Gündogan neuer Kapitän, Kimmich neuer Rechtsverteidiger: Was erlauben Hansi Flick?
München - Den Kernsatz seines neuen Mantras hatte Bundestrainer Hansi Flick bereits bei der Bekanntgabe des Kaders für die beiden Länderspiele im September verraten. Es gehe bei der Auswahl der Auserwählten des Landes darum, "wer der Mannschaft Energie gibt".
Außerdem, so der 58-Jährige, dessen persönlicher Energiehaushalt seit Wochen und Monaten doch arg runtergedimmt wirkt, müsse "jeder Einzelne sein Ego hintenanstellen."
Hansi Flick mit drastischer Entscheidung: Ilkay Gündogan übernimmt das Kapitänsamt
Wer wie Flick am Rande des Jobverlustes wankt, der macht große Schritte, die Risiken bergen – aber im Idealfall wegführen vom Abgrund. Händchenhalten ist nicht angesagt, unangenehme Wahrheiten fallen leichter.
Und so überraschte der oberste Fußballtrainer des DFB am Freitagmittag in der Wolfsburger Autostadt mit einem bedeutsamen Fahrerwechsel: Rein ins Cockpit der Nationalelf mit Ilkay Gündogan. Deutschlands Fußballer des Jahres ist der neue Kapitän, ab sofort und bis auf Weiteres (die zeitlich und qualitativ unvorhersehbare Rückkehr von Alt-Kapitän Manuel Neuer).

Auf den Beifahrersitz muss Joshua Kimmich rutschen, bis zuletzt in der Verantwortung. Thomas Müller, der alte Haudegen und neben Neuer einzig verbliebene Stammelf-Weltmeister von 2014, wurde nach der WM in Katar erstmals wieder nominiert. Über den Offensiv-Allrounder mit den meisten Länderspielen (121) sagte Flick: "Thomas hat so eine Erfahrung, sich bei Bayern wieder rangekämpft und es gut gemacht. Er ist eine Bereicherung für jede Mannschaft, weil er sein Ego hintenanstellt und das große Ganze sieht."
Kein Kapitän und kein Sechser mehr: Was hat Joshua Kimmich falsch gemacht?
Zugleich die Stellenbeschreibung für den idealen Kapitän. Hat Kimmich, 79 Länderspiele, also etwas falsch gemacht oder liegt es daran, dass der mal wieder auf die rechte Abwehrseite versetzte Mittelfeldspieler ein wenig fernab vom Zentrum nicht mehr so viel Einfluss auf Mitspieler wie Schiedsrichter nehmen könne?
Oder hat Gündogan, als Kapitän Triple-Champion mit Manchester City, so viel richtig gemacht? In seinen bisher 67 DFB-Einsätzen (also weniger als Kimmich womit Flicks Entscheidung eine ungeschriebene Nationalelf-Regelung negiert) nicht wirklich.

Der Bundestrainer unter Druck: Hansi Flick sucht den Befreiungsschlag
Flick will mit diesem großen Schritt eine Luftveränderung im stickigen Klima der Kabine nach all den Unruhen wie rund um die jüngst veröffentlichte WM-Doku und die Pleiten-Serie seit dem Desaster von Katar. Fünf Siege in den bis dato 17 Länderspielen der Jahre 2022 und 2023 haben den Druck auf Flick erhöht. Die Tests gegen Japan am Samstag (20.45 Uhr, RTL) und kommenden Dienstag gegen Vize-Weltmeister Frankreich geraten zum Ernstfall und setzen den Ton für die Stimmung im Lande vor der Heim-EM im kommenden Sommer.
Bei zwei weiteren Pleiten müsste der Verband seinen Bundestrainer wohl aufgrund der explosiven Gesamtgemengelage vor die Tür setzen und sich entscheiden: Zwischen dem vom Schock über die Entlassung bei Bayern erholten, jugendlich frischen Julian Nagelsmann (36) sowie der gewohnt kontroversen wie kritischen Denkfabrik namens Matthias Sammer (56), noch als externer Berater für Borussia Dortmund tätig.
Joshua Kimmich kann laut Hansi Flick "Qualitäten auf verschiedenen Positionen einbringen"
Vielleicht kriegt Flick aber noch die Kurve nach dem Vorrunden-Aus bei der WM und der verpatzten zweiten Chance, der Zeit zwischen Katar und dem Kater von heute – in 2023 gelang in fünf Testspielen ein mickriger Erfolg, das 2:0 gegen Peru im März. Gündogan (32), seit Sommer neu beim FC Barcelona, und Kimmich (28) sollen ein "Führungsduo" bilden – beide hätten sich dazu bekannt.
"Das gibt uns nochmal Energie, die wir auch brauchen", erklärte Flick. Da ist sie wieder, die Energie. Ob die nun bei Kimmich, dem sein Vereinstrainer Thomas Tuchel absprach, ein defensiv denkender Sechser zu sein, schwindet in der Rolle als Rechtsverteidiger in der Not? Kimmich habe, so Flick, "Qualitäten, die er auf verschiedenen Positionen einbringen kann. Er ist ein absoluter Teamplayer und stellt sich in den Dienst der Mannschaft."
Gündogan, Kimmich, Goretzka: Alles noch "nichts Endgültiges", betont Flick
Klingt nicht nach Boss-Beschreibung. Auch beim DFB schwindet also Kimmichs Hausmacht, der noch dazu auf seinen Compagnon Leon Goretzka, mit dem er unter Tuchel das Mittelfeld-Zentrum bildet, verzichten muss. Auf Goretzka hat Flick verzichtet.
"Nichts Endgültiges", so der Bundestrainer, aber jetzt, da die Experimente des Frühjahrs und der Juni-Länderspiele vorbei sein sollen, ein deutlicher Hinweis auf eine neue Hackordnung. Was erlauben Hansi? Flick geht also all-in wie man heute sagt, sprich volles Risiko. Weil der Gündogan-Schachzug seine letzte Patrone ist?