Warten auf den Neuen
Nach dem desaströsen 1:3 in Hannover will Hoeneß „handeln”. Doch van Gaal bleibt im Amt - vorerst.
München - Die Säbener Straße ist eine ruhige Gegend. Einfamilienhäuser, kleine Vorgärten, Parkplatz vor der Haustür. Es gibt jedoch auch Tage, an denen sich in dieser beschaulichen Idylle Staus bilden und es kaum ein Durchkommen gibt. Es sind dies die Tage, an denen mal wieder eine Trainerentlassung beim FC Bayern ansteht. Als die beim Auswärtskick in Hannover mit 1:3 unterlegenen Bayern-Profis ihre 18-minütige Laufeinheit im Anwesen Säbener Straße 53 absolviert hatten und Richtung Dusche entschwanden, bildet sich gegen halb eins vor der Ausfahrt der Tiefgarage eine Traube von gut 300 Menschen: Journalisten, Fans, Touristen, Familien mit Kinderwagen. Warten auf van Gaal. Ist es seine letzte Dienstfahrt als Bayern-Trainer?
Nach der dritten Niederlage innerhalb von acht Tagen und mittlerweile sieben Punkten Rückstand auf Platz zwei hat sich die Situation für Louis van Gaal zugespitzt, „wie in meiner zweiten Amtsperiode beim FC Barcelona” hatte der Noch-Bayern-Coach in Hannover gesagt. Der Holländer ist zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, was die Stunde geschlagen hat: „Ich habe immer Rückendeckung von meinem Vorstand bekommen, und sie entscheiden, ob sie diese Rückendeckung noch geben oder nicht, ich nicht.”
Doch die Herren vom Vorstand lassen sich am Tag nach dem dritten Debakel in Folge nicht sehen. Gerüchten zufolge sollen sie in Hoeneß’ Stadtwohnung beisammen sitzen, angeblich in der Besetzung Hoeneß, Rummenigge und Finanz-Chef Karl Hopfner, aber ohne Sportdirektor Christian Nerlinger. Bayern-Pressechef Markus Hörwick sagte jedenfalls mittags um zwölf, es sei entgegen anders lautenden Berichten für Sonntag keine Pressekonferenz geplant – und verabschiedet sich.
Die Menge am Trainingsgelände harrt dennoch aus. Es MUSS doch noch irgendwas passieren, so die einhellige Annahme.
Wer Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge kurz nach dem Abpfiff in Hannover vernommen hatte, der konnte auch davon ausgehen, dass da etwas passiert. „Es waren katastrophale acht Tage", sprach er, „ich bin angeschlagen. Da mache ich gar kein Hehl draus. Was wir hier heute gespielt haben, war der absolute Tiefpunkt! Ich mache mir große Sorgen." Vereinspräsident Uli Hoeneß hatte mit wenigen Worten Ähnliches zum Ausdruck gebracht: „Wir müssen handeln, nicht reden.” Das klang nicht nach einem fröhlichen Weiter-so für van Gaal.
Doch am Sonntagmorgen geht alles zunächst seinen gewohnten Gang. Van Gaal erscheint um 9.38 Uhr zum Dienst an der Säbener Straße, hält später die Nach-Besprechung mit der Mannschaft ab, danach lockeres Auslaufen auf dem Trainingsgelände – ohne van Gaal, was nicht ungewöhnlich ist. Als die Laufgruppe vor den Fans am Zaun vorbei joggt, brandet Beifall auf – warum, weiß keiner so genau.
Um 13.25 Uhr bahnt sich Mannschaftskapitän Philipp Lahm in seiner Sponsorenkarosse als Erster seinen Weg durch die wartende Menge vor der Tiefgarage. In Hannover hatte er mit ernster Miene in die Kameras gesprochen: „Der ganze Verein ist in einer kritischen Situation, da das Mindestziel in Gefahr ist. Da ist ein enormer Druck und viel Verunsicherung. Der FC Bayern gehört eigentlich in die Champions League. Was nun mit dem Trainer geschieht? Das kann kein Spieler beantworten, das ist eine Frage für den Vorstand." Doch der Vorstand beantwortet sie bislang nicht. Dafür haben mittlerweile auch Bastian Schweinsteiger und Jörg Butt den Weg aus der Tiefgarage gefunden.
Die versammelten Journalisten spielen derweil schon mal die Nachfolge-Kandidaten durch. Man ist sich einig, dass van Gaal nicht mehr zu halten ist. „Es dauert halt, weil sie noch keinen Anderen haben”, meint ein TV-Mann, der schon sehr viele Bayern-Trainer interviewt hat. Wie hatte van Gaal vor dem Hannover-Spiel noch geunkt: „Und wer soll nach van Gaal kommen? Das ist auch eine schwierige Frage.” Da hat er wohl recht.
Neben den üblichen Verdächtigen (Sammer, Rangnick, Hitzfeld, Heynckes) werden auch interne Übergangs-Lösungen erörtert: Jonker? Gerland? Breitner? Scholl? Der ist sogar auf dem Trainingsgelände, jedoch nur, um seinem Sohn beim Kicken zuzuschauen.
Um halb drei: immer noch keine Spur von van Gaal. Die Menge vor der Tiefgarage dünnt allmählich aus. Die Säbener Straße ist wieder staufrei. Um 14.59 Uhr dann plötzlich Aufregung: „Er kommt”, ruft einer. Doch van Gaal kommt nicht. Ratlosigkeit. Bis einer flucht: „Da hinten!” – und zum Nebenausgang eilt. Ein beiger Wagen wie ihn der Bayern-Trainer fährt, ist nur noch von hinten zu sehen. Allgemeines Fluchen. Bis er wieder auftaucht, in die Tiefgarage ein- und zwei Minuten später wieder ausfährt – mit van Gaal am Steuer. Irgendwas hat er vergessen. Er steuert Richtung Säbener Straße, schaut brav, ob Radler queren, blinkt links, biegt ab und ist weg. Das Ende eines Arbeitstag. Ob es sein letzter war? Das Warten geht weiter. Auf den Neuen.