemeinsam mit Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chef Schulz und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer will er darüber beraten, wie es weitergehen soll.
Die AZ hat darüber mit Natascha Kohnen, Chefin der Bayern-SPD, gesprochen.
AZ: Frau Kohnen, der Bundespräsident hat Bundeskanzlerin Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz gemeinsam zum Gespräch eingeladen – werden wir nun doch eine Neuauflage der Großen Koalition erleben?
Natascha Kohnen: Wir haben ja jetzt nach der Ansage des Bundespräsidenten, der nun das höchste Verfassungsorgan ist, klar gesagt: Wir verschließen uns keinen Gesprächen. Das können wir nicht und das dürfen wir nicht.
Martin Schulz will die Mitglieder über eine Regierungsbeteiligung entscheiden lassen. Ist das der richtige Weg?
Das steht für mich außer Frage. Wir haben nach der vorherigen Bundestagswahl die Bedingungen für eine Regierungsbildung den Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt, in Bayern die Frage nach dem Landesvorsitz über ein Mitgliedervotum entschieden. Für mich ist die Einbindung aller Mitglieder ganz entscheidend.
Eine erneute GroKo würde es der SPD ermöglichen, Forderungen zu stellen. Welche wären das?
Man darf nicht verklären, wie die GroKo war. Die letzten Monate haben gezeigt, dass die Gemeinsamkeiten völlig erschöpft waren. Mit dem Ergebnis, dass noch nie eine Regierungskoalition dermaßen abgestraft wurde, wie diese Große Koalition am 24. September. Aber natürlich werden wir diese inhaltliche Debatte führen. Für mich gibt es ganz starke sozialdemokratische Forderungen: die Bürgerversicherung, also dass wir Schluss machen mit der Zwei-Klassen-Medizin; ein Einwanderungsgesetz, das gerade auch die bayerische Wirtschaft dringend bräuchte; das Rückkehrrecht auf Vollzeit, das zum Schluss torpediert wurde, aber eigentlich hätte umgesetzt werden müssen. Darüber werden wir uns auf dem Bundesparteitag unterhalten.
Werden Sie auch über die Personalie Martin Schulz sprechen?
Martin Schulz steht als Person nicht im Mittelpunkt der Debatte. Es geht darum: Wie entwickelt sich dieses Land weiter. Da würde ich nun wirklich keine Personal-Sperenzchen empfehlen.
Hat es Sie eigentlich überrascht, dass Jamaika so plötzlich geplatzt ist?
Ja. Union, Grüne und FDP haben bereits im Wahlkampf gemeinsam geblinkt und der logische Schritt wäre gewesen, dass sie auch gemeinsam abbiegen. Dass das jetzt von der FDP gesprengt wurde, hat meiner Meinung nach sehr viel mit dem Ego von Lindner zu tun. Dazu die Vermutung, dass die FDP das schon länger vorhatte: Das Ganze ist wirklich ungut.
Gesine Schwan und Wolfgang Thierse haben jetzt "Kenia" ins Gespräch gebracht: eine Koalition von Union, SPD und Grünen. Was halten Sie davon?
Für mich sind die Optionen, die derzeit am klarsten auf dem Tisch liegen, diese: Jamaika – da muss auch der Herr Lindner nochmal in sich gehen; dann müssen wir natürlich über eine Große Koalition sprechen; und eine weitere, wenn auch ungewöhnliche Möglichkeit, wäre die Minderheitsregierung. Das muss man sich jetzt alles in Ruhe anschauen und analysieren. Auch Neuwahlen darf man nicht reflexartig ausschließen.
Zurück nach Bayern: Stellen Sie sich innerlich schon auf einen Landtagswahlkampf gegen Markus Söder ein?
Ganz ehrlich: Das müssen die jetzt regeln und wie wir am Donnerstag gesehen haben, scheint das noch Zeit in Anspruch zu nehmen. Mir ist das schlichtweg nicht wichtig. Eins steht auf jeden Fall fest: Ein Mann wird’s wohl sein.
Dabei wäre der Vorschlag von CSU-Frau Ilse Aigner, die Mitglieder über die Spitzenkandidatur abstimmen zu lassen, durchaus demokratisch charmant gewesen.
