Der Letzte seiner Art: Bayern-Haudegen Martínez ist gegen Atlético Flicks Anker im Mittelfeld
München/Madrid - Blauer Himmel, Sonne, zweistellige Temperaturen. Spätsommerwetter in Madrid. Und strahlende Laune bei Javi Martínez. "Ich fühle mich gut", sprach der Heimkehrer trotz der Hüftblessur aus dem Stuttgart-Spiel, "ich hoffe, dass ich am Dienstagabend fit und bei 100 Prozent bin." Für die Champions-League-Partie der Bayern bei Atlético Madrid (21 Uhr, Sky live). Routinier Martínez ist als Mittelfeld-Anker in einer besseren B-Elf vorgesehen.
Viel hat er nicht von der Reise in sein Heimatland, denn die verkommt in Pandemie-Zeiten mit Kontaktverboten zu einem sterilen Besuch. Dennoch freut sich der Baske auf den Hauptstadt-Trip: "Nach Spanien zu kommen, ist immer etwas Besonderes. Im neuen Stadion habe ich noch nie gegen Atlético gespielt." Gegen das Haudegen-Team von Diego Simeone, dem argentinischen Höllenhund der Seitenlinie. "Rabauken-Truppe" schimpfte sie Thomas Müller im Hinspiel (4:0) - bestens zu vernehmen selbst im Fernsehen. "Sie sind extra motiviert, werden 200 Prozent geben", sagt Martínez.
Keine weltbewegende, aber eine schöne Bühne für Martinez' womöglich letztes "Hola" im Bayern-Trikot auf spanischem Boden. Sein Vertrag läuft Ende Juni 2021 aus, eine Verlängerung scheint ausgeschlossen. Der 32-Jährige wird bei Atlético als alleiniger Sechser ohne Mittelfeld-Partner Leon Goretzka (zur Schonung daheim geblieben) auflaufen. Der baskisch-bayerische Haudegen Martínez (nein, ein Rabauke ist er nicht) blüht im Herbst seiner Karriere noch einmal auf.
Martínez kam im Sommer 2012 zu Bayern
Doch die Jahre des Profifußballs haben seinen Maschinenraum rosten lassen. Alle drei Tage läuft der Motor nicht mehr auf Hochtouren, für kurze Beschleunigungen reicht es noch. Mehrmals betonte Flick, der anders als Vorgänger Niko Kovac relativ konstant auf seinen Wellenbrecher setzt, er könne sich "stets zu 100 Prozent auf Javi verlassen". Solch altruistische, treue Seelen wünscht sich ein jeder Coach im Kader, auch wenn der Leistungszenit bereits überschritten ist. Längst nimmt der Kosmos außerhalb des Fußballs eine große Rolle für Martínez ein. Als Familienvater, als Bergsteiger, als Rennradfahrer, als Leseratte und als Hobby-Musiker. Der Typ ist eine Type.
Bei Athletic Bilbao hatte sich der Baske schon als Jungspund derart haudegenhaft in Ball und Gegner geworfen und gegen alle Widerstände gestemmt, dass der damalige Trainer Jupp Heynckes genau diesen Stahl-Javi im Sommer 2012 unbedingt wollte. "Javi oder nix" war Heynckes - unausgesprochene - Devise. Die Bayern-Bosse genehmigten die damalige Rekordsumme von 40 Millionen Euro Ablöse für den Mann aus dem Land des Welt- und Europameisters, der teutonischen Fußball arbeitet.
Fußball-Workaholic: Martínez ist der Letzte seiner Art
Am Ende von Javis Premierensaison stand das Triple, weil er das Münchner Zentrum für Nebenmann Bastian Schweinsteiger entschlossen abriegelte. Martínez habe "das Finale von Wembley fast allein gewonnen, weil er derjenige war, der begann, dagegenzuhalten", lobte Uli Hoeneß nach dem 2:1-Triumph gegen Dortmund den importierten Widerstandskämpfer. Bilbao will den verlorenen Sohn kommenden Sommer zurückholen, als lebendiges Denkmal auflaufen lassen. Doch Martínez sagt: "Ich würde gerne noch etwas Neues ausprobieren, bevor ich meine Karriere beende."
Martínez ist der Letzte seiner Art. Kein Supertechniker, kein Resultat einer oft von Konformismus geprägten Nachwuchs-Akademie. Ein Fußball-Workaholic, der selbst entscheidende Tore wie in den Supercup-Finals 2013 und 2020 ins Netz hineinarbeitet. Sollte Martínez im Mai nach neun Jahren in München Abschied nehmen, wäre Neuzugang Marc Roca (23) von Espanyol Barcelona (Status Talent, in Madrid jedoch gesperrt) der letzte Ibero-Mohikaner an der Säbener Straße.