Freundschaftsnetzwerk für Münchnerinnen: "Frauen brauchen Verbündete"
München - Freundschaften geben uns Nähe und Zugehörigkeit, Geborgenheit und Sicherheit. "Sie sind da, wenn wir das Leben feiern und fangen uns auf, wenn wir straucheln", sagt Adelheid Reik. Die Münchnerin coacht speziell Frauen - und ist überzeugt: "Freunde sind die wertvollste Ressource, die wirksamste Schutzmaßnahme gegen die Wechselfälle des Lebens".
Ex-Krankenschwester berät Münchnerinnen beim Aufbau von Freundeskreisen
Die Corona-Pandemie zeigt wie unter einem Brennglas, wie schwer sich Einsamkeit auf die Seele legen kann. Denn soziale Kontakte sind ein Grundbedürfnis des Menschen. "Kontakte sind für uns nicht nur wichtig, sondern überlebenswichtig", formuliert es Adelheid Reik. Die frühere Krankenschwester ist dabei, Munditia aufzubauen - ein Online-Freundschaftsnetzwerk für Frauen ab 40 Jahre. Denn das Risiko, unter Einsamkeit zu leiden, steigt in der zweiten Lebenshälfte .

"Frauen, die in ihren Leben alles richtig gemacht haben, sehr viele Kontakte und Freundschaften hatten, sind plötzlich überrascht, dass sie sich alleine fühlen", weiß Adelheid Reik. Die Münchnerinnen beim Aufbau eines wärmenden Freundeskreises zu beraten, ist ihr Lebensprojekt.
Kleiner Freundeskreis kann zu Einsamkeit führen
AZ: Frau Reik, Sie plädieren dafür, das Thema Freundschaft strategisch anzugehen?
ADELHEID REIK: Es ist ein großer Irrtum, dass sich Freundschaften einfach ergeben und erhalten. Viele Menschen haben zwei bis drei Freunde. Ich empfehle fünf bis zehn Freunde, dazu ein Netz aus guten Bekannten. Konkret ermutige ich Menschen, eingeschlafene Freundschaften zu reaktivieren und nie besprochene Streits zu klären.
Was für eine Überraschung. Brauchen Frauen wirklich so viele enge Kontakte?
Viele sagen: "Ich habe zwei gute Freundinnen, das reicht mir eigentlich." Doch, dass das tragisch und in Einsamkeit enden kann, wenn man älter wird, erlebe ich oft.
Adelheid Reik: "Ablehnung alleinstehender Frauen kommt sehr oft vor"
Bitte erklären Sie das Problem.
15 Freunde sind wirklich eine gute Absicherung, damit später ein paar bleiben. Denn die Realität zeigt: Gerade Frauen verlieren in der zweiten Lebenshälfte viele elementare Kontakte: Kinder verlassen das Haus. Ehen gehen zu Bruch. Wenn eine Frau sich nach 25 Jahren von ihrem Partner trennt, verliert sie typischerweise ihren alten Freundeskreis. Sobald sie alleinstehend ist, sind die Frauen aus den anderen Partnerschaften alarmiert und laden sie nicht mehr ein, auch nicht für einen gemeinsamen Urlaub. Der Hintergrund: Nicht, dass dem eigenen Mann langweilig ist und er Frühlingsgefühle entwickelt. Diese Ablehnung alleinstehender Frauen kommt sehr oft vor.
Familie kann auffangen. Doch wer 60 Jahre alt ist, erlebt auch weniger Familientreffen.
Genau. Wenn die eigenen Eltern schwächer werden und ins Pflegeheim ziehen, dann lösen sich familiäre Strukturen auf. Oft hatte ja gerade die Oma Zeit, für eine Einladung zu kochen, oder die große Wohnung. Es geht Nähe und innere Bindung zu den Familienmitgliedern verloren, wenn man sich kaum mehr zusammen sieht.
Wie hat Corona Ihre Mission beeinflusst?
Corona ist ein Brandbeschleuniger für das massive Problem der Einsamkeit. Der Corona-Lockdown im Homeoffice war für viele Münchner fürchterlich. Doch wir Menschen fliegen zum Mond, tauchen 80.00 Meter tief - und können nichts gegen die Einsamkeit tun? Das geht nicht in meinen Kopf.
Einsamkeit bei Senioren: "Ich war entsetzt über ihr Elend"
Was ist denn Ihr Plan?
Ich bin wild entschlossen, mich in den nächsten zehn Jahren gegen Einsamkeit und Isolation im Alter einzusetzen. Einsamkeit ist ein Riesen-Stressor. Alles ist so viel anstrengender, wenn man es nicht teilen kann. Verlässliche Beziehungen zu anderen wunderbaren Menschen bilden die Basis für ein Leben in Fülle und Freude.
Wieso engagieren Sie sich so gegen den Schmerz der Einsamkeit?
