"Wir brauchen 60 000 Wohnungen"

Was die Teilnehmer der Diskussion "München - Nur noch für Reiche?" von den Politikern fordern – in Stadt, Land und Bund. Ein Überblick über die Möglichkeiten zur Rettung der Münchner Mieter
Tina Angerer |
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Das Thema Wohnwahnsinn interessiert die Münchner: Die AZ-Podiumsdiskussion im voll besetzten Grünen Saal vom Augustiner in der Fußgängerzone.
Sigi Müller Das Thema Wohnwahnsinn interessiert die Münchner: Die AZ-Podiumsdiskussion im voll besetzten Grünen Saal vom Augustiner in der Fußgängerzone.

Was die Teilnehmer der Diskussion "München - Nur noch für Reiche?" von den Politikern fordern – in Stadt, Land und Bund. Ein Überblick über die Möglichkeiten zur Rettung der Münchner Mieter

MÜNCHEN - Die Mieten in München sind zu hoch und es gibt zu wenig Wohnungen – so weit waren sich die Teilnehmer der AZ-Podiumsdiskussion einig. „Nicht mehr nur Geringverdiener finden heute in München keine bezahlbare Wohnung. Auch die klassischen Doppelverdiener“, sagte Dieter Reiter, OB-Kandidat der SPD.

Die Finanzkrise hat die angespannte Lage in München noch verschlimmert. „Es wird heute nicht mehr mit Aktien spekuliert, sondern mit Wohnungen“, sagte Beatrix Zurek vom Mieterverein. Eine der Folgen: Investoren kaufen Mietwohnungen auf, sanieren sie und wandeln sie in renditeträchtige Eigentumwohnungen um. Und bei sanierten Mietwohnungen steigen die Kosten für die Mieter so sehr, dass sich das viele nicht mehr leisten können. „Wir haben gerade einen Fall, in dem die Mieter nach der Modernisierung 1000 Euro mehr bezahlen sollen“, sagte Zurek.

Doch die Politik, auch das ergab die Diskussion, könnte durchaus etwas tun – auf verschiedenen Ebenen:

 


 

Was die Stadt München tun kann:

Wohnungsbau: „Seit Jahren erreicht die Stadt beim Wohnungsbau nicht ihre Ziele“, klagt Max Heisler von „Bündnis Bezahlbares Wohnen“. Dieter Reiter wehrte sich: Man tue, was man kann. Bis 2030 wird es 150 000 Münchner mehr geben. „Dafür brauchen wir 60 000 Wohnungen, und für die ist auch noch Platz.“

Umwandlung von Gewerbe: Reiter räumte ein, dass in den 90ern zuviel Gewerbeimmobilien gebaut wurden – die stehen jetzt massenhaft leer. „Wir müssen genau hinsehen, wo man Gewerbeimmobilien in Wohnungen umwandeln kann.“ Jürgen Büllesbach von der Bayerischen Hausbau ergänzt: „Auch das kostet Geld.“

Erhaltungssatzungen: Zurzeit gibt es 14 Erhaltungssatzungsgebiete in München. Will ein Investor dort ein Haus kaufen, hat die Stadt ein Vorkaufsrecht. Der Investor kann dann eine Abwendungserklärung abgeben, in der er sich verpflichtet, zehn Jahre lang nicht zu sanieren. Dieter Reiter kündigt an: „Wir wollen Erhaltungssatzungen ausweiten.“

Max Heisler kritisiert: „In wenigen Jahren ist die Zahl der Gebiete von 21 auf 14 gesunken.“ Das Problem sind die Bedingungen, wann ein Gebiet Erhaltungssatzung werden und bleiben darf. Die kann die Stadt aber ändern. Weiteres Problem: Nach den zehn Jahren hat die Stadt keinen Einfluss mehr – dann ist Luxussanierung möglich. Deswegen fordert Aktivist Heisler, dass auch darüber nachgedacht wird.

 


 


Was das Land Bayern tun kann

Umwandlungsverbot: „Wir könnten das Problem der Luxussanierungen in den Griff kriegen, wenn der Freistaat endlich das Umwandlungsverbot einführt“, sagte Dieter Reiter und bekam sowohl von Max Heisler als auch von Beatrix Zurek Zustimmung.

