"Angstschweiß auf der Stirn"

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin im AZ-Interview über den Wahlkampf in Bayern und Berlin – und warum eine Doppelspitze aus zwei Männern halt doch nicht funktionieren kann
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Prost! Jürgen Trittin mit Renate Künast auf der Wiesn
dpa Prost! Jürgen Trittin mit Renate Künast auf der Wiesn

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin im AZ-Interview über den Wahlkampf in Bayern und Berlin – und warum eine Doppelspitze aus zwei Männern halt doch nicht funktionieren kann

AZ: Herr Trittin, wie erleben Sie das als Polit-Tourist – hat sich Bayern in den letzten Jahren verändert?

TRITTIN: Es ist mein erster Wahlkampf hier, wo man nicht um Platz, sondern um Sieg kämpft. Beim letzten Landtagswahlkampf war nur die Frage, ob die CSU über oder unter 60 Prozent kommt. Heute haben wir in Bayern eine Stimmung, die zeigt, dass die CSU zum ersten Mal die Wahl verlieren kann. Und das Interessante ist: Man merkt es den CSUlern mehr an als den anderen Wettbewerbern. Man trifft auf tiefe Verunsicherung. Im Bundestag stand Herrn Huber diese Woche richtig der Angstschweiß auf der Stirn. Und wenn jemand wie Herr Beckstein, der eigentlich ein ebenso jovialer wie selbstsicherer Mensch ist, skandalöse Äußerungen übers Saufen und das Fahren tätigt, wenn er die Opposition mit Watschen bedroht, dann muss es schlimm bestellt sein um die Stimmung der CSU.

Sind die beiden vielleicht einfach zu nett?

Die CSU will geführt werden. Der Versuch der CSU, bei den Grünen das mit der Doppelspitze abzukupfern, musste schon deshalb scheitern, weil die mit zwei Männern nicht funktioniert. Und zweitens ist dieser Anflug ins Basisdemokratische für eine Partei völlig unverträglich, die es über Jahrzehnte gewohnt war, autoritär und charismatisch geführt zu werden.

Glauben Sie, dass Horst Seehofer schon sehr bald CSU-Chef sein wird?

Wenn die CSU so abschneidet, wie es die Umfragen verheißen, ist das mit der Doppelspitze von Erwin und Günther ziemlich schnell vorbei. Die beiden stehen nur für den Rückbau der Überzogenheiten der Stoiber-Ära, sie geben der Partei aber keine Richtung, keine Orientierung. Nach 47 Jahren ist der CSU ihre Fähigkeit zur Eigen-Innovation abhanden gekommen. Wenn die CSU arrogant "Bayern wählen" plakatiert, verwechselt sie eine Partei mit dem Land.

Angenommen, die CSU braucht einen Koalitionspartner: Wie wär's dann mit Schwarz-Grün in Bayern?

Warum sollten wir? Wir erleben doch zur Zeit einen Wettlauf zwischen FDP und Freien Wählern, wer zum Nulltarif an der Seite der abgewirtschafteten CSU regieren darf. Ich warte nur noch auf ein Zeitpunkt, dass sie etwas dafür bezahlen. Wir Grüne wollen eine Alternative. Wir wollen auch kein Schulsystem, in dem nur 20 Prozent eines Jahrgangs das Abitur machen dürfen. Zwischen CSU und den Grünen gibt es eine scharfe inhaltliche Konfrontation.

Aber Ihr Spitzenkandidat Sepp Daxenberger spricht doch auch viele wertkonservative Wähler an...

Ich bin auch wertkonservativ, etwa beim Kampf um die bayerischen Familienbrauereien. Jeder Ökologe ist das auch. Aber ist die CSU wertkonservativ? Sie plant, überall dort, wo sie Geld hat, grauen Beton in die grüne Landschaft zu gießen.

Sie haben gerade erklärt, dass die Grünen Gesine Schwan zur Bundespräsidentin wählen wollen. Was haben Sie gegen Horst Köhler?

Ich sage ganz offen: Köhler hat mich, obwohl ich ihn nicht gewählt habe, auch positiv überrascht. Aber ich halte Gesine Schwan für die bessere Bundespräsidentin für Deutschland. Eines kann man heute schon prophezeien: Ab Sonntag hat Köhler keine eigene, sich auf Union und FDP stützende Mehrheit in der Bundesversammlung mehr.

Sitzen Sie 2009 mit Guido Westerwelle am Kabinettstisch einer Ampel-Regierung?

Wollen Sie Guido Angst machen? Aber: Von allen Konstellationen ist das die am wenigsten unwahrscheinliche jenseits der großen Koalition. Allerdings scheint es mir derzeit eher das Wahlkampfziel der SPD zu sein, sich weiter mit der Rolle des Juniorpartners von Frau Merkel zu begnügen.

Die SPD setzt im Wahlkampf wieder auf Schröder. Soll jetzt auch Joschka Fischer wieder die Marktplätze rocken?

Joschka hat erklärt, dass er keine Wahlkämpfe mehr machen will. Für die Marktplätze sind jetzt Renate Künast und ich zuständig.

Interview: Markus Jox

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