Ein Dämpfer
Der Ernstfall kommt erst noch: Wenn Wulff und Koch loslegen. AZ-Politikredakteur Markus Jox verfolgte die Kanzlerwahl in Berlin.
Neun Abgeordnete der schwarz-gelben Bundestagsmehrheit haben es nicht über ihr Herz bringen können, Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Bundeskanzlerin zu wählen. Sie stimmten mit Nein oder haben sich enthalten. Das ist auf den ersten Blick ein bemerkenswerter Affront. Immerhin haben CDU, CSU und FDP seit langem auf diese vermeintliche Traumkoalition hingearbeitet.
Doch gerade weil Schwarze und Gelbe sich als Wunschpartner betrachten und nicht als aus der Not geborenes Zweckbündnis wie die große Koalition, ist der Dämpfer für Merkel wohl vor allem psychologisch zu erklären. Vermutlich haben es einige schlicht nicht verwunden, von Merkel, Westerwelle und Seehofer beim Verteilen der Posten und Pfründe übergangen worden zu sein. Dazu kommt: Gegenstimmen aus dem Regierungslager gab es für alle bundesdeutschen Kanzler, deren Wahl die Verfassung aus gutem Grund als geheim vorschreibt.
Die ungleich größere Gefahr als aus den im Ernstfall stets handzahmen Fraktionen droht Merkel aus den Ländern. Will sie die im Koalitionsvertrag versprochenen radikalen Reformen in der Steuer- und Gesundheitspolitik wirklich durchsetzen, ist sie im Bundesrat auf die mächtigen Provinzfürsten angewiesen. Und zwar auf jede Stimme. Die argwöhnisch um ihren Spielraum fürchtenden Ministerpräsidenten um Roland Koch und Christian Wulff werden Merkel in den nächsten Jahren das Regieren noch sehr, sehr schwer machen. Und zwar auf offener Bühne, nicht in der Anonymität einer Wahlkabine.