Interview

Extremismus-Experte: "Dann schaufeln sich die Mitte-Rechts-Parteien ihr eigenes Grab"

In Europa und den USA sind die Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Im Gespräch erläutert Professor Neumann vom Londoner King’s College die Gefahren für die Demokratie – und die Strategien von Orbán, Meloni, Le Pen und Trump.
Natalie Kettinger
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Erste Risse in der Brandmauer: Die AfD-Fraktion feiert, als Ende Januar ein Entschließungsantrag der Union zur Begrenzung der Migration mithilfe ihrer Stimmen vom Bundestag angenommen wird. Friedrich Merz’ Zustrombegrenzungsgesetz scheitert wenig später trotz der Unterstützung der Rechtspopulisten.
Erste Risse in der Brandmauer: Die AfD-Fraktion feiert, als Ende Januar ein Entschließungsantrag der Union zur Begrenzung der Migration mithilfe ihrer Stimmen vom Bundestag angenommen wird. Friedrich Merz’ Zustrombegrenzungsgesetz scheitert wenig später trotz der Unterstützung der Rechtspopulisten. © Michael Kappeler / dpa
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Italien, Ungarn, Frankreich, die Niederlande, die USA und auch Deutschland: In immer mehr Ländern sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch – oder bereits an der Macht. Welchen Plan sie verfolgen, schildern der Extremismus-Experte Peter R. Neumann und der Journalist Richard C. Schneider in ihrem neuen Buch. Die AZ hat darüber mit Peter R. Neumann gesprochen. Der gebürtige Würzburger (* 1974) ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London. Er war Sonderbeauftragter der OSZE und berät die Europäische Kommission zum Thema Extremismus.

 

AZ: Herr Neumann, Ihr Buch trägt den bedrückenden Titel „Das Sterben der Demokratie“. Wie dramatisch ist die Lage?
PETER R. NEUMANN: Dort, wo Rechtspopulisten an der Macht sind, stirbt die Demokratie bereits – aber noch ist sie nicht gänzlich tot. Und in keinem dieser Länder, auch nicht in Ungarn, wo die Transformation zur „illiberalen Demokratie“ am weitesten fortgeschritten ist, ist diese unumkehrbar. Insofern gibt es noch Hoffnung.

Extremismus-Experte Peter R. Neumann lehrt in London – und stammt aus Würzburg.
Extremismus-Experte Peter R. Neumann lehrt in London – und stammt aus Würzburg. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Sie haben gerade den Begriff der illiberalen Demokratie erwähnt, den der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán geprägt hat. Was genau ist darunter zu verstehen?
Diese Rechtspopulisten sehen sich selbst als Demokraten, manche gar als Über- oder Superdemokraten. Doch ihnen schwebt eine andere Form der Demokratie vor: eine Demokratie, bei der sie als „Volkstribune“ den vermeintlich wahren Willen des Volkes vertreten und dabei keinerlei Einschränkung unterliegen. Deshalb wollen sie die ihnen lästigen Parlamente, die lästigen Medien, die lästige Justiz schwächen – also jene Elemente, die eine liberale Demokratie kennzeichnen, weil sie die Rechte von Minderheiten und die Freiheitsrechte der Menschen schützen. Das ist die große Gefahr. Denn am Ende steht dann einer, der sehr, sehr viel Macht besitzt und sie missbrauchen kann. Entweder, um sich zu bereichern – das wäre dann eine Kleptokratie – oder um absolute Macht zu erringen. Das wäre dann eine Autokratie, die in den Faschismus führen kann.

Donald Trump: "Das sind Eigenschaften eines Autokraten"

In Europa hat Viktor Orbán diesen Weg am weitesten beschritten. US-Präsident Donald Trump scheint allerdings noch radikaler zu sein. Sind die USA bereits eine Autokratie?
Zumindest versucht Donald Trump, seine persönliche Macht immer stärker auszubauen – und es ist ganz klar, dass die klassische amerikanische Gewaltenteilung, Parlament, Justiz und Medien ihm lästig sind. Das sind Eigenschaften eines Autokraten und ich glaube, dass die Gefahr besteht, dass es irgendwann zu einer Krise kommt, die er vielleicht selber angezettelt hat, und die er ausnutzt, um noch mehr Macht an sich zu ziehen. Das ist eine echte Gefahr: Amerika steuert auf eine Verfassungskrise zu.

