Die neue Normalität beim FC Bayern
München/Berlin - Von wegen Sicherheitsabstand wie auf der Tribüne in Berlin-Köpenick. An der Säbener Straße absolvierten am Montag all jene Spieler, die beim 2:0 gegen Union nicht in der Anfangsformation gestanden hatten, eine schweißtreibende Trainingseinheit. Auch Javi Martínez, der die Reise in die Hauptstadt wegen muskulärer Probleme nicht hatte antreten können, war wieder voll integriert.
Der Baske wird große Ohren gemacht haben, was ihm die Mitspieler aus der Startelf vom Sonntag zu erzählen hatten. Denn wie hat schon der deutsche Dichter und Lyriker Matthias Claudius im 18. Jahrhundert gesagt? "Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen." Der Trip nach Berlin war wohl die in der Vereinshistorie ungewöhnlichste Reise des FC Bayern zu einem Auswärtsspiel. Alles anders wegen Corona.
FC Bayern: Spieler müssen Zuhause bleiben
Und das nicht nur wegen der Geisterkulisse, bzw. der 213 Personen, die sich laut des Hygiene- und Sicherheits-Konzeptes der DFL inklusive der Mannschaften und Betreuerstäbe im Stadion (Tribüne und Innenraum) aufhalten durften. Außerhalb der Arena, auf dem Außengelände, waren es 109 – stimmt nicht ganz. Zwei findige Fans waren in einen der rund zwölf Meter hohen Bäume am Stadion geklettert, um einen Blick aufs Spiel zu erhaschen. Schnell hieß es von Seiten der Polizei: Runter, bitte. Game over.
Nach Berlin reisten die Bayern, um den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einzuhalten, mit zwei Propeller-Maschinen (je 32 Sitzplätze) der Charter-Fluggesellschaft "Private Wings". Abflug war vom Militärflugplatz Ingolstadt/Manching, am Sonntagabend landete man wieder in München-Erding. Um nach einer Woche Hotel-Quarantäne in eine unbeschwerte Woche vor dem Heimspiel am Samstag gegen Eintracht Frankfurt zu gehen? Mitnichten!

Zwar durften die Stars zurück zu ihren Familien, mussten aber in häusliche Quarantäne. "Im privaten Bereich sind wir sehr eingeschränkt", sagte Cheftrainer Hansi Flick, der in Berlin seinen roten Mund-Nasen-Schutz immer griffbereit hatte und erklärte: "Wir dürfen Dinge, die andere Leute machen dürfen, wenn beispielsweise die Biergärten öffnen, nicht machen." Das Leben gehe eben "nicht normal weiter", so Flick. Bayerns neue Normalität. Doch das ist der Preis, den die Spieler für den Re-Start zahlen müssen. Alle anderen Profis beneiden die Bundesliga darum.
Thomas Müller: FC Bayern profitiert von Geisterspielen
Thomas Müller, der den Kick in Berlin mit "Alte Herren, 19 Uhr, Flutlicht-Atmosphäre" umschrieb, meinte zu den Corona-Auflagen: "Wir versuchen das bestmöglich zu vermeiden, die Geschichten, die wir nicht machen sollen. Ich denke, wir sind jetzt strenger unter Beobachtung als Rest-Deutschland." So ist es.

Das nächste Auswärtsspiel wird ein ganz besonderes sein. Am Dienstag nächster Woche geht es nach Dortmund in den Signal-Iduna-Park. Das größte Stadion Deutschlands mit einer Kapazität von über 81.000 Fans und der berühmten "gelben Wand", der Südtribüne, wird zur Kathedrale des Schweigens.
Ein Pluspunkt für die Gäste beim möglicherweise vorentscheidenden Showdown, beim "Clásico silencio"? Analog zum Sonntag – als die Unioner ohne ihre Fans im ansonsten kleinen, aber stimmungsvollen Hexenkessel auskommen mussten? "Vielleicht war das für uns auch ein kleiner Vorteil, weil natürlich gerade an der Alten Försterei die Stimmung schon das Zünglein an der Waage sein kann", bemerkte Müller, der auf das Titelduell vorausblickte: "Dass das Spiel mit entscheidend sein wird, ist klar."
Vier Punkte hat Bayern Vorsprung auf den BVB. Des Müllers Rechnung: "Das Ziel ist ganz klar. Wir hatten neun Spiele, acht müssen wir gewinnen." An einem ist der Haken dran.