Mit einem Umwandlungsverbot müsste die Kommune jede Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen genehmigen – und könnte sie verhindern. Allein das schreckt in Hamburg, wo es das Gesetz gibt, Spekulanten ab. Denn Eigentumswohnungen bringen das meiste Geld. In Bayern lehnen CSU und FDP das Umwandlungsverbot seit Jahren ab.

Zweckentfremdung: Zweckentfremdung ist die Umwandlung von Mietwohnungen in Gewerbe. Das Zweckentfremdungsverbot gibt Kommunen, in denen ausreichender Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist – also auch der Stadt München – die Möglichkeit, die Zweckentfremdung zu untersagen. Die Stadt hat damit von 2007 bis jetzt über 1000 Wohnungen erhalten, die sonst Büros hätten weichen müssen. Doch das Zweckentfremdungsgesetz tritt Mitte 2013 außer Kraft – weil es der Landtag so wollte. Er könnte es auch verlängern.

Denkmalschutz: Immer wieder kritisiert werden die Bestimmungen zum Denkmalschutz, die viele Hintertüren offenhalten. Fällt bei einem Haus der Denkmalschutz auf Betreiben eines Investors, wird saniert, abgerissen, neu gebaut – und oft auch entmietet und verteuert.

 


 

Was der Bund tun kann

Mieterhöhungen: Nach Bundesgesetz darf alle drei Jahre die Miete um 20 Prozent erhöht werden. „Für einen Mieter in München bedeutet das natürlich etwas ganz anderes als für jemanden im Erzgebirge“, sagt Beatrix Zurek. Es gibt zwar eine Obergrenze, die „ortsübliche Miete“, die durch den Mietspiegel bestimmt wird. Bei Neuvermietungen darf diese Obergrenze aber um weitere 20 Prozent überschritten werden. 

Die SPD-Bundestagsfraktion hat gerade den Antrag gestellt, dass die Mieten nur alle vier Jahre um 15 Prozent erhöht werden dürfen. Auch solle die ortsübliche Miete bei Neuvermietungen nicht wie bisher um 20 Prozent, sondern um maximal 10 Prozent überschritten werden dürfen. Die Mehrheit im Bundestag ist freilich eine andere.

Mietspiegel: Der Mietspiegel legt alle vier Jahre die „ortsübliche Miete“ fest. Die ist sehr wichtig, weil die dann als Obergrenze für Mieterhöhungen gilt. Derzeit fließen in die ortsübliche Mieter aber nur veränderte Mieten ein. Also Neuverträge und durch Erhöhungen und Modernisierung gestiegene Mieten – die ortsübliche Miete steigt deswegen wie eine Spirale an.

Bestandsmieten, also bestehende Mietverträge mit gleichbleibender Miete, werden gar nicht eingerechnet. Auf gut deutsch heißt das: Die teuersten Mieten im Viertel bestimmen, was ortsüblich ist.
„Das muss geändert werden“, sagt Reiter. Der Bund könnte das, auch dazu gibt es einen SPD-Antrag.

Modernisierungskosten: Laut Bundesgesetz darf ein Vermieter die Kosten für energetische Sanierungen und andere Modernisierungen komplett auf die Mieter umlegen.
Kostet eine Sanierung 100 000 Euro, darf er elf Prozent, also 11 000 Euro, pro Jahr von den Mietern mehr verlangen. Hat er zum Beispiel zwei Mieter, sind das für jeden 5500 Euro.

Diese Steigerung ist zeitlich unbefristet. Das heißt: Nach neun Jahren haben die Mieter die Modernisierung zwar komplett abgeleistet, die höhere Miete müssen sie aber weiter zahlen – purer Profit für den Vermieter.

Bodenpreise: SPD-Stadträtin Beatrix Zurek geht noch einen Schritt weiter. Ein Grund für die Immobilienpreise in München seien die horrenden Bodenpreise, die jeder, der baut, bezahlt. „Wir müssen darüber nachdenken, ob wir eine Limitierung der Bodenpreise für München brauchen.“ Rein rechtlich wären wohl Sondergesetze für Kommunen mit besonders gefährdetem Wohnraum möglich – auf Bundes- wie auch auf Landesebene.

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