Woher kommt der wohl? Wir haben das Anfang des Jahres praktiziert, als es um den Landesvorsitz ging, und gute Erfahrungen damit gemacht. Deshalb kann ich nur den Kopf schütteln, wie darauf in der CSU reagiert wird. Eine Urwahl ist ein wunderbares Instrument, das mobilisiert und die Basis respektiert.
Wäre die Resonanz Ihrer Meinung nach eine andere gewesen, hätte ein Mann diesen Vorstoß gemacht?
Also sagen wir mal so: Mit welchen Reaktionen die einzige Frau, die einen Vorschlag gemacht hat, versehen wurde – so etwas habe ich noch nie erlebt und in unserer Partei wäre das auch nicht denkbar. Der Vorschlag, den Landesvorsitz per Urwahl bestimmen zu lassen, kam damals von mir und ich wurde mit großem Respekt behandelt.
Sie sind nicht nur Landes-Chefin und Spitzenkandidatin – Sie wurden auch als stellvertretende Bundesvorsitzende vorgeschlagen.
Ich kandidiere als stellvertretende Parteivorsitzende um den Süden in der SPD zu stärken. Ich freue mich, dass meine Parteifreunde im Norden auch sehen, dass das notwendig ist. Bayern braucht eine ernsthafte Stimme in Berlin.
Wird das nicht ein bisschen viel: Landtagswahl – und Vize-Vorsitz?
Ich nenne das Synergie.
Wie wollen Sie das Profil Ihrer Partei wieder schärfen?
Das Problem in der Bundestagswahl war, dass die Leute sich gefragt haben: Wo ist denn die Erkennbarkeit dieser Partei? Mit dem theoretischen Begriff der sozialen Gerechtigkeit ließ sich das nicht formulieren. Wir sollten zuhören und wahrnehmen, was die Probleme der Menschen sind – insbesondere in Bayern: Wie kann ich mir mein Dach über dem Kopf noch leisten? Wie kann ich mir meine Kita leisten? Stimmt die Qualität der Kita? Die letzten beiden sind Landesthemen, aber Wohnen spielt auch auf Bundesebene eine riesige Rolle. Da möchte ich für den nächsten Bundestagswahlkampf ein deutlich größeres Augenmerk darauf haben – aus dem Süden heraus.
Und was bieten Sie den Menschen in Bayern an?
Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen und das darf nicht damit enden, dass sich die Menschen darauf freuen können, dass sie in zehn Jahren eine bezahlbare Wohnung finden. Das hilft ihnen im Moment nicht. Wir wollen die Qualität in den Kitas verbessern. Da geht es auch darum, wie Erzieher und Erzieherinnen bezahlt werden. Dieser Berufsstand trägt eine Wahnsinns-Verantwortung, deshalb soll er im Ansehen und beim Gehalt anders dastehen. Genau so in der Pflege, ein Riesenthema! Genau wie Arbeit: Die Menschen haben das Gefühl, sie rackern sich aufgrund der Arbeitsverdichtung nur noch ab. Ich will zum Beispiel, dass die Menschen es cool finden, sich weiterzubilden – und dieses Recht will ich gesetzlich festschreiben. Außerdem haben wir bei der Integration echte Defizite. Es kann doch nicht sein, dass viele Flüchtlinge daran gehindert werden, in Arbeit zu gehen. Sie sollen doch arbeiten!
Und brauchen ebenfalls Wohnungen. Wie wollen Sie das Wohnraum-Problem im Freistaat angehen?
Das wird eins der schwierigsten Themen. Eigentlich ist es Sache der Kommunen, aber der Freistaat hat Flächen, die er zur Verfügung stellen kann und kann sozialen Wohnungsbau fördern. Außerdem müssen wir das Thema Bodenpreise betrachten. Ist es okay, dass in Bayern der Bodenpreis immer höher schießt und die Leute sich nichts mehr leisten können? Natürlich nicht! Da muss man rangehen, auch wenn es verfassungsrechtlich nicht ganz einfach ist.
Das heißt: Wenn Sie Ministerpräsidentin von Bayern wären, wäre Bayern wie?
Dann gibt es mehr Ernsthaftigkeit und vernünftige Debatten über die beste Lösung. Keine Ego-Shows oder Schein-Lösungen wie Maut oder Obergrenze. Die Leute haben genug davon, dass sich Politiker ständig gegenseitig eins auf die Rübe geben. Sie wollen Problemlösungen.