Louis van Gallig: Seine Wut-Rede in der Kabine
MÖNCHENGLADBACH - Das Ärgerbiest: Nach dem 3:3 in Gladbach tobt Bayern-Coach van Gaal in der Kabine.„Es war laut. Ich denke, das können Sie verstehen.“ Wie Spieler und Bosse das fanden, lesen Sie hier.
Ganz alleine saß er da. Ruhig, ohne Worte. Und doch so geladen, dass seine Hintermänner lieber Sicherheitsabstand hielten. Als nach dem Schlusspfiff dieses vermaledeite 3:3 endgültig feststand, umgab Louis van Gaal ein unsichtbares Schild mit der Aufschrift: Vorsicht, Explosionsgefahr! Es dauerte Minuten, bis er sich erhob und losmarschierte, Richtung Kabine. Da explodierte er: Louis, das Ärgerbiest.
Wer ein Spiel so überlegen führt und dennoch die Punkte herschenkt, die er so dringend braucht, der ärgert sich, ganz klar. Doch als Louis van Gaal in der Bayern-Kabine laut wurde, entlud sich nicht nur der Ärger über zwei verlorene Punkte im Kampf um die wieder ein Stück entrückte Tabellenspitze. Es kam so einiges zusammen. Das Zerwürfnis mit Uli Hoeneß nagt an van Gaal. Der Präsident hat ihn tief im Innern getroffen. Diese Verletzung tropft aus jedem Satz, den er zu dem Thema sagen muss. Van Gaal weiß: Das wird auch so bleiben.
Dazu kam an diesem lauen November-Samstag der Frust über sein Team: „Ich bin sehr enttäuscht und eigentlich auch ein bisschen böse auf meine Spieler." Dabei hatte er sie in der Halbzeit noch in den Himmel gelobt: „Ich gebe ihnen ein Kompliment und sage: So gut habe ich den FC Bayern in dieser Saison noch nicht gesehen."
Stimmt: Nach dem eher zufälligen 0:1 durch Patrick Herrmanns verzinkte Flanke (5. Minute) beherrschten die Bayern die bedauernswerten Hausherren in einer Art, die an den FC Bayern der vergangenen Rückrunde erinnerte. Perfekte, fehlerlose Ballzirkulation, überraschende Pässe in die Tiefe, feinster Kombinationsfußball, eine kühl genutzte Standardsituation (Kroos-Freistoß zum Gomez-Kopfball beim 1:1), ein wunderbares Tor mit der Hacke (Schweinsteiger nach Pranjic-Pass), ein Lattenkracher (Schweinsteiger-Kopfball), ein Lattenstreichler (Kroos-Heber), eine leichtfertig vergebene Großchance (Gomez allein vorm Tor) sowie ein allzu lässig vergeigter Elfmeter (wieder Schweinsteiger) nach klasse Steilpass von Timoschtschuk auf Altintop. Die Überlegenheit in Zahlen: 44:12 Flanken, 74:26 Prozent Ballbesitz, 86:59 Prozent gelungene Pässe. Aber: NUR 2:1 zur Halbzeit. Gladbachs Tobias Levels erlebte die erste Halbzeit so: „Da haben wir uns in die Hosen geschissen.“
Die fehlenden Treffer zum 3:1, 4:1 oder 5:1 ärgerten van Gaal. Er blieb aber ruhig in der Halbzeit (siehe Bericht unten), verfolgte staunend den partiellen Black-out seines Teams und zeigte sich dann fast gerührt von der Moral der Truppe: „Es hat mir fast Tränen in die Augen getrieben, wie wir dann wieder zurück gekommen sind." Und dann doch der finale Frust, als Toni Kroos in der Nachspielzeit den Siegtreffer verpasste – höhere Fügung, glaubt van Gaal: „Vielleicht hat unser lieber Gott gedacht, dass diese Mannschaft noch was lernen muss."
In der Analyse war man sich einig: „Das fühlt sich an wie eine Niederlage“, klagte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge. „Dieses Spiel kann man nicht schönreden“, befand Sportdirektor Christian Nerlinger. Mario Gomez formulierte griffig: „Die Moral ist da, der Punkt ist mehr als verdient, aber letztendlich ist es zum Kotzen.“ Und zum Rumbrüllen. „Der Trainer ist zu Recht laut geworden“, sagte Philipp Lahm, „wir sind in einer Lage, in der man eigentlich keine Punkte liegen lassen darf.“
Van Gaal sagte zu seinem Dezibel-Ausbruch nur: „Nach dem Spiel war es laut. Aber ich denke, Sie können das verstehen.“ Können wir. Der nachvollziehbarste Ausbruch seit Pompeji. Und überhaupt: So schlimm war’s nun auch wieder nicht, meinte Nerlinger: „Er ist öfter so laut.“
Thomas Becker