Erstes Turnier für Bundestrainer Flick: Hansis Reise ins Ungewisse
Leipzig - Das muss er also sein, dieser WM-Zug, von dem man so gerne spricht. Natürlich führen keine Schienen bis ins Emirat Katar, in dem die Fortbewegung per Bahn eine weniger gepflegte Tradition ist. Umso symbolhafter und sinnvoller die Wahl des DFB, diesmal von Frankfurt nach Leipzig per Zug zu reisen.
Rund 300 Kilometer – macht drei Stunden für die Nationalelf-Delegation. Im September 2020 war man die rund 180 Kilometer Luftlinie von Stuttgart nach Basel (kürzeste Straßen-Route 263 Kilometer) in Chartermaschinen geflogen, inklusive heftiger Turbulenzen: ein Shitstorm. In Sachen Nachhaltigkeit hat man also seine Lektion gelernt beim DFB. "Ich bin schon sehr oft Zug gefahren, das ist nichts Neues für mich", meinte Bundestrainer Hansi Flick, der auf diese Weise meist in die Bundesliga-Stadien reist, um seine Nationalelf-Kandidaten zu begutachten.
Im November muss Flick seinen WM-Kader nominieren
Auf den WM-Zug musste auch keiner der Nationalspieler aufspringen am Frankfurter Hauptbahnhof. Zumindest für die Anreise zum Nations-League-Spiel gegen Ungarn in Leipzig (20.45 Uhr, ZDF) waren Sitzplatzkarten in der Ersten Klasse reserviert.
Ohne die Corona-infizierten Manuel Neuer und Leon Goretzka sowie Julian Brandt (grippaler Infekt) und den Schon-Wieder-Ausfall Marco Reus (Außenbandverletzung am Sprunggelenk) ging es nach Sachsen zur ersten von zwei Generalproben für die WM in Katar. Nach dem Ungarn-Heimspiel und der Aufgabe am Montag im Londoner Wembleystadion gegen Gastgeber England muss Flick im November seinen Kader nominieren. Ungewöhnliche (Saison-)Zeiten, ungewöhnliche Abläufe.
Volle Fahrt voraus also Richtung WM. Ab dem Gruppenauftakt-Spiel in Doha gegen Japan (23.11.) müsse die Mannschaft "in den Turniermodus reingehen und von Anfang an da sein", so die Vorgabe des 57-Jährigen. Stichwort Tunnelblick. Daher sind "auch die Meetings enorm wichtig, dass die Spieler alle eingebunden werden und Feedback geben können", erklärte Flick vor der Abfahrt.
Wüsten-WM stellt alle Nationen vor neue Herausforderungen
Es ist eine Reise ins Ungewisse. Nein, nicht wegen der Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn, was – so sagt man – hin und wieder vorkommen soll. Der Trip ins Wüstenemirat stellt alle Nationen vor neue Herausforderungen. Doch Flick ist ein Trainer, der schon während der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 gezeigt hat, dass er ein Meister im Entwickeln von Strategien für Plan B und Plan C ist.
Im August 2020 gewannen die Bayern unter Cheftrainer Flick das für alle Teams im neuen Format ausgetragene Final-8-Turnier der Champions League in Lissabon.
Flick ist Pragmatiker. Einer der agiert, schnell reagiert, aber nicht lamentiert. Zu den zwei Corona-Ausfällen meinte Flick cool: "Solche Fälle sind immer ärgerlich, aber es ist auch eine normale Situation geworden. Bei einer normalen Grippe fällt man auch aus, Covid ist natürlich noch etwas aggressiver."
Beim WM-Erfolg 2014 war Flick noch Co-Pilot
Ob die Spieler im November ihr Verhalten ändern müssen? Gibt es einen Anti-Corona-Knigge? "Es ist nicht ganz so einfach, wie man sich verhalten soll. Wir vom Trainerteam sind auch viel unterwegs", so Flick: "Natürlich muss man vor der WM seine Kontakte reduzieren und überlegen: Gehe ich jetzt dahin oder nicht? Es soll aber auch weitergehen im Leben. Eine gewisse Normalität mit gesundem Menschenverstand ist, glaube ich, der richtige Weg."
Die aktuell kriselnden Bayern-Profis um Thomas Müller & Co. wieder voll in Fahrt zu bringen, damit sein selbstbewusster Block das Gerüst der Nationalelf bilden kann, erscheint machbar für Flick, dessen menschliche und nahbare Art die Spieler schätzen. "Die Spieler haben eine sehr hohe Eigenmotivation, aus dieser Situation wieder herauszukommen", nahm er sie in die Pflicht: "Sie wollen ihre Leistungen abrufen für Deutschland, aber sie werden auch motiviert sein, wieder mit den Bayern in die richtige Spur zurückzukommen. Die Qualität dazu haben sie."
Hübsch verpackt hinten raus mit einem väterlichen Lob. Ab Freitag wird sich zeigen, ob Flicks Weichenstellungen die richtigen sind für sein erstes Turnier als Chef. Beim WM-Triumph 2014 in Brasilien war er unter Joachim Löw der Co-Pilot. Aber deren Job ist es ja meist, die Maschine zu fliegen...