Bruderzwist im Bundestag
Siegfried Kauder, der kleine Bruder des Unionsfraktionschefs, steht vor dem Rauswurf aus der CDU – „das ist alles traurig“
BERLIN Der eine Bruder ist der mächtige Chef der Unionsfraktion im Bundestag, nah an der Kanzlerin. Der andere Bruder steht vor dem Rauswurf aus der CDU – er hat sich völlig verrannt, weil er es nicht verwinden konnte, nicht mehr aufgestellt zu werden. Die Geschichte über die Kauder-Brüder ist auch eine tragische. „Das ist alles traurig, am meisten für ihn selbst“, sagt Minister Wolfgang Schäuble.
Es geht um Volker Kauder (62) und seinen ein Jahr jüngeren Bruder Siegfried. Noch heute Abend wollte der CDU-Kreisverband Schwarzwald-Baar im „Pizzarestaurant Il Mediterraneo“ in Hüfingen entscheiden, ob der „kleine Kauder“ aus der Partei geschmissen wird. Die Sitzung ist bisher nicht beendet, aber die Rechtslage ist eindeutig: Wer – so wie Siegfried Kauder – gegen den von der eigenen Partei nominierten Kandidaten im gleichen Wahlkreis antritt, verhält sich parteischädigend und ist auszuschließen. Das ist überall so, nicht nur bei der CDU.
Seit 45 Jahren haben die beiden Kauder-Brüder ihr Parteibuch. Der Wahlkreis 286, den Siegfried Kauder bisher vertritt, ist einer der konservativsten der Republik (jedenfalls außerhalb Bayerns). Den einen Nachbar-Wahlkreis hält sein großer Bruder, den anderen Wolfgang Schäuble. Seit Jahrzehnten gab es dort nie etwas anderes als einen haushohen Sieg für die CDU.
Karrieremäßig war Volker Kauder seinem Bruder immer einen Schritt voraus: Parlamentarischer Geschäftsführer, Fraktionschef, zusammen mit seinem SPD-Kollegen Peter Struck Chef-Maschinist der großen Koalition, heute der Mann, der für Merkel die Mehrheiten organisiert: loyal und ein Meister im Kompromisseschmieden. Da ist Siegfried Kauder anders: Er sieht sich schon lange eher in der Rolle des unbequemen Mahners. Im Bundestag ist er als Chef des Rechtsausschusses und Vorsitzender des BND-Untersuchungsausschusses oberes Mittelfeld.
"Jeder Versuch, auf ihn einzureden, ist völlig hoffnungslos"
Aber dann hat er sich verändert, sagen auch viele frühere Weggefährten. Der kleine Kauder, schon immer ein Workoholic, der oft bis spät nachts, auch an Heiligabend und Sylvester im Büro sitzt, wird immer eigenbrötlerischer, eigenwilliger und herrischer. „Er hat sich menschlich stark verändert. Wir sind nicht mehr an ihn rangekommen, auch sein Bruder nicht“, sagt Klaus Panther, Ehren-Chef der Kreis-CDU, der einer der letzten Verbündeten von Siegfried Kauder war. Auch Schäuble hat es probiert: „Jeder Versuch, auf ihn einzureden, ist völlig hoffnungslos. Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist.“ Er könne nur fassungslos den Kopf schütteln.
Als eine örtliche CDU-Frau klagt, Kauder habe sich in seiner Persönlichkeit so stark verändert, dass sie als Laie sich das nur mit einer psychischen Krankheit erklären könne, holt er sich ein Attest von der Bundestagsärztin. „Da steht klar drin, dass ich den Anforderungen des Mandats völlig gewachsen bin.“ Er spricht von Mobbing und Manipulation. Die langjährige und beliebte Kreisgeschäftsführerin feuert er fristlos und erteilt ihr Hausverbot. Er zieht sein Büro um, ohne den Parteifreunden etwas zu sagen.
Sein erster Wieder-Nominierungsversuch scheitert, obwohl er der einzige Kandidat ist. Siegfried Kauder sieht eine Verschwörung am Werk, Urnen seien verschwunden. Beim zweiten Anlauf tritt ein junger Kommunalpolitiker gegen ihn an und gewinnt haushoch. Als Konsequenz tritt Kauder nun als unabhängiger Kandidat im Wahlkreis 286 an und wettert gegen den Parteienklüngel. Vor Ort heißt es, das wäre glaubwürdiger, wenn es ihm nicht nach 45 Jahren nach der ersten Niederlage eingefallen wäre. Volker Kauder spricht nicht gern über das Thema. Nur so viel: Der Rausschmiss sei richtig. „Unabhängig von der Familienzugehörigkeit muss ich sagen: Das geht nicht.“