Früher, als Krankenschwester, hat es mich traurig gemacht, wie viele alte Menschen in der Klinik nie Besuch bekamen. Sie haben sehnsüchtig auf die Tür geschaut. Bei einem ambulanten Pflegedienst habe ich Senioren erlebt, die kamen über Jahre nicht aus ihrer Wohnung heraus. Sie hatten nur einen Riesenberg Antidepressiva und ihren Fernseher. Ich war entsetzt über ihr Elend.
54 Prozent der Münchner Hauhalte sind Single-Haushalte. Corona hat auch bei jungen Leuten das Gefühl von Einsamkeit verstärkt.
Studentinnen und Studenten, die in eine neue Stadt ziehen, können sich sehr verloren fühlen. Man ist getrennt, leer, hilflos, ungeschützt und fühlt sich so alleine wenig wert. Das Gefühl von "Ich möchte dazugehören" sitzt im Teil unseres Gehirns, das auch Schmerz funkt. Einsamkeit tut schrecklich weh.
Warum möchten Sie speziell Frauen über 40 Jahre vernetzen?
Frauen stehen mir einfach am nächsten, aber Männer haben das Problem nicht weniger. In einem späteren Schritt könnte man mein Netzwerk-Konzept auch auf sie übertragen. Das Problem ist gesellschaftlich dringlich. In England ist der Kampf gegen die Einsamkeit politisch gewollt. Über das Ministerium für Einsamkeit gibt es auf Rezept zehn Stunden Gemeinschaft für Einsame.
"Mein Slogan lautet: Frauen brauchen Verbündete"
Sie möchten dazu beitragen, dass Frauenfreundschaften entstehen. Was ist das Wertvolle an dieser Beziehung?
Wir müssen da differenzieren. Was ich anstrebe, ist eine Solidarfreundschaft. Wer sich meinem Netzwerk anschließt, möchte Freundschaften eingehen, die ein Leben lang halten. Es geht darum: Was kann ich beitragen? Was kann ich Verlässliches anbieten, zum Beispiel, in den nächsten sechs Monaten einmal im Monat mit einer neuen Bekannten aus dem Netzwerk telefonieren oder eine Frau zu ihrem Arzt begleiten, bei einer schweren Diagnose.
Also ist Austausch das Thema?
Freundschaft war früher ein Bündnis, um sich das Leben zu sichern und zu erleichtern: Hilfst du mir, helfe ich dir. Das ist im Lauf der Zeit etwas verloren gegangen. Und mit unserer Pseudo-Individualität und Unverbindlichkeit brauchen wir für unser tägliches Leben niemanden mehr. Wir finden alles im Supermarkt. Jeder hat viele Versicherungen abgeschlossen.
Es geht Ihnen um Schutz und Unterstützung...
Mein Slogan lautet: Frauen brauchen Verbündete. Das Leben ist voller Wechselfälle. Wenn ich komplett am Rad drehe und eine Freundin sagt, Komm, ich mach dir einen Tee, erzähl mir davon. Oder eine andere: Ach du meine Güte, lass dich knuddeln, dann bin ich aufgefangen. Menschen brauchen Interesse und Wohlwollen.
Warum kann Einsamkeit krank machen?
Menschen sind Gruppenwesen. Es gibt immer jemanden, der Wache hält. Wenn niemand da ist, muss ich ständig Wache halten. Wer alleine lebt, schläft unruhiger. Und wer zu sehr in negativen Gedanken festhängt, kann krank werden.
Dagegen sorgt eine gute soziale Struktur für Glückshormone.
Den Sinn für die Gemeinschaft möchte ich wieder wecken. Wir müssen eine Lösung für die Einsamkeit im Alter ansteuern. Das ist wie mit der finanziellen Absicherung für die Rente. Damit man später Freunde hat, sollte man jetzt vorsorgen. Sich mit 70 Jahren einen Kreis aufzubauen, ist kompliziert. Und um schöne Freundschaften aufzubauen, braucht es Zeit: Man tauscht Kindheitserinnerungen, erlebt viel Banales und hat Spaß, bis man zu einer Vertrautheit kommt.
Münchner Studentinnen unterstützen die Plattform Munditia
Wo geht deine Sehnsucht hin? Das ist die Frage, die Adelheid Reik in Gruppencoachings klärt. Studentinnen der Hochschule für Design in München unterstützen sie gerade beim Design und Marketing für die Plattform Munditia. Die jungen Frauen an der Hochschule München haben sich Munditia als Projekt vorgenommen. Sie schlagen ein neues Design für die Internet-Seite vor, haben Goodies mit Logo als Give-aways entworfen. Adelheid Reik: "Den Studentinnen ist das Problem der Einsamkeit schmerzlich bekannt. Die Not der jungen Leute war durch Corona groß. Doch das Gefühl ist sehr schambehaftet. Niemand möchte einsam sein!", sagt Adelheid Reik. Der Name für ihre Freundinnen-Plattform hat übrigens etwas mit München zu tun: Munditia ist die traditionelle katholische Schutzheilige der Witwen, Waisen und Alleinstehenden. Ihr angekleidetes und geschmücktes Skelett ruht als Reliquie im Alten Peter am Viktualienmarkt.