Bier-Panne in der Ratsboxe: Jever sorgt für Rätselraten auf dem Oktoberfest in München

Was Sie im Fernsehen nicht sehen konnten: Wer auf dem Oktoberfest in München in der Ratsboxe zuerst tanzt, wie eine Politikerin aus Protest den Tisch verlässt, wo Hubert Aiwanger eine Flasche Wein entkorkt – und das Rätsel um nordisches Pils im Wiesn-Festzelt.
von  Felix Müller, Christina Hertel, Ruth Frömmer
Was ist denn das? Vier halbe Liter alkoholfreies Jever am Rande der Ratsboxe. Um zwei Maßkrüge heimlich zu befüllen?
Was ist denn das? Vier halbe Liter alkoholfreies Jever am Rande der Ratsboxe. Um zwei Maßkrüge heimlich zu befüllen? © fm

Theresienwiese - Der Wiesn-Anstich bei den Großkopferten – das ist immer auch ein Wettkampf der Bilder. Sehen und gesehen werden – aber nicht unbedingt in jeder Situation. Und: bloß nicht mit jedem. Im Rathaus wäre es vielen wohl am liebsten gewesen, Hubert Aiwanger hätte die Ratsboxe heuer von sich aus gemieden. Tut er aber nicht.

Und so wird schon lange vor dem Anstich Punkt 12 Uhr in der Schottenhamel-Festhalle getuschelt. Erst am Vortag habe der Vize-Ministerpräsident sein Kommen ankündigen lassen. Er soll aber nicht bei OB und Ministerpräsident am Tisch sitzen, heißt es. Sondern bei der Stadtratsfraktion von Freien Wählern und CSU.

Soll einfach mal die "Klappe halten": Politiker meiden Hubert Aiwanger im Festzelt

In der Münchner CSU kommt das nicht bei jedem gut an. Urgestein Ludwig Spaenle etwa sagt im kurzen Gespräch mit der AZ so oft, dass Aiwanger kommen dürfe, aber halt einfach mal die "Klappe halten" solle, dass einem vor lauter Klappen ganz schummerig vor Augen wird. Und Kristina Frank nutzt die Angelegenheit gleich für einen aufsehenerregenden Auftritt.

Frank, immerhin einstige OB-Kandidatin und heute Kommunalreferentin der Stadt, verlässt den Tisch – wegen Aiwanger. Als Söder am Tisch vorbeigeht, tut er genau das: einfach vorbeigehen, bloß kein Festzelt-Bild mit Aiwanger riskieren. Wobei: Aiwanger sagt, Söder habe ihm zugenickt, aber "ein Foto mit Handschlag wollte er anscheinend vermeiden".

Manche halten dennoch zum Freie-Wähler-Chef: "Werde mindestens einmal mit Aiwanger anstoßen"

Bei Aiwanger sitzen dann auch eher Hinterbänkler der Stadtrats-CSU, Leute, die die Fotografen nicht kennen und denen wohl niemand einen Strick drehen mag aus dieser Nebensitzer-Konstellation. Und: Hans-Peter Mehling, der Chef der Freien Wähler im Stadtrat. "Ich werde mindestens einmal mit Hubert Aiwanger anstoßen!", kündigt der an. "Es hat mich beeindruckt, wie er mit der Affäre umgegangen ist. Ich hätte schon längst aufgegeben."


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Eine, die sich mit ihrem Groll auf Aiwanger schmücken mag, ist die grüne IT-Referentin Laura Dornheim. Sie ist die Allererste, die in der Ratsboxe das Tanzen anfängt. Die Frau ist im Festzelt sehr unbekannt – hat aber eine große Anhängerschaft in sozialen Medien. Eben da postet die Spitzenbeamtin ein Selfie mit Aiwanger im Hintergrund – und dem Hinweis, sie werde das nächste Mal einen "Nazis raus"-Button ans Dirndl heften. Der Vize-Ministerpräsident ein Nazi: Provokation gesetzt, Provokation gelungen. Dornheim landet prominent bei der "Bild"-Zeitung, bekommt Applaus und Widerspruch im Internet und geht dann wahrscheinlich zufrieden nach Hause.

Kaum jemanden interessiert's: Hubert Aiwanger entkorkt Weinflasche in Bodos Cafézelt

Zufrieden wirkt auch Aiwanger selbst. Er gehe immer auf die Wiesn, das sei doch keine taktische Überlegung, sagt er. Er erzählt, draußen hätten ganz viele Menschen Selfies mit ihm machen wollen. Passt also gut zu seiner Erzählung dieser Wochen, wie sehr die ganz normalen Menschen zu ihm stünden.

Hubert Aiwanger macht eine Flasche Wein mit einer fränkischen Weinkönigin in Bodos Cafézelt auf.
Hubert Aiwanger macht eine Flasche Wein mit einer fränkischen Weinkönigin in Bodos Cafézelt auf. © Daniel von Loeper

Etwas weniger gut zu dieser These passt sein Auftritt gute zwei Stunden später in Bodos Cafézelt. Dort gibt es gar kein Bier, sondern Kaffee und Prosecco – und einen Auftritt des Vize-Ministerpräsidenten. Nur: Dass er dort eine Flasche Wein mit einer fränkischen Weinkönigin entkorkt und Wein an Gäste verteilt, interessiert kaum wen. Aiwanger nimmt es gelassen, lässt sich eine Dampfnudel schmecken.