Bei ihm erkennt der Experte Eigenschaften eines Autokraten: US-Präsident Donald Trump.
Bei ihm erkennt der Experte Eigenschaften eines Autokraten: US-Präsident Donald Trump. © dpa

Was könnte diese Verfassungskrise auslösen?
Etwa, wenn das Verfassungsgericht ein Urteil spricht, das Trump nicht passt und das er dann einfach ignoriert. Oder eine Migrationskrise, wo er dann den Ausnahmezustand ausruft. Dann ist der Punkt gekommen, an dem sich Amerika entscheiden muss: Will es die absolute Macht des gewählten Präsidenten oder das demokratische Gewaltenteilungssystem?

Polarisieren, diskreditieren, delegitimieren: "Das macht auch die AfD"

Wann genau wird aus Rechtspopulismus Autoritarismus beziehungsweise Faschismus?
Dafür gibt es drei Kriterien. Das erste: Rechtspopulistische Parteien polarisieren sehr stark, schon bevor sie an die Macht kommen. Sie delegitimieren und diskreditieren das liberale politische System. Sie bezeichnen die „Altparteien“ als illegitim, weil sie angeblich die Interessen der „Eliten“ vertreten – nicht die des Volks – und deshalb nicht demokratisch sind. Das macht zum Beispiel auch die AfD.

Was ist das zweite Kriterium?
Dass sie sich – einmal an der Macht – daran machen, die liberalen Institutionen zu schwächen oder gar außer Kraft zu setzen. Das war das Erste, was Viktor Orbán getan hat: die Zahl der Richter am Verfassungsgericht zu verdoppeln und mit seinen Leuten zu besetzen, sodass das Verfassungsgericht keine Entscheidungen mehr treffen konnte, die ihm irgendwie widersprachen. Das dritte Kriterium ist der politische Rechtsruck. Dabei ist es noch nicht bedenklich, wenn man sagt, man will die irreguläre Migration beschränken – aber es ist bedenklich, wenn man sagt, dass Menschen muslimischen Glaubens in ihre „Heimatländer“ zurückgeschickt werden sollen, selbst wenn sie Staatsbürger sind; oder wenn die Rechte von Minderheiten eingeschränkt werden.

Er hat den Begriff der illiberalen Demokratie geprägt: der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán.
Er hat den Begriff der illiberalen Demokratie geprägt: der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. © Chen Hao/imago

Neumann: "Das ist etwas, was wir in der Geschichte in Deutschland noch nie gesehen haben"

Im Vergleich zu Frankreich, Italien oder Ungarn begann der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD hierzulande vergleichsweise spät. Ist das allein mit der deutschen Vergangenheit zu begründen?
Ein Grund dafür ist sicher, dass die Deutschen beim Thema Rechtspopulismus oder bei rechtsradikalen Parteien immer vorsichtig waren. Die Republikaner hatten in den 1990ern zwar einige Erfolge, sind dann aber relativ schnell wieder verschwunden – und zwar genau in dem Moment, als sie noch weiter nach rechts abgedriftet sind und es einfach wurde, sie als Faschisten oder Nazis darzustellen. Das war in Deutschland eigentlich immer so.

Heute erzielt die AfD die besten Ergebnisse, wo sie am extremsten ist.

Bis die AfD auf der Bildfläche erschien.
Das wirklich Verrückte an der AfD ist, dass sie diese Regel scheinbar außer Kraft gesetzt hat. Sie hat sich in den letzten zehn, zwölf Jahren immer weiter radikalisiert. Doch mit jedem Schritt hin zu mehr Radikalität ist sie nicht schwächer, sondern stärker geworden. Heute erzielt sie die besten Ergebnisse, wo sie am extremsten ist. Und das ist etwas, was wir in der Geschichte in Deutschland noch nie gesehen haben.

