"Aufklärung ist notwendig": Promis fordern neuen Prozess für Bence Toth
München - "Zwei Tage nachdem meine Tante getötet wurde, verlor ich mein Leben. Es war kein besonderes Leben, aber es war meins. (...) Ich hatte alles, wovon ein durchschnittlicher Mann träumen darf. Nun führe ich seit 15 Jahren ein fremdes, konfektioniertes, mir zugeteiltes, lebensfeindliches Leben. Und ich bin kein durchschnittlicher Mann mehr."

Diese Zeilen schrieb Benedikt Toth (47) im Gefängnis. Vor 15 Jahren wurde er verurteilt, seine Tante die Millionärin Charlotte Böhringer, ermordet zu haben. Aus Angst enterbt zu werden, soll er in ihrer Luxuswohnung in ihrem Parkhaus im Gärtnerplatzviertel über 20 Mal auf sie eingeschlagen haben. Mit dieser Theorie nahm ihn die Polizei schon drei Tage nach der Tat fest. Das Urteil in dem Indizienprozess: lebenslang mit besonderer Schwere der Schuld. Toth beteuert bis heute seine Unschuld.

"zweifelHAFT": Prominenter Unterstützerkreis für Bence Toth
Nun hat sich mit "zweifelHAFT" ein prominenter Unterstützerkreis formiert, der neue Ermittlungen anstoßen will. Dazu gehören unter anderem die Politikerin Claudia Stamm und die Schriftstellerin Amelie Fried. Gegründet haben diesen Zusammenschluss die Münchner Autorin Marie Velden und ihre Freundin Susanne von Lieven-Jell.

Auf der Website zweifelhaft.org haben sie monatelang Ermittlungsfehler und offene Fragen in diesem Fall zusammen getragen. Zum Beispiel fragen sie, wie Toth den Mord mit der rechten Hand begangen haben soll, wenn er doch Linkshänder ist? Warum wurden nicht alle Haarspuren aus der Tatwohnung untersucht? Und wer war der unbekannte Besucher, der mit der Millionärin Charlotte Böhringer Wein getrunken haben muss?

Ex-OB Christian Ude über Mordfall Böhringer: "Bis heute zu viele Punkte offen"
Recherchiert hat das unter anderem Susanne von Lieven-Jell. Sie ist die Tochter von Ex-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Auch er sagt: "Die Ermittler standen damals unter hohem Druck, schnell ein Ergebnis zu liefern. Doch bis heute bleiben zu viele Punkte offen."
Ude, der selbst Jurist ist, findet deshalb: "Polizei und Staatsanwaltschaft müssten tiefer schürfen." Auf Bitten seiner Tochter habe er Benedikt Toth im Gefängnis besucht und dort einen "sehr besonnenen", "ruhig argumentierenden" Mann getroffen. Ein Urteil, ob Toth tatsächlich unschuldig ist, mag sich Ude nicht anmaßen. Doch seien die Zweifel so groß, dass es aus seiner Sicht weitere Aufklärung braucht.

Das sieht auch seine Tochter Susanne von Lieven-Jell so. Sie habe während Corona begonnen, sich näher mit dem Fall zu befassen. Sie habe zuerst Podcasts gehört und Zeitungsartikel gelesen. Der Fall habe sie einfach nicht mehr losgelassen. Auch ihn und seinen Anwalt treffe sie gemeinsam mit ihrer Freundin Marie Velden regelmäßig. "Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so standhaft ist", sagt Lieven-Jell über Toth.

So geht es Benedikt Toth im Gefängnis
Fasziniert habe sie, wie gesund er aussehe: Toth mache viel Yoga, koche mit einem Tauchsieder in seiner Zelle sein Gemüse, damit er nicht das Essen aus der Gefängniskantine zu sich nehmen muss.
Er lese und schreibe viel und arbeite in der Gefängnisbibliothek. Dass er nun von so viel Prominenz unterstützt wird, löse bei ihm gemischte Gefühle aus: Denn zu viel Hoffnung, zu viel Euphorie traue er sich gar nicht zu haben, sagt Lieven-Jell. "Zu groß ist seine Angst, wieder tief zu fallen."
Denn bereits 2009 scheiterte eine Revision. Zwei Anträge, die 2012 und 2019 gestellt wurden, das Verfahren wieder aufzunehmen, wurden verworfen. Christian Ude betont, dass nur sehr selten Verfahren wieder aufgenommen werden.
Toths Bruder Mate: Verfahren war eine "Riesensauerei"
Doch Justizirrtümer kommen auch in Bayern vor: Ein Beispiel dafür ist Gustl Mollath, der jahrelang in der Psychiatrie festsaß und letztlich freigesprochen wurde. Auch hier hatte sich Ude kritisch gezeigt.
Seine Tochter vermutet einen weiteren Grund, warum die Anträge auf eine Wiederaufnahme scheiterten: Toths Urteil fällte damals Manfred Götzl. Die Anträge wurden gestellt, als er den NSU-Prozess führte. Ein Wiederaufnahmeverfahren hätte womöglich an seiner Glaubwürdigkeit gekratzt.
Eine "Riesensauerei" nennt Toths Bruder Mate das Verfahren von damals. Bis heute ist er von der Unschuld überzeugt. Alle paar Wochen besuche er seinen Bruder. Doch die Regeln sind streng.
Die Besuche laufen ab, wie in einem amerikanischen Film, erzählt er. Hinter einer Glasscheibe muss er zum Telefonhörer greifen. "Wir dürfen uns nicht mal die Hand reichen", sagt der Bruder.