Und Otto Lindinger, der Wirt, ist bemüht, den Aiwanger-Besuch nicht als politisches Statement zu sehen. Der Besuch sei lange geplant gewesen, er selbst der "unpolitischste unter den Wiesn-Wirten", sagt er der AZ.

Reiter, von Brunn und Co.: Im Schottenhamel versammelt sich die Prominenz der SPD

Zurück ins Schottenhamel-Zelt, wo die Themen heuer irgendwie andere sind. Klar, der OB hat wieder angezapft, ist selbst sehr zufrieden mit seinen zwei Schlägen. Aber dass der Mann das kann, ist allgemein bekannt. Für Gesprächsstoff hätte er wohl eher mit einem unerwarteten Leistungsabfall gesorgt. Dass da unten tatsächlich der echte Andreas Gabalier auf die Bühne springt und sich eine Maß Bier aus dem Publikum schnappt, scheint die Politiker nicht besonders zu interessieren.

Die Parteipolitik rauszuhalten, so wie es eigentlich Tradition haben soll auf der Wiesn, gelingt im Landtagswahljahr natürlich nicht so richtig. SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn ist von drüben aus Sendling hergeradelt, hat sich Unterstützung von Bundeschef Lars Klingbeil geholt. Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze begrüßt Claudia Roth.

"Hier hat die Krise Pause": Markus Söder fordert erneut ermäßigter Gastro-Mehrwertsteuer

Die trägt wie eh und je ein Dirndl. Insgesamt aber sind doch überraschend viele Trachtenmuffel unter den hiesigen Politikern auszumachen. Brunn lässt sich im weißen Hemd fotografieren, auch der Münchner CSU-Minister Markus Blume hat die Lederhose im Schrank gelassen, der Grünen-Landtagsabgeordnete Florian Siekmann auch.

Schon drunten in der Anzapf-Box lässt es sich Markus Söder natürlich nicht nehmen, seine Forderung nach einer ermäßigten Mehrwertsteuer für die Gastronomie wieder zu platzieren. Er sorge sich um die Entwicklung der Preise, sagt er hinterher der AZ und dass Volksfeste bezahlbar bleiben müssten. Söder schwärmt von der Stimmung auf der Wiesn, ruft: "Hier hat die Krise Pause!"

Anstrengende Wiesn: "Das Schönste am Anstichtag ist, wieder daheim auf der Couch zu sein"

Auf die Wiesn selbst schauen die Politiker zuversichtlich. "Die ganze Stadt ein Depp!", schnauft die ehemalige Dritte Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) nach der ungewohnten U-Bahn-Fahrt zum Fest zwar. Aber insgesamt sei doch alles wieder sehr friedlich und schön.

OB Dieter Reiter sagt, die Leute hätten einfach Nachholbedarf beim Feiern. KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl betont, dass täglich (wechselnde!) städtische Mitarbeiter im Kampf gegen betrügerisches Einschenken ausschwärmen.

OB Dieter Reiter am Samstag in der Anzapf-Box.
OB Dieter Reiter am Samstag in der Anzapf-Box. © Michael Nagy

Und dann geht es halt wieder um die Bilder. Dieter Reiter sagt über Aiwanger, selbstverständlich sei ein Vize-Ministerpräsident immer eingeladen. Und verbindet das mit einem kleinen Seitenhieb. "Anders wäre es nur gewesen, wenn Herr Söder sich anders entschieden hätte..." Gegen einen Besuch im Festzelt entscheidet sich freilich keiner.

Hier geht es am ersten Wiesn-Samstag um die Inszenierung. Umso schöner sind die kleinen ehrlichen Momente. Wie wenn jemand, der im Rathaus viel zu sagen hat, stöhnt: "Das Schönste am Anstichtag ist, wieder daheim auf der Couch zu sein..." Oder wenn sich plötzlich ganz Überraschendes auftut.

OB Reiter und Wiesn-Chef Baumgärtner trinken "bleifrei": Doch wo kommt Jever her?

Wie da vorne, gleich zwischen Treppe und den Tischen mit den wichtigsten Leuten. Da stehen tatsächlich vier Flaschen alkoholfreies, friesisch-herbes Pils. Ob die sich wer vorbestellt hat, um sie in den Maßkrug zu bekommen? Dass viel alkoholfrei getrunken wird bei Arbeitsterminen – zu denen ja auch für Politiker die Wiesn zählt – ist ja bekannt.

OB Dieter Reiter hat erst dieser Tage erzählt, dass er tags nur alkoholfreies Bier im Krug hat, beim Anstich selbst berichtet auch Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner der AZ, dass er "bleifrei" trinke. Auf der Wiesn trinke er gar nichts – die Wiesn sei ja sein Job. "Da muss man schließlich auf alles gefasst sein und alle Sinne beieinander haben." Baumgärtner und Reiter dürften es ohnehin eher nicht sein, die sich Jever Fun in den Krug füllen lassen – was wäre da schließlich los, wenn sie wer erwischt. Aber wer dann? 

Theoretisch denkbar, dass Mitarbeiter sich Getränke mitbringen, aber Glasflaschen, ganz prominent ausgestellt? Wirt Christian Schottenhamel erfährt durch einen Anruf der AZ von der Jever-Panne. "Diese Flaschen werden nicht toleriert, weil wir bayerisches Bier unterstützen", betont er.

Kein friesisch-herbes Pils auf Politiker Wunsch im Krug also! "Wir verkaufen auch selbst alkoholfreies Bier und mögen es nicht, das Leute selber Getränke mitbringen", betont er.

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