Was Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker gemeinsam haben

Welche Rolle spielen Verschwörungstheorien in diesem Kontext?
Sie sind essenziell. Das Prinzip von Verschwörungstheorien ist ja, dass behauptet wird, es sei kein Zufall, wenn etwas Schlechtes in der Gesellschaft passiert, sondern das Werk einer geheimen Elite, die sich gegen das Volk verschworen hat. Genau das ist auch das Narrativ der Rechtspopulisten: Daran, dass Dinge in Deutschland oder anderen Ländern nicht funktionieren, sind die „links-grün-versifften Eliten“ schuld, die verhindern, dass sich der wahre Wille des Volkes durchsetzt. Besonders deutlich wird der Zusammenhang zwischen diesem Schlüsselnarrativ der Rechtspopulisten und Verschwörungstheorien immer dann, wenn der Staat in einer bestimmten Situation – etwa einer Pandemie – unpopuläre Maßnahmen ergreift. Oder auch beim Thema Migration.

Inwiefern?
Es ist unbestritten, dass wir heute mehr Zuwanderung haben als früher. Aber die Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker behaupten: Das ist kein Zufall, sondern etwas, das von Leuten wie der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel oder dem amerikanischen Philanthropen George Soros systematisch vorangetrieben wird, um die eigene Nation zu zerstören und die eigene Bevölkerung gegen eine fremde auszutauschen.

Marine Le Pen rückt ihre Partie mehr in die Mitte.
Marine Le Pen rückt ihre Partie mehr in die Mitte. © Alain Jocard/AFP/dpa

Wenn sich Rechtspopulisten plötzlich mäßigen 

Wie Sie bereits gesagt haben, ist die AfD erfolgreich, obwohl sie sich zunehmend radikalisiert. In Frankreich hat Marine Le Pen ihren RN hingegen zur Mäßigung verdonnert, um auch Stimmen aus der politischen Mitte zu erhalten.
Bei Frau Le Pen muss man vorsichtig sein, weil man weder bei ihr noch bei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wirklich weiß, wie ernst gemeint ihre gemäßigten Positionen sind. Aber es ist richtig, dass Marine Le Pen ihre Partei bei entscheidenden Themen etwas mehr in die Mitte gerückt hat. Anfangs war das beim Antisemitismus der Fall. Da hat sie sich klar von ihrem Vater distanziert, der die Nazis verteidigt und den Holocaust relativiert hat. Auch beim Thema EU ist sie zuletzt viel gemäßigter aufgetreten. Anstatt aus der Union auszutreten, will sie nun ein „Europa der Nationen“ und das ist eine typisch moderate rechtspopulistische Position. Dieser Wandel geschieht immer dann, wenn solche Parteien der Macht nahekommen und von den Wählern nicht mehr nur als Protestpartei gesehen werden, sondern als mögliche Präsidenten oder Premierminister, denen die Menschen vertrauen möchten. Ich glaube, das steht der AfD noch bevor.

Dass sich die deutschen Rechtspopulisten zügeln, wenn sie noch stärker werden?
Zumindest nach außen hin. Es gibt in der AfD bereits die Debatte, ob man die Positionen zum Thema Migration nicht entschärfen sollte, weil man sonst niemals stärkste Kraft wird. Aber Leuten wie dem Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah geht es nicht darum, plötzlich zu einer zweiten CDU zu werden, sondern darum, die Menschen nicht abzuschrecken und so zusätzlich fünf, sechs oder sieben Prozent der Wähler zu gewinnen.

Der umstrittene AfD-Politiker Maximilian Krah.
Der umstrittene AfD-Politiker Maximilian Krah. © Britta Pedersen/dpa

Warum der Extremismus-Experte beim Thema AfD-Verbot skeptisch ist

Was halten Sie von einem AfD-Verbot, über das immer wieder diskutiert wird?
Ich bin da skeptisch. Wir wissen von Parteiverbotsverfahren in der Vergangenheit, dass es im Durchschnitt vier bis fünf Jahre dauert, bis das Bundesverfassungsgericht final entscheidet. Das wäre also garantiert nach der Bundestagswahl 2029. Und selbst dann ist es nicht sicher, dass das Bundesverfassungsgericht tatsächlich für ein Verbot entscheidet. Man denke nur an die NPD. Und während das Verfahren läuft, wird die AfD es brutal ausschlachten und zur letzten freien Wahl der AfD aufrufen, als letzte Möglichkeit, den „Willen des Volkes“ tatsächlich zum Ausdruck zu bringen.

Da müssen sich die liberalen Demokraten in den demokratischen Parteien am Riemen reißen.

Was also ist zu tun, um die liberale Demokratie zu schützen?
Die Rechtspopulisten haben einen Plan, deshalb brauchen die liberalen Demokraten auch einen. Dabei ist die Brandmauer sehr wichtig. Ein Blick in andere europäische Länder zeigt: Nirgendwo, wo Mitte-Rechts-Parteien mit den extremen Rechten kooperiert oder sogar koaliert haben, haben die Mitte-Rechts-Parteien davon profitiert. Im Gegenteil: Viele von ihnen sind verschwunden. Silvio Berlusconis Partei in Italien hat jetzt noch zwei oder drei Prozent Unterstützung. Die Republikaner in Frankreich liegen bei neun oder zehn Prozent. Wenn Mitte-Rechts-Parteien mit Rechtspopulisten zusammenarbeiten, schaufeln sie sich ihr eigenes Grab.

Wie lässt sich das Sterben der Demokratie aufhalten? 

Trotzdem wollte der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz von der CDU sein Zustrombegrenzungsgesetz mithilfe der AfD durch den Bundestag bringen.
Nach dem Attentat in Aschaffenburg gab es ein großes Momentum hin zum Handeln. Da hat man die Zustimmung der AfD eben in Kauf genommen. Das hat sich bei der Wahl für die CDU aber nicht ausgezahlt und das sehen auch viele Leute in der Union mittlerweile so. Zumal das alles die Linken richtig mobilisiert und ihnen ein gutes Ergebnis eingebracht hat.

Was fordern Sie noch, um das Sterben der Demokratie aufzuhalten?
Demokratische Politik muss handlungsfähig sein. Die Leute haben das Gefühl, dass nichts vorangeht – sei es bei der Migration, der maroden Infrastruktur oder der Bahn, die nicht funktioniert. Da müssen sich die liberalen Demokraten in den demokratischen Parteien am Riemen reißen und dafür sorgen, dass sich diese Dinge ändern. Außerdem – und das ist vielleicht der wichtigste Punkt – müssen liberale Demokraten die AfD und andere populistische Parteien stellen. Sie müssen raus aus der eigenen Blase und wieder Debatten mit Leuten führen, die anderer Meinung sind. Sie müssen dorthin, wo die Menschen sind – und das sind auch die Sozialen Medien. Doch die demokratischen Parteien haben noch immer kein Rezept gefunden, wie man dort seine Botschaft rüberbringen kann.

"Nicht zu verurteilen": Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, sitzt in einem Dönerlokal mit geladenen Gästen an einem Tisch und isst einen Döner.
"Nicht zu verurteilen": Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, sitzt in einem Dönerlokal mit geladenen Gästen an einem Tisch und isst einen Döner. © Peter Kneffel / dpa

Soziale Medien: "Da müssen die Parteien der Mitte noch sehr, sehr viel Gehirnschmalz investieren"

Da fällt mir allerdings sofort unser foodbloggender Ministerpräsident Markus Söder ein.
Ich bewerte seine Beiträge durchaus als nicht zu verurteilenden Versuch, dort präsent zu sein, wo 40 Prozent der jungen Menschen ihre Informationen beziehen. Ob man damit politische Inhalte rüberbringt, ist eine andere Frage. Ein weiteres Beispiel: Die Linke ist unter anderem deshalb so erfolgreich, weil es bei denen Leute gibt, die Tiktok sehr gut beherrschen. Ich bin sicher kein Unterstützer der Linken und ihrer Politik, aber von der Art und Weise, wie sie Politik präsentieren, sind sie ein Vorbild: authentisch, mit Leuten, die eine normale Sprache sprechen und die Dinge so erklären können, dass man sie auch versteht, wenn man sich nicht 24 Stunden am Tag mit Politik beschäftigt. Um da mitzumischen, müssen die Parteien der Mitte noch sehr, sehr viel Gehirnschmalz investieren.

Peter R. Neumann, Richard C. Schneider: „Das Sterben der Demokratie. Der Plan der Rechtspopulisten – in Europa und den USA“, Rowohlt Berlin, 24 Euro
Peter R. Neumann, Richard C. Schneider: „Das Sterben der Demokratie. Der Plan der Rechtspopulisten – in Europa und den USA“, Rowohlt Berlin, 24 Euro © Natalie Kettinger
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